Es schaut halsbrecherisch aus, wenn Monteure hoch über dem Main oder einer Straße in kleinen Aufzügen an einer Stromleitung entlang fahren. Das Schauspiel war in den vergangenen Monaten an der Höchstspannungsleitung zwischen Bergrheinfeld und Aschaffenburg, die mitten durch den Landkreis Main-Spessart geht, zu beobachten. Bis September werden auf der gesamten Länge von rund 85 Kilometern auf der südlichen Seite der Strommasten die Leitungen ausgetauscht. Vielen werden dabei die großen Gerüste aufgefallen sein, die an Straßen und Bahnstrecken stehen und verhindern sollen, dass irgendwer gegen eine Leitung fährt.
Leiterseile sind in die Jahre gekommen
Die Stromleitung von Bergrheinfeld nach Aschaffenburg hat mit 380 Kilovolt die höchstmögliche Spannung. Inzwischen sind die alten Leiterseile, wie die einzelnen Leitungen heißen, etwas in die Jahre gekommen. Sie stammen noch aus den Jahren der Inbetriebnahme 1962/63 und werden von Tennet, der Firma, die auch die neue SuedLink-Stromtrasse bauen möchte, durch neue ersetzt. Die alten funktionieren zwar noch, aber, so sagt Tennet-Pressesprecher Markus Lieberknecht: „Wir warten nicht ab, bis sie kaputt sind.“ Sie seien am Ende ihrer „technischen Lebensdauer“.
Mit dem Austausch hat Tennet die österreichische Firma Eqos beauftragt, die in ganz Europa Stromleitungen baut. Die verwegenen Monteure, meist Tiroler, kraxeln an Sprossen an den Mastseiten nach oben, wo sie meist Stunden in großer Höhe verbringen. „In der Frühe geht es hoch und abends runter“, sagt der gertenschlanke, braun gebrannte Monteur Philip Untersteiner, 32, der ausnahmsweise nicht Tiroler, sondern Kärntner ist. Zur Mittagspause gehe es vielleicht noch nach unten. Die Arbeit sei zwar anstrengend und man komme nur am Wochenende heim, aber dafür werde gut bezahlt, sagt der Monteur.
Bauleiter kennt sich gut aus
Sein Chef ist Bauleiter Werner Gyarmati, ein Tiroler. „Wir kennen uns hier mittlerweile fast schon besser aus als daheim“, scherzt er am sogenannten Trommelplatz oberhalb vom Lohrer Schützenverein zwischen Sendelbach und Pflochsbach. Seit April sind sie an der Trasse zugange und wahrscheinlich noch bis Oktober. Aber so sei das eben. „Wenn wir daheim einen Berg wissen wollen, fragen wir einen Deutschen.“ Der sei im Zweifelsfall schon dreimal oben gewesen.
Seine Monteure steigen aber nicht einfach so auf die Strommasten. Zum einen ist nur die Leitung auf einer Seite der Strommasten ausgeschaltet, nur auf dieser Seite werden heuer die Leiterseile ausgetauscht. Die Seite, auf der ausgetauscht wird, ist mit einer grünen Fahne markiert. Die falsche Seite hinaufzusteigen könnte tödlich sein. Bei einer 380-kV-Leitung sollte man vier bis fünf Meter Abstand halten, erklärt er. Zum anderen müssen die Arbeiter stets gesichert sein, so dass sie auch bei einem Abrutscher nicht in die Tiefe stürzen. Schwindelfrei müssen sie sowieso sein, auch sonst gesundheitlich fit und in Sicherheitsfragen werden sie jährlich neu unterwiesen. Bei Starkregen, Wind oder Gewittergefahr müssen sie unten bleiben.
40 bis 50 Tonnen Zugkraft
Gleich oberhalb vom Lohrer Schützenhaus steht ein sogenannter Abspannmast – ein Strommast, an dem die Seile befestigt und gespannt werden. Ein Abspannmast muss 40 bis 50 Tonnen Zugkraft aushalten. Der nächste Abspannmast in östlicher Richtung steht ebenfalls nicht weit vom Main, allerdings auf der anderen Seite des Maindreiecks bei Wiesenfeld. Die 20 Masten dazwischen sind kleinere Tragemasten, bei denen die aluminiumumwickelten Stahlseile lediglich eingehängt werden.
Die neuen Leiterseile werden von großen Trommeln abgerollt und von Winden, die am 8,5 Kilometer entfernten nächsten Abspannmast bei Wiesenfeld stehen, hinaufgezogen. So lange ist ein einzelnes Leitungsstück nicht, weshalb mehrere an ihren Enden zusammengepresst werden.
Es hängen immer drei Seile nebeneinander. Die aus- und wieder einzubauenden Abstandhalter zwischen diesen Dreierbündeln machen unter anderem die Ausflüge der Monteure mit Aufzügen nötig. Auf jeder Mastseite hängen drei solcher Dreierbündel. Der Strom fließe mal Richtung Aschaffenburg, mal Richtung Bergrheinfeld, erklärt Pressesprecher Lieberknecht. Es könne auch auf der einen Mastseite der Strom in die eine und auf der anderen in die andere Richtung fließen.
Leitungen müssen aushängen
Sind die neuen abgerollten Leitungen oben, lässt man sie erst einmal zwei Wochen aushängen, erklärt Bauleiter Gyarmati. Erst dann werden sie „reguliert“, also beispielsweise so angepasst, dass die drei Seile eines Bündels auch gleich hängen. Am Ende sollen sie höchstens so tief hängen, dass alle möglichen Fahrzeuge ohne Probleme darunter hindurch fahren können.
Die Masten sind im Schnitt 50 bis 60 Meter hoch und wenn sie ein Tal überbrücken sollen, können sie auch 80 Meter messen, sagt Lieberknecht. „Bei SuedLink wären es genau dieselben Masten gewesen“, sagt er. Die theoretische elektromagnetische Maximalbelastung sei am Boden unterhalb der Höchstspannungsleitung nicht höher als wenn man an einem Induktionsherd stehe. Außerdem würden die Leitungen in der Regel nur mit 60, 70 Prozent der Leistung gefahren. Dass die Arbeiten im Sommer durchgeführt werden, hat den einfachen Grund, dass im Sommer weniger Strom verbraucht werde, und man deshalb eher auf die halbe Leitung verzichten kann.
Kurze Stromunterbrechungen
Kurze Stromunterbrechungen in einzelnen umliegenden Orten sind nötig, weil ab und zu zur Sicherheit die 20-kV-Leitungen zu den Haushalten abgeschaltet werden müssen, damit über ihnen gefahrlos die Leitungen der größeren Höchstspannungsleitung eingezogen werden können. Mit den neuen Leitungen kommen auch neue Isolatoren an den Masten. Statt der alten dunkelbraunen aus Keramik werden nun neue aus einem Plastik-Gummi-Verbundstoff montiert. Einige der Monteure haben auch schon das Lohrer Isolatorenmuseum besucht, erzählen sie.
Zwischen Lohr und Wiesenfeld haben die neuen Seile jetzt Zeit sich auszuhängen. Derweil wird im Abschnitt zwischen Rechtenbach und Neuhütten eine neue Leitung eingezogen. „Da ist nur Wald außenrum“, hat Bauleiter Gyarmati bereits festgestellt.