Weil sie starke Bauchschmerzen hatte, aber wochenends die Praxen der Hausärzte geschlossen haben, hat eine 70-Jährige aus dem Raum Gemünden an einem Samstag im Dezember das Lohrer Krankenhaus aufgesucht. Von der Notaufnahme wurde sie in die im Krankenhaus angesiedelte KVB-Praxis geschickt. Von der Praxis der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) war die Frau, die anonym bleiben möchte, etwas schockiert.
Die diensthabende Ärztin habe in einem spartanischen kleinen Raum gesessen, ein Ultraschallgerät habe ihr nicht zur Verfügung gestanden. Ein Blutbild, etwa um die Frage zu klären, ob es sich um eine bakterielle oder Virusinfektion handelt, habe sie nicht erstellen können, und sie habe die Patientin auch nicht mal schnell rüber ins Krankenhaus schicken dürfen. Die Patientin, die zum Glück nichts Akutes hatte, verdattert: "Es gibt ja auch andere Fälle als meinen. Früher ist man am Wochenende zu den Ärzten, die Notdienst hatten, in die Praxis gekommen." Dort hätten sie die notwendige Ausstattung für Untersuchungen.
Die Ärztin, bei der die Patientin war, äußert sich auf Anfrage denn auch recht unzufrieden über die seit Oktober 2017 geöffnete KVB-Praxis. Über die Ausstattung sagt die Ärztin, die ihren Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen möchte: "Wir können ein EKG schreiben, das war's auch schon."
Früher habe es mit den vier ehemaligen Kreisstädten für die niedergelassenen Ärzte auch vier Dienstgruppen gegeben, wobei immer je einer im Raum Gemünden, Karlstadt, Lohr und Marktheidenfeld Bereitschaftsdienst in seiner Praxis hatte und Notfälle zu Hause besuchte. Jetzt gebe es für ganz Main-Spessart nur noch die eine KVB-Praxis, wo ein Arzt von 9 bis 22 Uhr "Sitzdienst" hat – "offiziell ohne Pause", so die Ärztin. Auf die Logistik des Krankenhauses zurückgreifen, etwa für ein Blutbild, gehe nicht, sagt sie.
Dr. Gerd Rybol, Obmann für den ärztlichen Kreisverband Lohr, hingegen sagt über die KVB-Praxis: "Ich sehe es positiver als viele andere." Es sei ja so gewesen, dass durch die immer kleiner werdende Zahl an Allgemeinärzten auch die früheren Bereitschaftsdienstgruppen Gemünden, Karlstadt, Lohr und Marktheidenfeld immer kleiner wurden. "Die Belastung für die Ärzte wurde immer größer", so Rybol, laut KVB zuletzt rund 600 Stunden jährlich pro Arzt. Für junge Ärzte sei dies ein "Knock-out-Kriterium" gewesen, sagt Rybol. Bei einem KVB-Praxis-Besuch des Autors an Heiligabend wirkten die anwesenden Ärzte zufrieden, der Andrang hielt sich in Grenzen.
Dass die Belastung durch den Bereitschaftsdienst früher ein großes Thema war, bestätigt auch Birgit Grain, Pressesprecherin der KVB. Vor der Reform sei bei der Nachbesetzung einer Praxis eine der ersten Fragen von jungen Ärzten gewesen, wie viel Bereitschaftsdienst sie leisten müssten. Da hätten viele abgewunken. Früher habe ein Arzt mit Bereitschaftsdienst in der Praxis auch sogleich Fahrdienst gehabt und bei einem Hausbesuch die Patienten in seiner Praxis warten lassen müssen.
Seitdem in ganz Bayern die Bezirke für den ärztlichen Bereitschaftsdienst größer geworden sind, sei es für die Ärzte entspannter geworden, sagt der Lohrer Arzt Rybol. "Man muss sich nicht mehr die Nächte um die Ohren schlagen und am nächsten Tag wieder ran." Heute habe ein Arzt einmal im Monat Notdienst, früher sei es drei-, viermal so viel gewesen. "Die Belastung ist überschaubar", sagt Rybol.
Die Ausrüstung in der KVB-Praxis findet er in Ordnung. Ein Ultraschallgerät vermisst er zwar, aber viele Kollegen machten gar keinen Ultraschall. Die Wartezeit in der KVB-Praxis sei, obwohl viele mit Bagatellsachen kämen, auch nicht länger als in seiner eigenen Praxis. Als Vorteil der neuen Praxis sieht er die Anbindung ans Krankenhaus und die Nachbarschaft zur Notaufnahme. "Wenn's jemandem schlecht geht, ist er schnell in der Notaufnahme."
358 Ärzte in der Bereitschaftsdienstregion AB/MIL/MSP
In der gesamten Region Aschaffenburg/Main-Spessart/Miltenberg stünden derzeit 358 Ärzte für Bereitschaftsdienste zur Verfügung, sagt KVB-Pressesprecherin Grain. Darunter seien freilich auch medizinische Psychotherapeuten und Fachärzte, die im Alltag keine Patienten mit einer Erkältung haben. Aber die Pflicht an der Teilnahme am Bereitschaftsdienst bestehe eben für alle niedergelassenen Kassenärzte und allen Nicht-Allgemeinärzten stünden Fortbildungen zur Verfügung. Es funktioniere. Wer es sich partout trotzdem nicht zutraue, der könne seinen Dienst auf einer "Diensttauschbörse" anbieten, dort griffen gerne Nachwuchsärzte zu, die Praxiserfahrung sammeln wollen, aber auch Krankenhaus- und Privatärzte.
Die Ausstattung sei bayernweit in allen 108 KVB-Praxen, davon 101 an Krankenhäusern angesiedelt, gleich, so Grain. Sie wundert es etwas, dass es in Lohr nicht möglich sein solle, ein Blutbild in der KVB-Praxis zu machen. Eine Basisdiagnostik müsste möglich sein, nur ein "großes Blutbild" nicht. Und für Röntgen- und Ultraschallaufnahmen müssten die Bereitschaftsärzte dem Krankenhaus einen Auftrag geben, die anschließende Auswertung könne dann in der KVB-Praxis stattfinden.
Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist unter der Rufnummer 116 117 zu erreichen. Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen ist der Notarzt unter der Rufnummer 112 zu verständigen. Die Öffnungszeiten der KVB-Praxis in Lohr sind: Mo., Di. und Do. 18–22 Uhr, Mi. und Fr.
16–22 Uhr und Sa. und So. sowie an Feiertagen 9–22 Uhr.