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MAIN-SPESSART/KIEL
Landratten mit der "Spessart" auf großer Fahrt
Begehrtes Fotomotiv: Im abgeseilten Rettungsboot ließ sich das Patenschiff „Spessart“ aus vielen Perspektiven ablichten.
Foto: Andreas Brachs | Begehrtes Fotomotiv: Im abgeseilten Rettungsboot ließ sich das Patenschiff „Spessart“ aus vielen Perspektiven ablichten.
Andreas Brachs
 |  aktualisiert: 18.07.2014 15:24 Uhr

„Genießen Sie Ihre Spessart.“ Immer wieder hörten 66 Main-Spessarter diesen Satz, während sie von Donnerstag bis Sonntag in Kiel weilten. Kreisräte, Bürgermeister und Mitglieder des Patenschaft-Freundeskreises erlebten eine überwältigende Freundlichkeit und Offenheit der Besatzung auf dem Marineschiff „Spessart“.

Fotoserie

Die Delegation aus Main-Spessart und die Mannschaft des Patenschiffs trafen sich ein weiteres Mal, um die seit über 35 Jahren bestehende Patenschaft zwischen dem Landkreis und dem Marineschiff „Spessart“ zu festigen. Für einige altgediente Kreisräte war es der willkommene Abschluss ihrer politischen Laufbahn, für Neueinsteiger ein Glanzpunkt zu Beginn ihres Mandats.

Spröde Nordlichter treffen knorrige Spessarteichen? – Von wegen: So herzlich wie der Empfang war auch das Verhältnis zwischen Landratten und Seebären, das vor allem durch gesellige Runden geprägt war: Beim gemeinsamen Abendessen im Kieler Brauhaus kamen sich Menschen und Mentalitäten näher, beim Grillfest an Bord blieb es angenehm informell, beim gemeinsamen WM-Halbfinale-Schauen einte das Interesse am Fußball das gemischte Publikum.

Auf große Worte verzichteten beide Seiten. Die kleinen Gesten zeigten die Qualität der Beziehung: als sich den Besuchern buchstäblich jede Tür auf der „Spessart“ öffnete, als die Mannschaft eine selbstgemalte „Flagge“ mit den Symbolen des Landkreises präsentierte, als Familienmitglieder der Crew sich an den gemeinsamen Aktivitäten beteiligten. „Wir fühlen uns aufgenommen in eine Familie“, fasste Landrat Thomas Schiebel dann auch das Stimmungsbild zusammen. „Man spürt die Herzlichkeit.“

Für die Neuen unter den Gästen war am Samstag die erste Fahrt mit der „Spessart“ hinaus auf die Ostsee ein Erlebnis. Bei Kaiserwetter durchpflügte das Versorgungsschiff mit der Höchstgeschwindigkeit von knapp 30 Stundenkilometern die Kieler Bucht. Auf der Seereise beantwortete die Mannschaft geduldig alle Fragen und öffnete jede Luke, sobald es jemanden interessierte. Die Seeleute scheuten keine Mühe: Sie demonstrierten den Einsatz einer aufblasbaren Rettungsinsel und seilten ein Rettungsboot mit einem Trupp wagemutiger Gäste ab, denen sich auf den Wellen reitend noch eindrucksvollere Perspektiven des kühnen Versorgungstankers eröffneten.

Am Sonntag fuhren Teile der Mannschaft mit den Main-Spessartern nach Hamburg. Erst fühlten sich die Besucher wie Riesen, als sie durch die maßstabsgetreuen Modelleisenbahnanlagen des Miniatur Wunderlands wandelten, dann wie Zwerge, als sie mit dem Kopf im Nacken bei einer Hafenrundfahrt gigantische Containerschiffe an sich vorüberziehen ließen. Immer dabei, die Motoren der Patenschaft: der ehemalige Kapitän der „Spessart“, Wolfgang Schmid, der mit dem Ex-Lohrer Dr. Wolfgang Vorwerk, heute Bremen, die eingeschlafene Patenschaft vor sieben Jahren wiederbelebte, Landrat Thomas Schiebel und Rolf von Bebern, Erster Nautischer Offizier, der die „Spessart“ zurzeit als stellvertretender Kapitän leitet.

Von Bebern kennt den Main von seinen ersten Jahren auf dem Wasser, als er noch als Binnenschiffer fuhr. Den Spessart hat er auch schon besucht und findet ihn „unbeschreiblich schön“. Der Seemann reist gern ins fränkische Mittelgebirge: „Hier ticken die Uhren noch anders.“

Schiebel bilanzierte die Begegnung mit den Worten: „Die Patenschaft funktioniert gut. Wir geben uns auf beiden Seiten Mühe, sie mit Leben zu erfüllen.“ Damit die Verbundenheit zwischen dem tiefen Süden und dem hohen Norden überdauert, hat sich im vergangenen Jahr ein Freundeskreis gegründet, den Sibylle Herrmann von der St.-Kilian-Schule in Lohr für Main-Spessart leitet; von Kieler Seite steht ihm Kapitän Wolfgang Schmid vor. Herrmann koordiniert mit dem Landratsamt die gegenseitigen Besuche und pflegt die Kontakte. Schon bald soll der Austausch fortgesetzt werden.
 

Die Patenschaft

Die Anfänge der Patenschaft des Landkreises Main-Spessart für das Marineschiff „Spessart“ reichen in die Mitte der 1970er Jahre zurück. Damals war der designierte Kapitän Hans Hornung in Burgsinn in Urlaub und erbat sich das Wappen des Landkreises für die Schiffstaufe. Die Spessart wurde am 5.9.1977 in Dienst gestellt.

Im Juni 1979 reiste im Auftrag von Landrat Erwin Ammann eine dreiköpfige Delegation aus dem Landkreis erstmals nach Kiel. Ihr gehörten Fremdenverkehrsreferent Ernst Foß, „Winzerin“ Maria Hettrich und „Spessarträuber“ Otmar Wiesenfelder an. Dieser Auftakt zählt für den Landkreis als informeller Beginn der Patenschaft, womit sie heuer seit 35 Jahren besteht. Der Gegenbesuch der Mannschaft folgte im Oktober 1979. Bei diesem Anlass wurde der Rundwanderweg „Trossschiff Spessart“ an der Bayerischen Schanz zum Gedenken eingeweiht. Nach einem weiteren Besuch in Kiel 1981 ruhte die Patenschaft für mehr als zwei Jahrzehnte.

2004 erfuhr der damalige deutsche Generalkonsul in Boston (USA), Wolfgang Vorwerk, der in Lohr aufgewachsen ist, von der Existenz der „Spessart“. Er recherchierte die vergessene Geschichte der Patenschaft.

2007 erneuerten der damalige Kapitän der „Spessart“, Wolfgang Schmid, und der einstige Landrat Armin Grein die Patenschaft, die seither von gegenseitigen Besuchen und dauerhaften Kontakten geprägt ist.
 

Trossschiff „Spessart“

Der Betriebsstofftanker ist ein Versorgungsschiff der Bundesmarine. Er hat vor allem die Aufgabe, Kriegsschiffe auf See zu betanken. Das Schiff kann rund 11 000 Tonnen Treibstoff aufnehmen – Schiffsdiesel und Flugzeugkerosin.

Die Besatzung besteht aus 46 zivilen Kräften. Das Schiff ist unbewaffnet. Im Einsatzfall kommen Soldaten mit Maschinengewehren zusätzlich an Bord. Die Mannschaft ist bei Manövern und Einsätzen zwischen zwei Wochen und sechs Monaten auf See.

Die „Spessart“ wurde am 5.9.1977 in Dienst gestellt und wird wohl zwischen 2018 und 2021 ausgemustert. Ob es ein Nachfolge-Schiff gleichen Namens geben wird, ist noch ungewiss. Die „Spessart“ ist 130,15 Meter lang, 19,31 Meter breit und hat einen Tiefgang von 8,4 Metern. Der 8000-PS-Motor erreicht maximal 16 Knoten (knapp 30 km/h). Bei voller Fahrt verbraucht das Schiff pro Tag 26 Tonnen Diesel und 220 Liter Maschinenöl.

Bei Manövern und Einsätzen in Nato-Verbänden umrundete das Trossschiff Afrika bis zum Indischen Ozean und weiter zum Pazifik, fuhr im Mittelmeer und entlang der Ostküste Amerikas.

Ein Piratenüberfall vor Somalia brachte die „Spessart“ im März 2009 in die Schlagzeilen. Ein Schlauchboot griff das Schiff mit Handfeuerwaffen an. Mit Hilfe von Bündnispartnern konnten die Piraten gestellt werden. Sie verbüßen mehrjährige Haftstrafen.

Rolf von Bebern, Erster Nautischer Offizier, befehligt das Schiff derzeit als stellvertretender Kapitän, bis ein Nachfolger für den Anfang des Jahres ausgeschiedenen Kapitän Wolfgang Schmid benannt wird. Von Bebern ist 48 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Töchter. Er entstammt einer Seefahrerfamilie und fing 1984 als Schiffsjunge auf einem Binnenschiff an, befuhr auch Main und Neckar, bevor er zur Marine wechselte. Seit 2006 ist er auf der „Spessart“ Erster Offizier.

Für alle Fälle: Offizier Stefan Heß demonstriert der Delegation aus dem Main-Spessart-Kreis das Anlegen der Rettungsweste.
Foto: Andreas Brachs | Für alle Fälle: Offizier Stefan Heß demonstriert der Delegation aus dem Main-Spessart-Kreis das Anlegen der Rettungsweste.
Nagelprobe: Beim Grillfest an Bord zeigten drei Protagonisten der Patenschaft, wie gut sie mit Hammer und Nagel umgehen können: stellvertretender Kapitän Rolf von Bebern, Generalkonsul a. D. Wolfgang Vorwerk und Landrat Thomas Schiebel (von links).
Foto: A. Brachs | Nagelprobe: Beim Grillfest an Bord zeigten drei Protagonisten der Patenschaft, wie gut sie mit Hammer und Nagel umgehen können: stellvertretender Kapitän Rolf von Bebern, Generalkonsul a. D.
 
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