Sieg oder Tod ist unser Feldgeschrei“, so hieß es im Marschlied der Lohrer Landwehr, die von 1838 bis 1870 eine nicht unbedeutende gesellschaftliche Rolle im Lohrer Stadtleben spielte, war die Teilnahme doch Ehrensache für jeden, der etwas gelten wollte. Im Archiv des Lohrer Schulmuseums und in privaten Sammlungen gibt es Dokumente jener Zeit, die Bert und Eduard Stenger vom Schulmuseum gesichtet haben.
Entstanden aufgrund der bayerischen Landwehr-Ordnung von 1826 und beseelt vom Geist der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich, sollte die Landwehr auch eigentlich der militärischen Vaterlandsverteidigung dienen. Doch man entwickelte bald einen anderen Ehrgeiz. Weder in der Revolution 1848 noch im Deutsch-Deutschen Bruderkrieg 1866 hat die Lohrer Landwehr auch nur einen Schuss abgegeben, was wohl zu ihrem eigenen Vorteil war.
Eine besondere Ausbildung zum Kriegsdienst erfolgt nie, die sonntäglichen Manöver endeten stets in Bierseligkeit. Vielmehr taten sich die in biedermeierliche Uniformen gekleideten, mit Tschakos versehenen und mit übergroßen Epauletten behängten Landwehrmänner im gesellschaftlichen Bereich hervor. Bei Kirchenfesten, patriotischen Paraden wie zum Geburtstag des Königs oder wichtigen Gedenkfeiern fehlten sie in ihrem Ornat nie und trugen in ihrem Versuch, in Reih und Glied zu marschieren, zusätzlich zur Volksbelustigung und zur Buntheit der Veranstaltung bei. Regelmäßig kam lediglich das Musikcorps des Bataillons zum Einsatz, das den Anlässen den nötigen Takt vorgab. Tatsächlich erfüllte die Landwehr aber auch praktische Zwecke. So nahm sie zum Beispiel Aufgaben der Feuerbekämpfung wahr und rückte bei Unglücksfällen zur Unterstützung der Freiwilligen Feuerwehr aus (wobei die meisten Landwehrmänner ohnehin Mitglieder derselben waren). Man könnte sagen, dass die Landwehr in diesem Sinne dem heutigen Technischen Hilfswerk vergleichbar war, wenn auch mit einem viel geringeren Maße an Professionalität.
Doch einmal, anno 1866, konnte sich die Lohrer Landwehr als Beschützerin des heimatlichen Bodens und als würdige Waffenträgerin erweisen. Als am 6. Juli diesen Jahres ein Telegramm aus Karlstadt am Main eintraf, das „eine starke Zigeunerbande“ meldete, „die raubend und plündernd in den jenseits des Maines gelegenen Erlenbacher Höfen eingefallen sei“, gab es für die Lohrer Landwehr kein Halten.
Getreu dem Wahlspruch ihres Marschliedes „Vorwärts mit frischem Muth fangen wir das Chor! Hah! Wart! Zigeunerbrut, kommst du erst nach Lohr“, zog sie bewaffnet mit Büchsen und Säbeln zusammen mit der lokalen Gendarmerie aus. Nach einer längeren Verfolgungsjagd, die bei Rodenbach endete, konnten die „Zigeuner“ gefasst und inhaftiert werden. Doch groß war die Enttäuschung. „Da sich auf eingezogene Erkundigungen nichts Gravierendes gegen sie ergab, wurden die Zigeuner heute früh wieder entlassen und setzten dann ihren Weg nach der Grenze zu weiter“, so der Lohrer Anzeiger vom 7. Juli 1866.
Was hier nur sachlich knapp vermerkt wurde, stellte für die Lohrer Landwehr eine große Blamage dar. In voller Montur war man ausgezogen und hatte mit Kanonen auf Spatzen geschossen, der große vaterländische Krieg war abgesagt worden. Man hatte sich unfreiwillig zur Karnevalsvereinigung gemacht. So bemerkte der Lohrer Anzeiger bei einem ähnlichen Vorfall 1885 ironisch: „In Lohr erinnert man sich recht gut des Zigeunerfeldzuges bei den Erlenbacher Höfen, der mit Gefangennahme und Einlieferung der ganzen Bande endigte, und zum ersten Male offiziell einige biedere Landwehrmänner in der (neuen) Pickelhaube (ab 1850) mit obligater Spitze zeigte.“
Im folgenden Jahr veranstaltete der Lohrer Turnverein zur Faschingszeit ein großes „Maskenfestspiel mit darauffolgendem Tanz“ unter dem Motto „Die Gefangennahme der Zigeuner im Jahre 1866“. Noch im Fasching 1905, also fast 40 Jahre später, wurden die Geschehnisse in karnevalistischen Vorführungen parodiert, „verfaßt nach den tatsächlichen Ereignissen auf der Landstraße von Lohr nach Rodenbach und zurück in 3 Abteilungen, unterteilt in I. Generalmarsch – Aufstellung und Abmarsch der Schützen vom Lohrer Landwehrbataillon (mit Kriegsgeschrei); II.
Siegreicher Einzug der unverwundeten Mannschaft mit der in Rodenbach gefangenen Zigeunerbande samt allen Kamelen, Affen und Bären; III. Verhör der Zigeuner“.
Der Vorfall war also zu einem populären Faschingsthema geworden, die Landwehr blieb nach ihrer endgültigen Auflösung 1870 den Lohrern eher humoristisch im Gedächtnis.
Mit Material von Bert und eduard Stenger (Schulmuseum Lohr) Bearbeitet von: ret