
"Nur wer sehen will, der sieht" – diese so einfach klingende Erkenntnis war das Leitmotiv eines Vortrags von Dr. Jürgen Lenssen zum Werk des kürzlich verstorbenen Künstlers Bernd Dörfler, das gerade im Marktheidenfelder Franck-Haus präsentiert wird.
Die Veranstaltung stieß auf das Interesse von rund 40 Gästen, die Zweiter Bürgermeister Christian Menig begrüßen konnte. Da man wegen der Corona-Beschränkungen bereits eine Warteliste geführt hatte, kündigte er eine Wiederholung dieses "besonderen Abends" mit dem Geistlichen und Kunsthistoriker im Untergeschoss der Ausstellung an.
Lenssen war 1995 im Rahmen eines Künstlerwettbewerbs zum Thema "Tod – Auseinandersetzung mit einem Mysterium" auf das Werk Dörflers aufmerksam geworden. Der frühere Domkapitular und Kunstreferent der Diözese Würzburg näherte sich dem Sehen zunächst über die komplexen, physiologischen Grundlagen. Es ermögliche dem Menschen Wahrnehmung und damit aus der Begegnung das Erlangen von Erfahrungswerten. Sie würden vom Verstand gegliedert und zu einer alltäglichen, individuellen Lebenswelt geordnet.
Entmaterialisierung und Abstraktion
Die Betrachtung von Kunstwerken könne solche Zusammenhänge als ästhetische Erfahrung in Frage stellen, sie sorge für Abweichung und Reflexion. Vor allem die Entmaterialisierung der Abstraktion befördere dies über bloße Darstellungen hinaus. So öffneten Bernd Dörflers Arbeiten in einem vielfältigen, geistigen Bezugsystem neue psychische Räume von seelischer Dimension.

Exemplarisch rückte Lenssen drei Acrylgemälde aus den Jahren 1981 bis 1994 in den Blickpunkt, mit denen Dörfler die menschliche Erfahrung von Bedrohung aufgegriffen habe. Beim Thema "Aids" sei auch die andauernde Herabwürdigung Homosexueller spürbar, der so weit entfernt scheinende Krieg im "Irak"- basierte auf einem Lügengeflecht und die "Umwelt" zeige bis heute das Ausmaß der Krankheit der Welt. Bei der Darstellung apokalyptischer Zustände habe sich Dörfler bei seinen Arbeiten im Atelier "wund" gerieben.
Die Apokalypse präge unser Leben, stellte der Würzburger Theologe fest. Dörfler habe sichtbar machen wollen, was nicht sichtbar sei und habe sich zunehmend zu seiner "Malerei aus der Höhle" seines Marktheidenfelder Hauses zurückgezogen. Aus dieser ihm eigenen Perspektive seien besonders die im Franck-Haus gezeigten plastischen Arbeiten aus jüngeren Jahren zu verstehen.
Verbitterung über Zustand der katholischen Kirche
Lenssen bezog Stellung und machte dabei keinen Hehl aus seiner persönlichen Enttäuschung, ja Verbitterung über den Zustand und den Weg seiner katholischen Kirche. Er forderte, ein neues Sehen zu lernen, den Blick von der Oberfläche zu befreien und in die Tiefe vorzustoßen. In diesem Sinn habe Bernd Dörfler sehen wollen und können. Seine Erkenntnis des Sehens gelte es mit einem zweiten und tiefer gründenden Blick in der Ausstellung im Franck-Haus zu entdecken.