Zum Artikel „Coworking ist mehr als das Büro zu teilen“ vom 27. April erreichte die Redaktion folgende Leserzuschrift:
Coworking Space – vor einem Vierteljahrhundert nannten wir das in Retzstadt „Telezentrum“. Ein erster Bauabschnitt war mit 15 Arbeitsplätzen in der ehemaligen Jugendherberge entstanden. Er wurde vom damaligen und letzten Bundesminister für Post und Telekommunikation, Wolfgang Bötsch, eröffnet und sollte ein Modell für den Einstieg in die Dezentralisierung der Arbeit darstellen, weg von den Ballungszentren hin in die ländlichen Räume, wo das Gros der Pendler ohnehin lebte.
Das Pilotprojekt war von der EU, dem Freistaat Bayern und der Deutschen Telekom gefördert worden. Bei der Expo 2000 sollte es zeigen, wie im ländlichen Raum wieder Arbeitsplätze entstehen könnten. Wegen des finanziellen Umfangs im Hinblick auf die Weltausstellung musste sich der Landkreis beteiligen. Dem damaligen Landrat gefiel das Modell Jugendherberge nicht, und es wurde vorzeitig geschlossen. Telearbeit fiel über zwei Jahrzehnte in einen Dämmerschlaf.
Mit Corona feierte sie in Form des Homeoffice fröhliche Urstände. Es war nur eine Frage der Zeit, dass Alternativen zur unbefriedigenden Vermischung von Arbeit einerseits sowie Familie und Freizeit andererseits gesucht wurden. Fest steht: Telearbeit wird nun ein fester Bestandteil der Arbeitswelt werden. Versuchen wir eine verständlichere Bezeichnung und nennen sie nicht Coworking spaces, sondern Telebüros. Sie werden eine Win-win hoch 4-Situation ermöglichen: Die Vorteile für die Telearbeiter als Mitarbeiter oder Selbständige wurden in dem Artikel angesprochen.
Zur Finanzierung hatten wir schon in Retzstadt Modellrechnungen angestellt. Die Telearbeiter waren in der Regel Pendler. Sie sparen Zeit und Kfz-Kosten. Die Firmen hatten in der Regel hohe Büromieten zu bezahlen. Sie können erhebliche Flächen (z.B. Eon in Würzburg etwa zwei Drittel) einsparen. Ihre Arbeitsleistungen werden auf viele Betriebsstätten im ländlichen Raum verteilt. Da dort die Wertschöpfung stattfindet, fällt auch dort die Gewerbesteuer an. Die Hebesätze sind in den Landkommunen i.d.R. erheblich niedriger. So sparen die Firmen Gewerbesteuer.
Die Gemeinden, wo die Telearbeiter nicht mehr nur wohnen, sondern auch arbeiten, profitieren dagegen von Steuereinnahmen, die ihre bisher auspendelnden Mitbürgern mit ihrer Arbeitskraft zurückbringen. Diese hatten anlässlich der Fahrten zum und vom Arbeitsplatz auch Einkäufe erledigt. Jetzt wird die Kaufkraft an den Wohnort tendenziell gebunden. Gaststätten in den Dörfern werden an die Stelle der Kantinen treten. Das Leben auf dem Lande wird angeregt. Das Vereinsleben kann neuen Schwung bekommen.
Ein vierter Begünstigter wird der Staat sein. 40 Prozent der Arbeit gelten laut Böckler-Institut und DWI als telearbeitsfähig. Es gibt etwa 25 Millionen Pendler. Davon könnten demnach statistisch 10 Millionen als Pendler wegfallen Erhebungen zufolge könnten täglich ungefähr 400 Millionen Auto-Kilometer eingespart werden – fast eine halbe Milliarde.
Das muss zu Einsparungen beim Straßenbau und vor allem zu einer signifikanten Reduktion der CO²-Belastung führen, außerdem auch das potenzielle Unfallgeschehen entlasten. Kurzum: Die Telearbeit – ob im Homeoffice oder im Telebüro (Coworking) – verringert in einem Umfang Kosten, dass diese, wenn sie kapitalisiert würden, spielend perfekt ausgestattete Arbeitsplätze in Telebüros finanzieren könnten. Es gibt Berechnungen, dass die gesamtwirtschaftlichen Einsparungen für einen Pendler, der an seinem Wohnort in fuß- oder fahradläufiger Entfernung von seiner Wohnung seiner Arbeit nachgehen kann, bei durchschnittlichen Bedingungen rund 15 000 Euro pro Jahr betragen.
Reinhold H. Möller
97753 Karlstadt