
Der 11. November ist Martinstag und Auftakt zur närrischen Faschingssaison, aber er reiht sich auch in die stillen Tage der Trauer in diesem Monat ein. So erinnert man in Großbritannien mit roten Mohnblüten an diesem Tag an das Ende des 1. Weltkriegs und an die gefallenen Soldaten.
Diese Erinnerung, die bei uns am kommenden Sonntag, dem Volkstrauertag, bei vielen Gedenkfeiern aufgegriffen wird, motivierte Bernhard Elsesser dazu, sich in einer Lesung mit dem ergreifenden Werk des Hamburgers Wolfgang Borchert (1921-1947) auseinanderzusetzen. Rund 40 Gäste konnte Susanne Wunderlich als Leiterin der Stadtbibliothek am frühen Freitagabend in ihrem Haus dazu begrüßen.
Aus dem nur schmalen Werk Wolfgang Borcherts hatte Elsesser ein halbes Dutzend Kurzgeschichten ausgewählt, um mit ihnen die sprachlich klare und bewegend expressive Meisterschaft des gebrochen und krank aus dem Zweiten Weltkrieg in seine Heimat zurückgekehrten Schriftstellers zu verdeutlichen. Mit einfühlsamen Kurzimprovisationen am Klavier umrahmte Pastoralreferent Alexander Wolf die vorgetragenen Erzählungen und Textinterpretationen.
Einführend hatte Elsesser auf die Konflikte unserer Tage hingewiesen, die Hass und Krieg, weltweites Elend, Vertreibung und Flucht schüfen. In Erinnerung an jene jungen Männer, die 1945 um ihre Jugend betrogen sichtbar und spürbar gealtert aus dem Krieg zurückkehrten, gelte es den Frieden zu bewahren, die freiheitliche Verfassung Deutschlands zu verteidigen und den Europäischen Gedanken mit Leben zu erfüllen.
Und so berichtete die Geschichte "Die Küchenuhr" mit überzeugender symbolischer Kraft von dem im Krieg verlorenen Paradies der Familie. Die Erzählung "Nachts schlafen die Ratten doch" drückte die Verlorenheit in den materiellen und moralischen Trümmern der frühen Nachkriegsgesellschaft aus und ließ am Ende doch auch ein wenig Hoffnung auf die Zukunft spüren.
Borchert gilt, wie etwa auch Heinrich Böll oder Erich Kästner, als bedeutender Vertreter der deutschen Trümmerliteratur, die unmittelbar nach dem Kriegsende im Jahr 1945 entstand und schon bald in den 1950er Jahren von moderneren Schreibformen in den Hintergrund gerückt wurde. Die kurze Lebensspanne Borcherts ließ ihm als Schriftsteller letztlich keinen Raum für seine weitere Entwicklung. Aber mit dem Kriegsheimkehrer-Drama "Draußen vor der Tür", dessen Uraufführung er schon nicht mehr erlebte, schuf er einen Klassiker, der bis zum heutigen Tag seinen festen Platz auf den Theaterbühnen hat.
Bernhard Elsesser hatte weiterhin die Geschichten "An diesem Dienstag" um die Verrohung und Entwurzelung von Soldaten, "Das Brot" um Elend und Größe des Menschen und die moderne, säkulare Weihnachtgeschichte "Die drei dunklen Könige" in sein Programm aufgenommen. Eine unvergessene Botschaft des Widerstands formulierte der Autor in rund einem Dutzend gereimter Aufrufe nur wenige Wochen vor seinem Tod "Dann gibt es nur eins! Sag Nein!".
Nach einer Pause sollten die Zuhörer noch eine andere Note aus Borcherts Schaffen kennenlernen. Die Kurzgeschichte "Schischyphusch oder Der Kellner meines Onkels" zeichnet eine ungewohnt heitere Note im Werk des Moralisten Borchert aus. Die Tragikomödie um die Begegnung zweier lispelnder Menschen, die beide auf ihre Weise vom Schicksal getroffen sind, widmet sich auf ungewöhnliche Weise den Werten der Verständigung und der Freundschaft. Die Zuhörer hatten das lange Literatur-Programm gespannt und konzentriert verfolgt und dankten mit Applaus sowie Spenden für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, um die gebeten worden war.