Wenn Leonie ausgefahren wird, folgen ihr viele Blicke. Denn die Kleine, grade mal zehn Monate alt, ist ungewöhnlich schnell unterwegs. Udo Wießner absolviert sein Lauftraining täglich und bei jedem Wetter – und seit einem halben Jahr immer mit Buggy. Im nächsten Jahr will der 33-jährige Gemündener, an sich Halbmarathon-Spezialist, den Würzburger Marathon bestreiten – seinen ersten mit Baby.
Sein Buggy, ein hochwertiges Modell, ist mit großen Rädern, guten Kugellagern für geringen Widerstand und Blattfedern aus Karbon ausgestattet, um die Stöße für Leonie bestmöglich abzufangen. „Sie mag es aber, wenn es wackelt und sie dabei einschlafen kann“, erzählt Wießner. „Sollte die Fahrt zu ruhig sein, wird sie unzufrieden. Ich fahre dann einfach mit einem Rad neben dem Asphalt im Bankett.“
Bevorzugt Halbmarathon
Wießner läuft seit 20 Jahren, bevorzugt Halbmarathon, da die Vorbereitung für die rund 21,1 Kilometer nicht so extrem sein muss. Der Vollmarathon, bei dem er 2014 in Frankfurt 3:42,11 Stunden unterwegs war, war eine Ausnahme. Für Laufwettbewerbe fuhr er unter anderem nach Stuttgart, Würzburg, Schweinfurt und Bamberg. Auf der Hochzeitsreise lief er im New Yorker Central Park parallel zu einem Triathlon. Vom Stadtmarathon in New York träumt er noch.
Mit Leonie begann er gemächlich auf zwei, drei Kilometern, um zu testen, wie es ihr gefällt. Im Buggy befestigte er extra eine Hängematte, weil Leonie ihren Kopf noch nicht so lange halten konnte. Bald waren die Runden auf 18 Kilometer ausgedehnt, beispielsweise von Gemünden nach Langenprozelten zur Fähre, auf der anderen Mainseite bis Wernfeld und zurück.
Minutiöses Timing
Als Pendler ins hessische Steinau braucht der Ingenieur für Kunststofftechnik mindestens eine dreiviertel Stunde für den einfachen Weg. Morgens beginnt er so früh wie möglich, um nicht zu spät nach Hause zu kommen. Bis dahin hat seine Frau Sandra die Tochter gefüttert und für die Ausfahrt fertig angezogen. Dann hat sie die nächsten zwei Stunden Ruhe und für sich.
„Wenn Leonie frisch gewickelt im Buggy angeschnallt wird, ist sie guter Dinge“, erzählt der stolze Vater. „Sie lacht und guckt sich alles an, was draußen zu sehen ist, bis sie irgendwann schläft.“ Falls sie doch einmal quengelt, gibt es etwas zu knabbern. „Dann schläft sie gleich wieder.“ Nach spätestens eineinhalb Stunden ist sie wieder wach, betrachtet noch eine Weile, was sie zu sehen bekommt. Aber dann will sie raus.
Gleich zum Auftakt 250 Höhenmeter
Der 33-Jährige freut sich darüber, dass Leonie nach dem Training zu Hause länger und besser schläft. Anstrengend für ihn, denn vom Start aus der Siedlung vor dem Mühltorberg hat er Richtung Kreuzkloster oder zum Weiler Reichenbuch gleich zu Anfang 250 Höhenmeter vor sich. Da spürt er das Gewicht von Buggy mit Kind – momentan 25 Kilo – besonders. Bergab hält er das Fahrzeug mit der Schlaufe, denn die Doppelbremse greift zu ruckartig.
Details über die verschiedenen Strecken und jeden einzelnen Lauf sammelt Wießner mittels Sportuhr und Brustgurt in einer App. Seine Bestzeit beim Halbmarathon liegt bei 1:28 Stunden. Mit Leonie im Buggy ist er langsamer unterwegs: im Schnitt mit zwölf, in der Spitze mit 16 Kilometern pro Stunde. Nachbarn, deren Heimweg er in Langenprozelten zufällig kreuzte, trafen mit dem E-Bike zur selben Zeit wie er an der Gemündener Saalebrücke ein. So vorbereitet will er mit seiner Tochter im kommenden Jahr den ersten gemeinsamen Marathon laufen, vielleicht den in Würzburg. Die Ziellinie wird will er mit Leonie, bis dahin 18 Monate alt, dann an seiner Hand überqueren.
Wo der Ausdauersportler resigniert
Je nach Witterung ist der Buggy mit einem Fliegengitter geschützt, oder ganz verschlossen; zur Winterausrüstung gehört ein dicker Schlafsack. Wießner ist sportlich vielseitig: früher spielte er Fußball. Aktuell hält er sich auch mit Gymnastik fit, steigt er aufs Rennrad oder das Mountainbike. Aus Neugierde machte er auch einmal beim Mutter-Kind-Training Kanga mit, bei dem man das Kind in einem Tragebeutel umschnallt und dynamische Übungen wie bei Aerobic macht. Dies aber war bislang ein einmaliges Erlebnis, gibt er kopfschüttelnd zu, „denn das war das Anstrengendste überhaupt!“.