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Lohrer Tafel: Helfen statt Wegwerfen
Lohrer Tafel: Seit kurzem gibt es einen zweiten Öffnungstag. Nun kommen auch mittwochs zahlreiche Kunden. Die Waren werden zuvor in Supermärkten gesammelt.
Weil viele Kunden der Tafel kein Deutsch sprechen, haben sich die Mitarbeiter ein Schildersystem ausgedacht.
| Weil viele Kunden der Tafel kein Deutsch sprechen, haben sich die Mitarbeiter ein Schildersystem ausgedacht.
Bearbeitet von Markus Rill
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:15 Uhr

In Deutschland sind Supermärkte verpflichtet, Lebensmittel zu entsorgen, wenn sie dem hohen Standard des Verbrauchers nicht mehr entsprechen. Durch das Raster fallen oft Produkte, die noch völlig in Ordnung sind: Brot und Gebäck vom Vortag, Milch und Joghurt kurz vorm Ablauf der Haltbarkeit oder Lebensmittel, die wegen eines Verpackungsfehlers nicht zum Verkauf zugelassen wurden. Dem gegenüber stehen Millionen von Menschen, die in Armut leben müssen. Um etwas Gleichgewicht zwischen den vielen Bedürftigen und den im Überfluss produzierten Lebensmitteln zu schaffen, wurden vor über 20 Jahren die Tafeln gegründet. Die Mitarbeiter der Tafeln sammeln überschüssige Lebensmittel ein und verteilen sie an Menschen, denen monatlich weniger als 850 Euro zur Verfügung stehen. Seit 2005 gibt es auch in Lohr eine Tafel, die sich mit 100 Mitarbeitern um weit über 500 Menschen in Lohr, Partenstein, Frammersbach, Neuhütten und Wiesthal kümmert.

Seit mit den Kriegen im Mittleren Osten hunderttausende Menschen nach Europa fliehen mussten, hat die Arbeit der Tafeln stark zugenommen. Seit März dieses Jahres hat der Lohrer Tafelladen in der Jahnstraße nun zweimal geöffnet. Besonders der logistische Aufwand ist in den letzten eineinhalb Jahren enorm gestiegen. Mehr Kunden erfordern mehr Lebensmittel, mehr Personal und mehr Zeit. Michael Donath, der Geschäftsführer der Lohrer Tafel, sieht darin eine der Herausforderungen. Man müsse sich fragen, ob jeder, der unter die Einkommensgrenze fällt, automatisch berechtigt ist, die Tafel zu besuchen, oder ob es „Menschen zweiter Klasse“ gibt. „Das wurde hier im Landkreis heiß diskutiert. Da gab es Tafeln, die haben gesagt, 'Asylbewerber machen wir nicht, das sprengt den Rahmen'. Die haben gesagt, die Tafeln seien nur für Ortsansässige und nicht für Leute, die woanders her kommen“, erinnert sich Donath. Die Hälfte aller Berechtigungsscheine in Lohr gehört mittlerweile Flüchtlingen.

Seit die Lohrer Tafel über 500 Menschen versorgt, ist in den Räumlichkeiten in der Jahnstraße jeden Tag was los. Alle Helfer arbeiten ehrenamtlich. Das Team der Lohrer Tafel ist stark gewachsen. Trotzdem sind sich alle einig, dass weiterhin großer Bedarf an Helfern besteht. „Was unsere Mitarbeiter momentan leisten, ist wirklich immens“, sagt Donath. Neun Teams teilen sich derzeit die Arbeit. An den verkaufsoffenen Tagen sind jeweils zwischen sechs und acht Ehrenamtliche beschäftigt. Das Kontrollieren von Obst und Gemüse nimmt viel Zeit in Anspruch. Gute Produkte wandern in die Regale, schlechte in die Tonne. „Wir werfen lieber was weg, bevor den Leuten schlecht wird“, sagt Albrecht Emmert, der Leiter des Mittwochsteams, und zielt mit einem faulen Apfel auf den Biomüll.

„Die Leute bitten hier nicht um Almosen, sondern zahlen für ihren Einkauf.“
Michael Donath, Geschäftsführer der Lohrer Tafel

Während im Tafelladen sortiert und eingeräumt wird, sammelt ein Teil des Teams die restlichen Kisten bei den ortsansässigen Märkten ein. Nach fast drei Stunden sind die Vorbereitungen abgeschlossen.

Teamleiter Albrecht Emmert sieht sich zufrieden um. „Jetzt sieht's hier aus wie in einem kleinen Supermarkt“, sagt er. Bepackt mit Rucksäcken und Tüten warten vorm Laden schon die ersten Kunden. Heute rechnet Albrecht Emmert mit weniger Betrieb, denn draußen ist es sehr heiß. „An solchen Tagen bleiben gerade ältere Leute lieber zuhause oder lassen sich das Essen liefern“, erklärt er. Im Eingangsbereich zahlt jeder einen symbolischen Betrag von 2,50 Euro. „Die Leute bitten hier nicht um Almosen, sondern zahlen für ihren Einkauf“, begründet Geschäftsführer Michael Donath. Von der Kühltheke über Hygieneartikel und Backwaren bis hin zu Obst und Gemüse kann sich jeder aussuchen, was er haben will. „Wir rechnen Pi mal Daumen mit einem Brot und drei bis vier Brötchen pro Person. Das Ganze hochgerechnet auf die Familiengröße“, so Donath. Ihm macht auch die finanzielle Situation der Tafel Sorgen. Die Ausgaben seien mittlerweile sehr hoch und trotzdem würden Zuschüsse seitens der Politik mit der Begründung abgelehnt, man erhöhe den Hartz-IV-Satz mit den Tafeln. „Dabei müsste jeder Politiker, der sich den Hartz-IV-Satz anschaut, mal überlegen, ob er selbst so leben könnte“, sagt Donath.

Spätestens dann müsse man akzeptieren, dass die Tafeln Hilfe leisten. Es gebe aber auch viele Positivbeispiele, Gemeinden, die das Projekt gerne und regelmäßig unterstützen oder Spenden aus der Bevölkerung. Teamleiter Albrecht Emmert lässt sich von den Problemen nicht beirren. Auf die Frage, warum er ehrenamtlich so viel Zeit investiert, zitiert er den italienischen Ordensgründer Don Bosco: „Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen“.

Lebensmittelausgabe an der Lohrer Tafel.
Foto: Eva Amend | Lebensmittelausgabe an der Lohrer Tafel.
Wenn sich ein Mitarbeiter nicht sicher ist, ob eine Frucht noch verkauft werden kann, wird Rat bei den Kollegen gesucht.
| Wenn sich ein Mitarbeiter nicht sicher ist, ob eine Frucht noch verkauft werden kann, wird Rat bei den Kollegen gesucht.
Gegen Verschwendung: Die Tafel nutzt noch einwandfreie Lebensmittel, die in Supermärkten, Cafés und Bäckereien nicht verkauft wurden.
| Gegen Verschwendung: Die Tafel nutzt noch einwandfreie Lebensmittel, die in Supermärkten, Cafés und Bäckereien nicht verkauft wurden.
Sorgfältige Auslese: Teamleiter Albrecht Emmert trennt die guten von den schlechten Äpfeln.
| Sorgfältige Auslese: Teamleiter Albrecht Emmert trennt die guten von den schlechten Äpfeln.
 
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