„Nachdem die Zeugen lange tot, möcht' ich nach Wahrheit streben“, erklärt der Oheim von Schneeweißchen und Rosenrot seinem Publikum bei einem Spaziergang durch die Wöhrde. Dieser Oheim (Onkel) ist ein amüsanter Mann, der gern und vor allem viel erzählt. An seiner Seite steht Bernadette, gehüllt in einem weißen Umhang mit einem güldenen Waldhorn in der Hand. Zuweilen spielt sie auf dem Instrument, doch sie spricht nicht.
Aus einer anderen Zeit sind die beiden in die Gegenwart gekommen als Figuren eines kleines Theaterstücks, das keine Bühne braucht und sich beim Schlendern entlang der Wiesen am Stadtrand entfaltet. Den Oheim spielt Kurt Spielmann, Schauspieler am Volkstheater in Frankfurt. Ihn begleitet Franziska Höcker als Schneeweißchen. Als Duo machen sie das Märchen von Schneeweißchen und Rosenrot wieder lebendig bei einem Spaziergang in die Vergangenheit.
Drei Stationen
Den beiden folgen am späten Freitagnachmittag zehn Erwachsene und vier Kinder. An drei Stationen an der Lohr macht Kurt Spielmann halt, um seine Geschichte zu erzählen. Und beim Weitergehen vergaß er nicht, die Eltern zu ermahnen: „Vergesst mir die Kleinen nicht, wir haben nicht so viele.“ Schließlich lauern überall Gefahren. So könnte hinter einem Baum der gierige Zwerg Trollus hervorspringen. Der Oheim seufzt in Erinnerung an das, was Schneeweißchen stumm werden ließ: „Seid froh, dass ihr das nicht erleben müsst – heute lebt!“ Schneeweißchen war eine Königstochter und wurde in glücklicherer Zeit von ihrem Bräutigam zum Traualtar geführt. Es erklingt der Hochzeitsmarsch. Ein Lächeln huscht über Schneewittchens Gesicht, ihre Augen werden klarer, bis sie ihr Schweigen bricht und spricht: „Ich kann mich wieder an alles erinnern.“ Der Oheim ist am Ziel angekommen. Vergangenheit und Gegenwart haben sich vereint und der Riss in der Zeit ist geschlossen. Und alle sagen zum Abschluss das Liedchen „Weißt du wieviel Sternlein stehen?“
Eine Stunde lang
Das Theaterstück endete nach einer Stunde. Schauspieler und Publikum schlenderten zurück in die Stadt. Waldemar Maier aus der Lindig-Siedlung, der mit seinem Kindern Julia und Anna, dabei war, fand die Märchenperformance sehr gut und „sehr professionell“ gemacht.
Kurt Spielmann, zuhause in Großwallstadt, ist auch ein echter Profi, der mit seinen Märchenspaziergängen nun schon zum vierten Mal in Lohr auf Einladung der Stadtbibliothek gastierte. Im nächsten Jahr möchte er wiederkommen mit einem anderen Märchen, vielleicht wieder in Begleitung von Franziska Höcker aus Sulzbach. „Ich spiele Waldhorn seit ich fünf Jahre alt bin“, erklärt sie. Kurt Spielmann ist am 5. Dezember mit „Josef und Maria“, einem Weihnachtsmärchen für Erwachsene von Peter Turrini, wieder in Lohr zu sehen.