Als Schneewittchenstadt hat es Lohr schon in die Bild-Zeitung geschafft. Am Wochenenden nun fand die Spessartstadt in der „Bild am Sonntag“ (BamS), der mit gut einer Million verkaufter Exemplare auflagenstärksten deutschen Sonntagszeitung, ihren Niederschlag.
Diesmal waren jedoch nicht Schneewittchen oder die Kunstpreis-Skulptur Anlass der Berichterstattung. Stattdessen ging es um einen gewöhnlichen Adventsgottesdienst.
Unter der Schlagzeile „Gehen Sie doch mal wieder in die Kirche“ hatte die BamS-Redaktion im gesamten Bundesgebiet vier Adventsgottesdienste besucht, vom Kölner Dom über die St.-Petri-Kirche in Buxtehude und die Berlinder Johann-Sebastian-Bach-Gemeinde bis hin eben zu St. Michael in Lohr.
Der Kontakt in den Spessart sei über Umwege zustande gekommen, erklärt Stadtpfarrer Sven Johannsen auf Anfrage der Redaktion. Ein Mitarbeiter der BamS-Redaktion wohne bei Bamberg. Er habe auf der Suche nach einer „bayerischen Landgemeinde“ einen Mitarbeiter des Fernsehenders „prosiebensat1“ kontaktiert. Dieser Mitarbeiter war zufälligerweise Johannsens älterer Bruder und der verwies den BamS-Redakteur an seinen Bruder Sven, der seit 2008 Lohrer Stadtpfarrer ist.
Der Kirche eine Chance
Der Kontakt kam laut Johannsen am Freitag vor dem ersten Advent zustande. Bereits zwei Tage später, am ersten Advent, saß der BamS-Mitarbeiter im Lohrer Sonntagsgottesdienst. Der Boulevardzeitung sei es darum gegangen, einer Aussage der evangelischen Theologin Margot Käßmann nachzugehen. Diese hatte all denen, die Angst vor einer Islamisierung Deutschlands haben, geraten, Gottesdienste zu besuchen.
Dass die Zahl derer, die dies tun, in den vergangenen Jahren stetig gesunken sei, verdeutliche der Blick in die Statistik, heißt es in dem BamS-Artikel. Seien in den 1960er Jahren noch rund zwölf Millionen Deutsche jeden Sonntag in die Kirche gegangen, liege die Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher aktuell bei durchschnittlich 2,6 Millionen.
Kirchen gälten als „Armenhäuser der Republik“, in denen sonntags nur der auf den harten Bänken sitze, der „entweder alt ist oder Probleme hat – oder beides“, so die anfängliche Einschätzung der Autoren des BamS-Artikels. Doch in der Folge kommen die Verfasser des doppelseitigen und mit reichlich Bildern bestückten Artikels durch ihre während der Gottesdienste erlangten Eindrücke zu der Erkenntnis: „Es lohnt sich, der Kirche eine Chance zu geben.
Egal, ob man glaubt oder nicht.“
Über den Adventsgottesdienst in St. Michael schreibt der BamS-Redakteur offenbar erstaunt, dass sich „die Gottesdienstbesucher die Hände reichen“. Schon eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn sei der erste Gläubige in der Kirche gesessen. Pfarrer Johannsen wird mit der Aussage zitiert, dass es seine Aufgabe sei, „die Predigten mit dem Leben der Menschen zu verknüpfen“.
Johannsen hatte zu Beginn der Messfeier auf den Besucher aus der Bams-Redaktion hingewiesen. Die Idee, den Leuten, „die gar nicht mehr wissen, was wir da feiern“, einfach mal den Ablauf verschiedener Adventsgottesdienste zu schildern, finde er gut, sagte Johannsen.
Ganz und gar nicht gut findet Lohrs Stadtpfarrer hingegen die Aussagen, mit denen der Artikel der BamS im Internet in sozialen Netzwerken kommentiert wurde, „aus der rechten Ecke“, wie Johannsen sagt. Im rechten Spektrum greife eine deutliche Religionsfeindlichkeit Raum, so Johannsen besorgt.
Umso versöhnlicher hingegen der Abschluss des BamS-Artikels zu den vier Adventsgottesdiensten in vier verschiedenen Gotteshäusern: „Die Kirche lebt. Gott sei Dank.“