
Auf Initiative des Weltladens Gemünden und mit Unterstützung der "Fair-Trade-Stadt" Gemünden zeigte die "Berliner Compagnie" im Festsaal des Kreuzklosters im Rahmen der diesjährigen Fairen Woche das polarisierende und aufwühlende Stück "Alles Fleisch".
"Hat Ihnen das Stück gefallen?", so die Frage des Veranstalters nach der Vorstellung. Die Antwort war ganz kurz und lapidar: "Nein – gewiss nicht!" Schließlich war der ganze Abend nicht zur Unterhaltung gedacht. Die fünf Akteure der "Berliner Compagnie" wollten nicht gefallen, sie wollten aufschrecken, aufrütteln und wenn möglich verändern. Das Thema ging den rund 50 Zuschauern dementsprechend nicht angenehm zu Herzen, es ging bis tief unter die Haut, denn das Ensemble zog anderthalb Stunden lang alle Register, dramaturgisch, optisch und inhaltlich.
Andererseits musste man aber angesichts der Zusammensetzung des Publikums feststellen, die "Berliner Compagnie" konnte an diesem Abend wohl nicht allzu viel bewirken oder verändern, denn die Anwesenden waren schon zuvor vollkommen auf ihrer Seite. Für den Rest mag die Parallele der Schockbilder auf den Zigarettenschachteln dienen: Man sieht sie, man erschrickt manchmal, man raucht weiter.
Sparsame Kulisse und wenige Schauspieler
Die Handlung von "Alles Fleisch" ist recht einfach und eindimensional. Ein rücksichtsloser Fleischmogul manipuliert die Gesellschaft, die Politik, die Presse und zuletzt noch die Justiz, um die Kritik gegen Massentierhaltung und fabrikmäßiger Schlachtung in seinen Betrieben auszuschalten. Dabei macht er selbst vor der eigenen Familie nicht halt, so wird auch der Bruder und zuständige Amtstierarzt mundtot gemacht, der die Machenschaften veröffentlichen will. So weit so schlecht - die Realität eben.
Das Interessanteste an diesem Stück ist aber weniger der Plot an sich, sondern die geschickte Umsetzung. Absolut sparsame Kulisse, die wenigen Schauspieler in wechselnden Rollen mit weißen Overalls. Dazu die Masken. Sie zeigen Distanz und die Austauschbarkeit der Handelnden. Zwischendurch aber werden diese Masken hochgeschoben und es kommen menschliche Gesichter zum Vorschein. Wenn beispielsweise der rücksichtslose Massenmetzger an die Rettung eines Rehkitzes aus dem Fluss denkt. Dramaturgisch hervorragend inszeniert ist eine Gerichtsverhandlung, die sich nicht mit den Vorgängen in den Schlachthäusern befasst, sondern mit den Menschen, die diese aufdecken wollen. Das Ganze hat hier deutlich den Geruch eines "Volksgerichtshofes".
Gegenpositionen werden angesprochen
Gnadenlos werden in den Dialogen die allgemein bekannten Tatsachen über die Massentierhaltung und die seelenlose Fleischproduktion aufgetischt. Die bislang nicht gelöste Diskrepanz zwischen Tierfutterproduktion und Hunger in den Entwicklungsländern: "Die Tiere der Reichen fressen das Brot der Armen" - im Gegensatz dazu "Ich nehme euch das Töten ab - ich ernähre die Welt!" Alles wird plakativ und oft scheinbar zusammenhangslos von der Bühne herab ins Publikum geschleudert.
Letztendlich spricht die "Berliner Compagnie" auch Gegenpositionen an: "Wir werden die Welt nicht retten, wenn wir alle zu Veganern und Radfahrern machen", sie bleiben aber auch oft die schlüssige Antwort schuldig. Wie weit darf man in der Gesellschaft gehen, welche Mittel anwenden? Sollen logischerweise auch Lederschuhe verboten werden, sind dann Holzschuhe oder Plastikschuhe die bessere Alternative. Leiden eigentlich auch Bäume, wenn sie gefällt werden? – Sie schreien und bluten vielleicht nur nicht.
Verwirrende (scheinbare) Wandlung am Schluss
Etwas verwirrend dann die (scheinbare?) Wandlung am Schluss. Der Blick aus der Sicht der Schweine und dann das absolut unerwartete Happy End, wenn der böse Fleischmogul seine Produktion auf Kunstfleisch und vegane Würstchen umstellt.
Massentierhaltung und Großschlachtereien sind ganz gewiss ein Problem, das unsere Gesellschaft baldigst lösen muss. Fleischkonsum an sich ist ein Thema, das möglichst in allen Facetten gemeinsam und konsensorientiert diskutiert und nicht von einer militanten Minderheit verordnet werden sollte. Das Stück "Alles Fleisch", kann zu dieser Entwicklung beitragen, wenn es nicht nur von schon überzeugten Befürwortern gesehen wird.