Die Nachricht schockiert viele Eltern in der Lohrer Umgebung: Kinderarzt Jürgen Meßner schließt am 31. Juli seine Praxis in Lohr. Der ursprüngliche Plan, dass die bei ihm angestellte Ärztin die Praxis übernimmt, scheiterte daran, dass die 40-Jährige mit ihrer Familie aus Lohr wegzieht. Einen anderen potenziellen Nachfolger hat der 67 Jahre alte Kinder- und Jugendmediziner, der seit mehr als 34 Jahren in Lohr praktiziert, bisher nicht gefunden.
Jürgen Meßner hat seit fünf Jahren nach einem Nachfolger gesucht und war froh, als die Kinderärztin, die seit Oktober 2017 in seiner Praxis mitarbeitete, an einer Übernahme interessiert war. "Es war geplant, dass sie die Praxis sukzessive übernimmt. Ich hätte übergangsweise noch eine Zeit lang mitgearbeitet, bis sie eine Kollegin mit reingenommen hätte. Das hat sich leider zerschlagen", bedauert der 67-Jährige.
Rein private Gründe für Wegzug
Meßners potenzielle Nachfolgerin, die mit ihrem Mann, der ebenfalls Arzt ist, und ihren beiden Töchtern in Wombach wohnt, ist darüber ebenfalls traurig. Ihren Namen möchte sie nicht veröffentlicht haben. Die Gründe für ihren Wegzug bezeichnete die 40-Jährige der Redaktion gegenüber als "rein privat". Ihr Mann habe sich beruflich verändert, weshalb sie Ende Juli "in den Raum Würzburg/Schweinfurt/Bamberg" ziehen werde, sagt sie. "Wir wollen als Familie zusammenbleiben und keine Wochenend-Familie sein. Deshalb ist es für mich nicht möglich, hier weiter zu arbeiten", erklärt die Kinderärztin.
Mit der Lohrer Praxis, in der sie 20 Stunden in der Woche arbeitet, habe ihr Weggang nichts zu tun. "Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Herrn Dr. Meßner, seinem Team, den Patienten und Eltern aufgebaut. Ich bin hier sehr gut aufgenommen und wertgeschätzt worden. Ich hätte die Praxis sehr gerne übernommen", sagt die Kinderärztin.
Die berufliche Veränderung war für die Familie nicht vorhersehbar. Das Paar hatte bereits einen Bauplatz in Lohr gekauft und wollte längerfristig dort bleiben. Ende März habe seine Kollegin ihm eröffnet, dass sie wegziehen werde, sagt Meßner. Anfang dieser Woche hat der Lohrer Kinderarzt mit einem Aushang angekündigt, dass er seine Praxis im Sommer schließt. "Meine Kollegin zieht am 31. Juli weg. Dann habe ich keine Unterstützung mehr. Deswegen schließe ich die Praxis zu diesem Termin", erklärt er.
Geschockt über Schließung
Verena Friedel aus Frammersbach war laut eigener Aussage mit den beiden Lohrer Kinderärzten sehr zufrieden. Mit ihren Töchtern im Alter von zwei und vier Jahren fühlte sie sich in der Praxis gut aufgehoben. Für die 29-Jährige kam die Ankündigung, dass im Sommer Schluss ist, völlig überraschend: "Ich war ein bisschen geschockt, weil ich dachte, dass die Ärztin die Praxis übernimmt."
Die Nachricht von der Praxisaufgabe hat sich unter den Eltern wie ein Lauffeuer verbreitet. Nun häufen sich bei den anderen Kinderärzten in Karlstadt, Gemünden und Marktheidenfeld die Anfragen von Müttern, ob ihre Kinder künftig dort als Patienten aufgenommen werden können.
Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) teilen sich aktuell zehn Kinder- und Jugendärzte im Kreis Main-Spessart die acht Arztsitze. Sie sind dabei für die medizinische Versorgung von rund 19 500 Kreisbürgern unter 18 Jahren zuständig. "Das Problem ist, dass die Kollegen in der Region schon relativ viel Arbeit haben und nicht unbedingt darauf warten, noch meine Patienten zu versorgen", sagt Kinderarzt Jürgen Meßner.
Seine scheidende Kollegin berichtet, dass sie bereits einige Nachrichten und Anrufe von Eltern erhalten habe. "Sie sind sehr traurig und haben Angst, keinen Kinderarzt mehr in der Gegend zu finden", sagt die 40-Jährige.
Kinderärzte bereits am Limit
Joachim Müller-Scholden ist Kinderarzt und Kinderkardiologe. Der 58-Jährige betreibt mit Matthias Böhme zusammen eine Facharztpraxis in Marktheidenfeld und spricht von zahlreichen Anfragen. Weder in seiner Praxis noch bei den Kollegen im Landkreis sieht er viele Freiräume. "Wir sind sicherlich alle von der Belastung am Limit", betont der Marktheidenfelder Kinderarzt.
Müller-Scholden sieht die Gefahr, dass viele Kinder und Jugendliche nicht kinderärztlich weiter betreut werden können. Deshalb will sich der 58-Jährige zeitnah mit seinen Kollegen im Landkreis besprechen, was sie machen können. "Wir werden in Marktheidenfeld versuchen, alle Säuglinge und Kleinkinder mitzubetreuen. Und wir werden mit Herrn Meßner ein Gespräch suchen, um zu erfahren, welche Kinder und Jugendliche chronisch krank sind und ständige Dauerbetreuung brauchen, so dass man wenigstens die suffizient weiter betreuen kann", nennt der Marktheidenfelder Kinderarzt als Ziel.
Die Eltern, die neu in seine Praxis kommen wollen, bittet er um Geduld: "Wir sagen im Moment, dass wir im April gar keine klaren Auskünfte geben wollen und dass sie Mitte Mai noch einmal anrufen sollen. Denn dann sollten sich die Kinderärzte im Kreis über das weitere Vorgehen abgesprochen haben."
Eigene Praxis seltener gefragt
Die Chance, dass sich doch noch ein Nachfolger für die Lohrer Kinderarztpraxis findet, ist gering. Auf dem Markt seien insgesamt zu wenige Kinderärztinnen und -ärzte. Und davon würden die meisten keine eigene Praxis führen, sondern lieber als Angestellte arbeiten wollen, sagt Jürgen Meßner. "Man hat so das Gefühl, dass die Selbstständigkeit von vielen der Kolleginnen und Kollegen wegen des Organisationsaufwands nicht mehr erwünscht ist. Bei der eigenen Praxis kommt zur medizinischen Tätigkeit noch Verwaltung, Personalführung und Materialbeschaffung dazu", erläutert der Lohrer Kinderarzt.
Manchmal hat es aber auch andere Gründe: Meßner erzählt, dass sich ein Interessent vor ein paar Jahren die Praxis angeschaut habe. "Seine Frau hat aber gesagt, in so ein kleines Kaff geht sie nicht", berichtet der 67-Jährige. Der Lohrer Kinderarzt, der rund 34 Jahre alles getan hat, um die Schmerzen seiner jungen Patienten zu lindern, leidet derzeit selbst. "Es tut mir in der Seele weh, dass ich keinen Nachfolger gefunden habe", sagt er.