Es begann mit diesem verwitterten Stück Holz, über das er damals in Griechenland stolperte. Das ist doch ein Paviankopf, dachte Gerhard Reusch, als er den Astrest aus dem Gestrüpp zog. Er nahm seine Kamera, fotografierte auf Diafilm. Und war, zurück in Aschaffenburg, noch verblüfft über dieses skurrile Motiv, das da im Holz gesteckt hatte. So erzählt es der 72-Jährige heute.
Nach dem Urlaub fiel sein Blick immer wieder auf solche Besonderheiten, Figuren, Szenen, draußen in der Natur. Seit seiner Kindheit ist Reusch mit der Kamera draußen unterwegs und seit langem schon beschäftigt er sich mit experimenteller Fotografie. Über den Paviankopf gestolpert, begann er, im Broterwerb Nachrichtenredakteur und fast 40 Jahre lang beim Main-Echo tätig, Baumrinden und Totholz näher zu betrachten. „Da tut sich unheimlich viel auf.“
Ist das ein Aquarell? Ein Landschaftsgemälde? Was in Öl? Abstrakte Kunst? Oder tatsächlich Borke von Birke, Ulme und Apfelbaum? Mit der Linse geht er an Bäumen auf Spurensuche. „Man soll nicht gleich sehen, dass es ein Stück Rinde ist“, sagt der 72-jährige Fotograf mit Faible für Malerei und Bildende Kunst. Oft ist der Aschaffenburger in Museen unterwegs. Und die Strukturen, Formen, Farben, die er in Ausstellungen sieht, entdeckt er verblüffend oft bei seinen Fototouren draußen wieder. Wie bei Max Ernst! Das ist doch die Grafik von Hans Arp. Und steckt da nicht der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry? „Und manchmal glaube ich, Elemente des Dadaismus purzeln aus den Bäumen!“
Reusch filtert expressive Landschaften, abstrakte Figuren aus dem Holz. Sein Anspruch: „Die Bilder sollen wirken wie ein Gemälde.“ Und sie sollen die Fantasie des Betrachters wecken, Assoziationen hervorkitzeln. Verwitterungen, Flechten und Moose, Rillen und Furchen und Kerben. Gerne auch die Spuren, die der Borkenkäfer hinterließ – der Betrachter muss und soll den botanischen Ursprung gar nicht erkennen, zumindest nicht auf den ersten und zweiten Blick.
Gerhard Reusch benötigt keine aufwendige Ausrüstung, eine ältere Spiegelreflexkamera und eine neuere Kompakte reichen ihm. Mit leichtem Weitwinkel und Brennweiten von 50 Millimeter – kein Makro. Dazu nur ein kleiner Besen. Umso wichtiger ist dem 72-Jährigen das Licht: „Mein verlässlicher Partner“, sagt Reusch.
Er geht gezielt los, ist gerne frühmorgens und in den Abendstunden unterwegs. Wenn das Licht mild ist und der Schattenwurf sanft. Hinaus in den Spessart, ins modrige Unterholz. So mancher Jogger und Spaziergänger mag sich schon gewundert haben, weil Reusch nach einem Regenguss bäuchlings mit Kamera im Gebüsch und Totholz lag. Sturmschäden zum Beispiel: Ideal für Reusch. Sie reißen vielfach die obere Schicht auf, legen die Innenhaut frei. „Das gibt interessante und ausdrucksstarke Ansichten.“ Wenn er verfallene düster-dunkle Kiefern mit dem Handfeger abwedelt und die obersten Rindenschuppen davonschnippt, legt Reusch neue, farbenprächtige Strukturen frei: „Wie Bilder, die mit kraftvollem Pinselstrich gemalt wurden.“
Platanen, die im Spätsommer große Borkenlappen abwerfen. Pflöcke am Nordseestrand, an denen das Salzwasser nagte. Schätze für den Fotografen. Birken? Eher langweilig, sagt Gerhard Reusch. Eukalyptus und Palmen dagegen: interessant! Nadelgehölz? „Die heimischen Kiefern haben eine feingliedrige Ornamentik, die mediterranen Kiefern dagegen sind gröber und bringen letztlich plakativere Bild-Ergebnisse.“
Reusch findet das Schöne im Verfall. Er braucht keine digitale Verfremdung für seine abstrakten Gemälde, der Künstler ist die Natur. Und Reusch dreht dann die Aufnahme nur um 90 oder 180 Grad. Oder allenfalls sachte noch ein wenig an der Farbschraube. „So wenig wie möglich, so viel wie nötig!“ Was ihm wichtig ist: „Die Stimmigkeit der Farben und Formen muss gegeben sein.“ Was man dann darin sehen mag, ist ganz dem Betrachter überlassen.