Zu dem Bericht „Der lange Weg hin zu Karlstadt“ vom 26.11. erreichte uns folgender Leserbrief.
Die Metapher von Manfred Goldkuhle, Stetten und Retzstadt in der Zeit vor der Gebietsreform als „Kranke“ zu bezeichnen, die „keinen Gesunden“ ergeben, ist doch recht respektlos und überheblich, dazu auch noch sachlich falsch. Es kann zudem bezweifelt werden, dass die damals gefundenen Lösungen der Gebietsreform heute genau so gemacht werden würden.
Man muss sich erinnern, was zur Gebietsreform führte. Die ersten Computer waren in die staatlichen Verwaltungen eingezogen. Es war die Zeit - die Älteren werden sich erinnern - der sogenannten personal computer (PC) Marke „Commodore“, „Atari“, „Nixdorf“ usw. Informationen konnten gespeichert, miteinander verknüpft und bearbeitet werden. „Inhouse“-Modelle ermöglichten die Draht-gebundene Vernetzung von mehreren Computern in einem Intranet. Das war - das schien die Spitze der technischen Entwicklung zu sein. Auf dieser Erkenntnis einer vermeintlichen Perfektionierung der Verwaltungsarbeit wurde die Gebietsreform verordnet. Computer waren damals teuer.
In der Zeitschrift „hardware“ kann man nachlesen: „Über 100.000 DM kostete noch 1971 ein durchschnittlicher Bürocomputer wie zum Beispiel der Nixdorf 820/35 Magnetkontencomputer. Für weit unter 1000 Euro kann man heute bei Medion oder Dell ein 17-Zoll-Notebook mit wesentlich mehr Funktionalität kaufen, das darüber hinaus noch viel umfangreichere Büroaufgaben erledigen kann.“
Die Wirtschaft hatte bereits mit dem Einsatz von Computern begonnen. Die öffentliche Verwaltung musste sich über kurz oder lang anschließen. Für die Kommunen, vor allem die kleineren Gemeinden, waren die Investitionen nicht zu schultern. So erschien es erforderlich, Verwaltungen zusammenzulegen: Eingemeindungen, Bildung von Verwaltungsgemeinschaften.
Dass sich nicht nur die vermeintliche technische Perfektionierung durch die Kommunikationstechnologie bis hin zur Digitalisierung überholte, wurde zu spät erkannt. Das gab sogar der letzte Bundespostminister Wolfgang Bötsch zu, als er 1998 das Telezentrum Retzstadt eröffnete. Er sei seinerzeit als Landtagsabgeordneter Mitglied der sogenannten Merk-Kommission gewesen. Wenn man nunmehr (1998) die Gebietsreform machen müsste, würde man sie anders konstruieren.
Dazu kam der Preisverfall für Computer. Während der seinerzeitige Präsident von IBM, Thomas John Watson, in den 1940er Jahren davon sprach, dass die Welt einmal höchstens fünf Computer brauchen würde, muss heute schon jeder Bürger darüber nachdenken, ob er fünf oder sechs oder mehr Computer sein eigen nennt.
Reinhold H. Möller
97753 Karlstadt