
Wirklich scheu wirkt er nicht, der junge Turmfalke, der in einer Rienecker Scheune in einem großen Drahtkäfig sitzt. Als Erich Schrötz vorsichtig die Handtücher lüftet, die den improvisierten Vogelkäfig bedecken, hüpft der Vogel sogar nach vorn. Er legt den Kopf leicht schief und betrachtet durch die Gitterstäbe neugierig Enkel Julian, der den Vogel sehen will, den sein Großvater unfreiwillig von einem Jagdausflug mitgebracht hat.
Seit mehr als vier Jahrzehnten geht Schrötz zur Jagd. Vor gut fünf Jahren hat er zusammen mit einem Freund das Revier Karsbach gepachtet. Der 64-Jährige Rentner war in den vergangenen Tagen immer wieder im Revier. Manchmal saß er morgens und abends auf dem Ansitz, um Wildschweine zu jagen. Gelegentlich konnte er dabei drei junge Turmfalken beobachten, die schon flügge waren.
Als er kürzlich wieder einmal spätabends vom Revier zu Hause in Rieneck ankam, bemerkte er, dass die Katze von Nachbarn neugierig um seinen am Straßenrand geparkten Pickup schlich. Schrötz ging ebenfalls ums Auto, um zu nachzusehen, was die Katze entdeckt hatte, da flatterte vom Trittbrett am Heck ein Vogel auf, der auf der anderen Straßenseite aber gleich wieder zu Boden ging.
15 Kilometer zwischen Revier und Haus
Immer wieder flatterte das Tier hoch, kam aber nicht richtig in die Luft. 20, 30 Meter die Straße hoch gelang es Schrötz den offenbar angeschlagenen Vogel zu fangen. Es handelte sich um einen jungen Turmfalken. Schrötz brachte ihn in einem provisorischen Käfig in der Scheune vor der Katze in Sicherheit. Und wunderte sich, was der Vogel hinter seinem Auto gemacht haben und wo er hergekommen sein könnte.

Er erinnerte sich an die drei jungen Turmfalken im Revier. Könnte es sich um einen von ihnen handeln? Doch zwischen Karsbach und Rieneck liegen 15 Kilometer. Schrötz konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass der Jungvogel die ganze Fahrt als Trittbrettfahrer mitgemacht hatte.
Dann erinnerte er sich, dass er auf dem Heimweg noch an der Avia-Tankstelle der Firma "J. Kittel Söhne" am Hofweg in Gemünden getankt hatte. Und Tankstellen haben Überwachungskameras. Schrötz rief am nächsten Morgen bei der Tankstelle an. Als er das Personal informierte, dass er gegen 23 Uhr getankt hatte, wurde man dort fündig. Schrötz bekam per E-Mail ein Foto geschickt, auf dem tatsächlich der Vogel auf dem Trittbrett des Pickups zu sehen ist.
In Auffangstation abgegeben
Der Turmfalke musste also mindestens seit Gemünden als blinder Passagier mitgefahren sein. Schrötz war sich danach aber sicher, dass es sich um einen der drei jungen Falken aus seinem Revier handelte. Das bestätigte sich einige Tage später, als er im Revier nur noch zwei Jungvögel beobachten konnte.

Schrötz brachte den Vogel zu Walter Reinhart. Er ist von Beruf Falkner und betreibt mit seinem Sohn Sven in Eichenfürst vor den Toren Marktheidenfelds eine Auffangstation, in der heuer neben anderen Greifvögeln schon um die 45 Turmfalken betreut wurden. Bei ihm hat sich der Jungvogel schnell erholt. Schon nach zwei Tagen flog er wieder. Reinhart vermutet, dass Hitze und Wassermangel den Falken geschwächt haben. Zusätzlich könnte er natürlich auch noch einen Schlag abbekommen haben. Er geht davon aus, dass der junge Turmfalke bald in der Umgebung der Falknerei ausgewildert werden kann.
Er hätte sich sowieso bald ein neues Revier suchen müssen. Turmfalken sind keine Zugvögel. Sie bleiben im Land. Jungvögel wie das Tier, das als blinder Passagier auf dem Auto von Erich Schrötz mitreiste, werden von den Eltern im August oder September vertrieben. Die Altvögel wollen ihr angestammtes Revier behalten, der Nachwuchs muss sich ein eigenes Revier suchen, so Falkner Reinhart.
Männchen schöner als Weibchen
Turmfalken sind relativ klein. Die Vögel werden nur etwa 200 Gramm schwer, erklärt Falkner Reinhart. Die Männchen sind dabei etwas kleiner als die Weibchen. Im Alter sind die männlichen Tiere mit ihrem auffällig grauen Kopf und Schwanz aber schöner als die Weibchen, so Reinhart. Das unterscheidet die Turmfalken von allen anderen bei uns heimischen Greifvogelarten, weiß der Falkner. Andere, größere Greifvögel sind im Übrigen die Hauptfeinde der Turmfalken: Uhu, Habicht, Wanderfalke, zählt Reinhart auf.
In der Natur werden Turmfalken vier bis acht Jahre alt. In menschlicher Obhut können die Vögel aber auch doppelt so alt werden, so Reinhart. Für den Falkner, der mit seinen Tieren regelmäßig auf der Ronneburg im Main-Kinzig-Kreis in Hessen Vorführungen macht, sind Turmfalken nicht von Interesse. Aufgrund ihrer Größe können sie auch nur kleine Beute machen. Und Mäuse oder gar Regenwürmer sind nicht das, auf was ein Falkner mit seinen Vögeln Jagd macht.