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Lohr
Landratsamt: Stadtwerke-Vorgehen rechtswidrig
Die neuen Dachrinnenanschlüsse, für die Anwohner der Fischer- und der Muschelgasse im Lohrer Fischerviertel zahlen sollen, sind an ihrer roten Farbe zu erkennen. Um die Abrechnung der Kosten gibt es seit längerer Zeit Streit.
Foto: Thomas Josef Möhler | Die neuen Dachrinnenanschlüsse, für die Anwohner der Fischer- und der Muschelgasse im Lohrer Fischerviertel zahlen sollen, sind an ihrer roten Farbe zu erkennen.
Bearbeitet von Thomas Josef Möhler
 |  aktualisiert: 16.06.2022 02:27 Uhr

Nach der Rechtsauffassung des Landratsamts Main-Spessart können die Stadtwerke Lohr Kosten für Arbeiten im öffentlichen Grund bei Anwohnern nicht über eine privatrechtliche Rechnung abkassieren. Schätzungsweise zwei Dutzend Anwohner des Fischerviertels weigern sich, entsprechende Rechnungen zu bezahlen. Die Stadtwerke lassen die Angelegenheit nach eigenen Angaben derzeit von "Experten" rechtlich prüfen.

Was ist passiert? Im Rahmen der Generalsanierung von Fischer- und Muschelgasse 2020/21 haben die Stadtwerke auch die Anschlüsse von Regenrohren an den Kanal erneuern lassen. Einige Dachrinnen wurden erstmals angeschlossen. Wegen der Grenzbebauung im engen Fischerviertel erfolgten die Anschlüsse in der Regel auf öffentlichem Grund.

Circa 45 Hausbesitzer bekamen im März und April 2021 von den Stadtwerken Rechnungen, die aus mehreren Gründen für Verwunderung und Ärger sorgten. Die Stadtwerke hatten keine Bescheide auf der Grundlage der Entwässerungssatzung verschickt. Vielmehr handelte sich um Rechnungen auf der privatrechtlichen Basis der Paragrafen 677 folgende BGB, die sogenannte "Geschäftsführung ohne Auftrag".

Zusicherung erhalten

Ferner kritisierten Anwohner, ihnen sei bei einer Besprechung vor der Generalsanierung versichert worden, sie müssten für Arbeiten auf öffentlichem Grund nichts bezahlen. Betroffene berichteten von Rechnungshöhen von teilweise über 2000 Euro und nannten sie zu hoch. Die Stadtwerke beharrten darauf, sie hätten nur die Selbstkosten weiterverrechnet.

Im Dezember 2021 erklärte Stadtwerkeleiter Otto Mergler auf Anfrage, etwas mehr als die Hälfte der betroffenen Anwohner habe die versandten Rechnungen inzwischen beglichen. An dieser Sachlage habe sich bislang nichts verändert, sagte Mergler nun Ende Mai auf erneute Anfrage. Seit Dezember ruhten die Fälle: "Wir konnten aus personellen Gründen die Klärung längere Zeit nicht weiter vorantreiben."

Wolfgang Dehm, der an der Muschelgasse wohnt, hat allerdings nach einer ersten Mahnung Ende vorigen Jahres mit Datum vom 25. Mai von den Stadtwerken eine "letzte Nachfrist zur Begleichung unserer Forderungen" gesetzt bekommen. Komme er der Aufforderung nicht nach, werde die Zwangsvollstreckung eingeleitet.

Dabei handelt es sich laut Mergler um ein Versehen. Das Schreiben an Dehm sei herausgegangen, "obwohl bei uns im Buchhaltungsprogramm eine Mahnsperre für diese Forderung gesetzt ist".

Weitere solche Fehler seien bei einer Kontrolle nicht festgestellt worden, aber das erkläre nicht, warum das Schreiben an Dehm verschickt worden sei. Die schriftliche Rücknahme der Vollstreckungsandrohung durch die Stadtwerke ist laut Dehm mittlerweile erfolgt.

Er denke gar nicht daran, die Forderung der Stadtwerke zu begleichen, betonte Dehm. Die Paragrafen 677 folgende des BGB könnten nicht angewandt werden, weil sie privatrechtliche Geschäfte regelten. Ihre Anwendung stehe einer öffentlichen Einrichtung wie den Stadtwerken nicht zu, weil dadurch öffentlich-rechtliche Vorschriften wie die Entwässerungssatzung umgangen würden.

Vorgehen fragwürdig

Nach Dehms Ansicht müssten die Stadtwerke ihre Forderungen über die Entwässerungssatzung eintreiben. "Weil sie gemerkt haben, dass das nicht geht, sind sie auf den Trick mit dem Privatrecht gekommen." Beschönigend ausgedrückt, könne man sagen, dass das Vorgehen fragwürdig sei.

"Aber realistisch betrachtet, ist es nichts anderes als vorsätzlicher Betrug", so der Anwohner. Die Stadtwerke hätten lange genug Zeit gehabt, "in sich zu gehen und zu überlegen, was sie da machen". Das hätten sie aber nicht getan.

Besondere Brisanz gewinnt die Angelegenheit dadurch, dass es mittlerweile eine Stellungnahme der Rechtsaufsicht im Landratsamt gibt, die bislang nicht an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Nach Angaben von Bianca Bathon von der Pressestelle des Landratsamts ist die Behörde in Karlstadt im Rahmen eines Widerspruches gegen die Rechnungsstellung der Stadtwerke Lohr tätig geworden.

In dem konkreten Fall sei der Grundstücksanschluss auf öffentlichem Grund errichtet worden. Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage sei die Kommunalaufsicht des Landratsamtes zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der vorliegenden Rechnung nicht um einen Kostenbescheid nach der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Stadt Lohr handelt und daher ein Widerspruch nicht statthaft und somit auch nicht zulässig ist.

Im Übrigen, so Bathon, dürften Kosten für Arbeiten im öffentlichen Grund nach der Beitrags- und Gebührensatzung nicht erhoben werden. Die Stadt Lohr habe durch Satzung die "Entsorgungsart Abwasser in einem öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnis geregelt, daher ist eine privatrechtliche Rechnung über die Kosten für die Arbeiten im öffentlichen Grund ebenfalls nicht möglich".

"Nicht ganz sachgerecht"

Das sei vom Landratsamt per Schreiben der Stadt Lohr mitgeteilt und diese aufgefordert worden, "die in Rede stehende Rechnung zurückzuziehen". Daran denken die Stadtwerke allerdings nicht. Otto Mergler erklärte gegenüber dieser Redaktion, die Antwort des Landratsamt sei "unseres Erachtens nicht ganz sachgerecht".

Die Stadtwerke hatten nach Angaben ihres Leiters "zeitnah die Gelegenheit, anlässlich eines Seminars (nach Informationen dieser Redaktion beim bayerischen Städtetag) weitere Rechtsmeinungen einzuholen".

Weil diese Fälle nicht gerade alltäglich seien, "haben wir die maßgeblichen Fragen zusammen mit dem Sachverhalt den Experten zur Verfügung gestellt". Auf deren Antwort warteten die Stadtwerke nun. Wolfgang Dehm indes fühlt sich in seiner Auffassung bestätigt. Die Rechnung der Stadtwerke sei doppelt falsch gewesen: Für Arbeiten im öffentlichen Grund hätten laut Satzung gar keine Kosten erhoben werden dürfen, schon gar nicht in privatrechtlicher Form. Ihn wundert das unsystematische Vorgehen der Stadtwerke.

Laut Dehm gibt es im Fischerviertel rund 90 Anwesen. An circa 70 sei an den Dachrinnen gearbeitet worden. Nur 45 hätten eine Rechnung bekommen. Bei einigen sei nichts weiter passiert, andere Anwohner wie er hätten nur eine erste Mahnung bekommen, wieder andere bereits im vorigen Jahr die Drohung mit Vollstreckung.

Alfred Feuser vermutet hinter der Vorgehensweise eine Salami-Taktik: "Die Stadtwerke suchen sich einzelne heraus, weil es zu einer Solidarisierung kommen würde, wenn alle die gleichen Schreiben bekämen." Ihm wurde bereits im November 2021 mit der Zwangsvollstreckung gedroht.

Vertrauensverlust

Seither habe er von den Stadtwerken nichts mehr gehört. Auch Feuser will nicht bezahlen, weil es nach seiner Auffassung für die Forderung der Stadtwerke keine rechtliche Grundlage gibt. Besonders bedenklich ist nach seinen Worten der "schleichende Verlust an Vertrauen in staatliche Institutionen".

Eine Anwohnerin der Muschelgasse, die namentlich nicht genannt werden möchte, hat von den Stadtwerken bislang nur eine Rechnung erhalten, die sie nicht bezahlt hat. Das hat sie auch in Zukunft nicht vor. Eine Mahnung hat sie bislang nicht bekommen.

 
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