Zum Kommentar "Schlabberige Bündnisse" vom 16. Mai erreichte die Redaktion folgende Zuschrift.
Dem Kommentar von Michael Fillies in der Main-Post vom 16. Mai kann nur zugestimmt werden. Wenn gelegentlich die Verrohung unserer Gesellschaft beklagt wird, dann geht sie mit einer zunehmenden Dekultivierung einher.
Mit der Vereidigung von Joschka Fischer in Turnschuhen vor 35 Jahren als Umweltminister in der hessischen Landesregierung hat es begonnen. Die Grünen, damals stark aus der 68er-Bewegung gespeist, gingen auf Konfrontation zu den angeblich verstaubten Formen der „(spieß)bürgerlichen Gesellschaft“ und propagierten eine egalisierte menschliche Gemeinschaft, in der es keine Unterschiede von Stand, Einkommen und Religion mehr geben dürfe. An den Gütern dieser Welt müssten alle gleichermaßen teilhaben. Sich ausleben können, war die Devise.
Diesem Anspruch gab man zunächst einmal Ausdruck in der Kleidung, die sich schon damals in einem provokantem Schlabberlook gegenüber staatlichen Institutionen äußerte. Dass sich Fischer später als Außenminister dann in feinem Zwirn bewegte, zeigt schon die Widersprüchlichkeit des Weges von den egalitären zu den elitären Formen des Umgangs in der diplomatischen Welt, wenn man einmal „den Gipfel“ erreicht hatte.
Aber die Bewegung der Gleichmacherei setzte sich fort. Wenn z.B. im Sport mit dem Slogan „respect“ geworben wird, dann gilt das vor allem der Menschenwürde. Dass Respekt auch im Umgang der Menschen untereinander eine Größe ist, die das Leben gestaltend fördert, kommt immer mehr abhanden. Auch weil die Ausdrucksformen dafür fehlen.
Man muss sich selbst als älterer Zeitgenosse gefallen lassen, sogar im Verkehr mit Banken, die bislang als besonders konservativ galten, im Schriftverkehr mit „Du“ angesprochen zu werden, ohne dass man je gefragt worden wäre, ob man das überhaupt will. Ich habe gerade auf einem Sportsender des Fernsehens erlebt, dass eine blutjunge Interviewerin den altgedienten ehemaligen Präsidenten eines Bundesligavereins, der die 60 überschritten hat, penetrant mit Du ansprach, und man erkennbar merkte, dass der Angesprochene vermied, die Umkehrung gleichermaßen bedienen zu müssen.
Das ist Ausdruck von Respektlosigkeit und Kulturverlust. Mittlerweile ist die Krawatte verpönt. Das mag praktisch sein, aber als kulturelle Bereicherung kann ich das nicht empfinden. (Dass ausgerechnet alleine der Landratskandidat der Grünen in MSP, Christian Baier, auf den Plakaten mit Krawatte zu sehen war, gehört zu den Ungereimtheiten des Lebens.)
Ich höre aber schon die Entgegnung, dass „wahrer Respekt sich nur im Verhalten und nicht in der Form ausdrücken“würde. Dazu sage ich nein: „Höflichkeit“ und Formen des Respekts mögen für manche „von gestern“ sein. Sie haben aber dem Gestern gut getan. Eine solche Kultur ist weder an gesellschaftlichen Stand noch an Einkommen gebunden, sondern nur eine Frage kultureller Bildung.
Reinhold H. Möller
97753 Karlstadt