
Legasthenie ist nicht heilbar, aber man kann und sollte lernen, damit umzugehen!“ Tiemo Grimm, Seniorprofessor am Institut für Humangenetik der Universität Würzburg, sprach am Montagabend vor 50 Zuhörern im Bürgertreff Lindig über ein Thema, von dem aktuell drei Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind.
Auf Einladung des Elternverbands Legasthenie kamen Eltern von Kindern mit Lese-Rechtschreibstörungen sowie Lehrkräfte aus Lohrer Schulen, um sich zum einen über die Auslöser dieser Einschränkung zu informieren, aber auch um zu erfahren: Was können wir tun, wie können wir unsere Kinder unterstützen?
Grimm forscht bereits seit Jahrzehnten zum Thema Legasthenie, von der er selbst sowie auch drei seiner sechs Kinder betroffen sind. „Eine Lese-Rechtschreibstörung ist nicht Folge einer Intelligenzminderung“, sagte Grimm zu den Ursachen. Sie kann auch nicht auf elterliche Erziehungsfehler, Störungen der Eltern-Kind-Beziehung oder andere soziale Ursachen zurückgeführt werden. Als Hauptursache werden genetische Faktoren angenommen.
Übereinstimmung besteht darin, dass biologische Besonderheiten der Hirnentwicklung ausschlaggebend sind. Durch DNA-Analysen in seiner eigenen Familie bestätigte sich sein Verdacht, dass Legasthenie erblich bedingt ist: Grimms Bruder, Vater, Großvater und selbst die Urgroßmutter hatten nachweislich Probleme beim Lesen und Schreiben. Zusammen mit den bestehenden Umweltfaktoren, wie die Unterrichtsart und dem Umgang der Lehrer mit diesem Defizit, sowie vor allem das Familienleben als Basis und Stützpunkt der Kinder kann die Lese-Rechtschreibstörung unterschiedlich ausgeprägt sein.
Ferner bestätigen genetische Funde, dass Jungen öfters betroffen sind als Mädchen. Die Häufigkeitsangaben zur Legasthenie im Kindes- und Jugendalter schwanken zwischen fünf und zehn Prozent; sie ist damit eine der häufigsten schulischen Entwicklungsstörungen.
Legasthene Menschen zeigen Defizite in der Wahrnehmung und Verarbeitung von lautsprachlichem Material, haben Probleme mit der Umsetzung der gesprochenen in geschriebene Sprache und umgekehrt. In Rechtschreibung, Satzbau und Grammatik häufen sich die Fehler.
Da das Wortbildgedächtnis meist nicht intakt ist, erkennen sie jedoch ihre Fehler nicht. Die Leistungsdefizite aufgrund von eingeschränktem oder fehlerhaftem Lesevermögen und mangelhafter Rechtschreibung machen sich nicht nur in Deutsch und in den Fremdsprachen, sondern auch in anderen Fächern bemerkbar, wenn Texte bearbeitet oder geschrieben werden müssen. Eine Legasthenie kann somit schnell dazu führen, dass die gesamten schulischen Leistungen erheblich beeinträchtigt werden.
Die betroffenen Kinder entwickeln nicht selten seelische Störungen, psychosomatische Krankheiten oder Verhaltensauffälligkeiten, da sie sehr darunter leiden, den Leistungserwartungen der Schule, der Eltern oder auch ihre eigenen Erwartungen nicht ausreichend erfüllen zu können. Dabei sind Legastheniker normal und sogar oft überdurchschnittlich begabt.
Mit Beginn des Schuljahres 2016/17 gibt es für den schulischen Nachteilsausgleich bei einer Lese- und Rechtschreibstörung neue Richtlinien. Das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen sowie die Bayerische Schulordnung legen fest, dass Eltern die Möglichkeit haben, sich ausschließlich an den Schulpsychologen wenden zu können, ohne, wie bisher verlangt wurde, den Kinder- und Jugendpsychiater konsultiert zu haben. Der Schulpsychologe führt für den schulischen Bedarf die Diagnostik durch und berät die Eltern gemeinsam mit der Schulleitung aufgrund der erfolgten schulpsychologischen Stellungnahme im Hinblick auf sinnvolle Maßnahmen und pädagogischer Förderung.
Durch einen Nachteilsausgleich erhalten Schüler beispielsweise durch Zeitverlängerung Hilfe, ihre Aufgaben trotz ihrer Beeinträchtigung zu erfüllen. Zudem besteht die Möglichkeit des Notenschutzes: Hier wird auf einen Teil der Leistungsbewertung verzichtet, dies hat jedoch einen entsprechenden Zeugnisvermerk zur Folge. Über Art und Umfang der Hilfestellungen entscheidet die Schulleitung.
Die Elterngruppe Legasthenie trifft sich jeden zweiten Montag im Monat um 20 Uhr im Bürgertreff IGL-Haus, Pommernstraße 1 in Lohr-Lindig. Nähere Infos zum Elternkreis bei Karoline Hergenröder, Tel. (0 93 52) 31 23.