Wo kaufte man in den 1970er Jahren eine Hifi-Anlage? Wo bekam man zur Fußball-WM 1974 einen günstigen Farbfernseher? Und wo gab es das Trikot, mit dem Franz Beckenbauer auflief? Seit 1971 gibt es in der Marktheidenfelder Luitpoldstraße das Einkaufszentrum Udo Lermann. Sein Anspruch: Unter einem Dach bieten, was man für Heim, Haushalt und Freizeit braucht.
Der heutige Firmenchef Helmut Viering sagt: „Udo Lermann war es immer wichtig, den Kunden eine möglichst große Auswahl an Produkten in allen Preiskategorien anzubieten.“ Neben dem Verkauf legte Lermann Wert auf Service und Reparaturdienste im eigenen Haus.
Weil das Ladengeschäft am Marktplatz zu klein war, baute der damalige Inhaber Udo Lermann ab 1969 ein neues, sechsstöckiges Einkaufszentrum. Das Gelände zwischen Luitpoldstraße, Baumhofstraße und Ludwigstraße bot sich für sein Vorhaben an. Dort standen bereits das Zentrallager (der heutige Baumarkt), das Verwaltungsgebäude und eine Landmaschinenhalle entlang der Luitpoldstraße – dort, wo sich heute der Kundenparkplatz befindet.
Zuerst errichtete Lermann den Teil rechts vom Haupteingang. Kurz darauf stand das ehemalige Verwaltungsgebäude der AOK, an der Ecke Luitpoldstraße/Baumhofstraße, zum Verkauf. „Das war ein großer Glücksfall für unser Unternehmen“, sagt Viering heute. „Genauso wie die Risikobereitschaft von Udo Lermann. Das war für die damalige Zeit einmalig.“ Prompt kaufte Lermann das Gelände, erweiterte die Baupläne und ließ das alte AOK-Gebäude abreißen. Im zweiten Bauabschnitt entstand so das Eckgebäude links des Eingangs. Auf allen Stockwerken wurden umlaufende Balkone errichtet, damit die Kunden die Auslagen betrachten konnten. Auch nach Geschäftsschluss sollten die potenziellen Käufer sie durch ein gesondertes Treppenhaus von der Baumhofstraße her erreichen können, so der Gedanke des Unternehmers damals.
Mit dem Bau des neuen Einkaufszentrums kam der jetzige Firmenchef Helmut Viering 1970 als Juniorpartner in das Unternehmen. „Ich war Ingenieur, hatte vorher nichts mit dem Handel zu tun. Nur in der Elektronik kannte ich mich aus“, so Viering. Er war zuständig für die Einrichtung des neuen Hauses mit dem „Fernseh-Studio“ und dem „Lampen-Saal“ und er bestückte die Sport- und Fahrradabteilung.
Des Weiteren gab es im Untergeschoss Abteilungen für Heim- und Handwerkerbedarf, Motorräder, Eisenwaren und eine Ofenausstellung. Das Erdgeschoss war den Haushaltswaren und Geschenkartikeln vorbehalten; in den Stockwerken darüber befand sich die Möbel- und Küchenausstellung, die Elektrogeräte-Abteilung, die Sanitärschau und eine Gartenmöbel-Verkaufsfläche.
Eingerichtet wurde das Haus nach dem damals aufkommenden „Shop-in-Shop“-System. Damit wird den Kunden der Eindruck vermittelt, sich in den einzelnen Abteilungen wie in einem gesonderten Fachgeschäft zu fühlen. Im „Fernseh-Studio“ zum Beispiel hatten die Verkäufer die Möglichkeit, über ein Bedienpult die 55 verschiedenen Geräte vorzuführen.
„Selbstbedienung“ war damals übrigens ein Fremdwort. Wie in den anderen Geschäften auch, war es bei Lermann üblich, dass Verkaufspersonal die Kunden beriet. So bedienten junge Männer in der Elektrogeräte-Abteilung; für die Haushaltswarenabteilung gab es ausschließlich weibliches Verkaufspersonal.
Am 2. Oktober 1971, einem Samstag, fand die feierliche Einweihung des Gebäudes mit vielen geladenen Gästen und Mitarbeitern statt. In seiner Ansprache lobte der Bundestagsabgeordnete Alfred Biehle aus Karlstadt den Mut, mit dem Udo Lermann den Bau des Kaufhauses angepackt und vollendet habe. Dies sei ein Beweis dafür, „wie Männer des Mittelstandes ihrer Zeit voraus“ seien, sagte Biehle damals.
Bei den Feierlichkeiten gratulierte Heinz Böhler im Namen der Mitarbeiter. Er dankte Udo Lermann und dessen Gattin mit den Worten: „Wir sind alle glücklich, dass wir hier arbeiten können.“ Außerdem betonte er, dass Lermann „zahlreichen Familien Arbeit und Brot und den Beschäftigten einen sicheren Arbeitsplatz garantiert“ habe.
Am darauffolgenden Montag eröffnete das Einkaufszentrum, das einen Hauch von großstädtischem Flair nach Marktheidenfeld brachte, mit 7500 Quadratmetern Verkaufs- und Ausstellungsfläche für seine Kunden. Neben dem bestehenden Kundenstamm aus dem jetzigen Landkreis Main-Spessart und den Regionen Hammelburg, Bad Brückenau, Bad Kissingen, Tauberbischofsheim, Miltenberg und Obernburg sollten zusätzlich Kunden aus den Ballungsgebieten Würzburg und Aschaffenburg angelockt werden.
Inzwischen geht das Unternehmen ins 100. Jahr seines Bestehens und verkauft sein breites Warenangebot auf über 18 000 Quadratmetern an verschiedenen Standorten der Region. Unter anderem gibt es neben Marktheidenfeld noch Elektrofachmärkte in Lohr, Elsenfeld, Kitzingen, Bestenheid und Höchberg.
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Udo Lermann
Im Jahre 1934 übernahm Udo Lermann (1912–1996) die Bau- und Kunstschlosserei seines verstorbenen Vaters Karl am Marktplatz in Marktheidenfeld. Das dortige Ladenlokal führte er über viele Jahre, bis 1971, weiter. Ende der 1940er Jahre ergänzte er seine handwerkliche Tätigkeit um einen Handelsbetrieb. Nach Ladenschluss fuhr er mit seinem Motorrad in das Umland, um Radios und andere elektronische Geräte zu verkaufen. Im Laufe der Jahre erwarb er ständig Grundstücke und erweiterte sein Angebot. 1992 wurde Udo Lermann, der sich zeitlebens auch für die Förderung von sozialen Einrichtungen und Vereinen einsetzte, zum Ehrenbürger von Marktheidenfeld ernannt.