Im Jahr 1972 brachte der Kreissitzentscheid für Karlstadt die Menschen in Lohr zum Kochen. Heute, 45 Jahre später, sind die Wogen längst geglättet – und die damaligen Kämpfer für die Lohrer Sache ergraut. Sichtbares Zeichen: Die Anfang 1973 gegründete „Bürgeraktion Main-Spessart – Kreissitz Lohr a. Main“ hat sich aufgelöst.
Kindergärten dürfen sich über insgesamt mehr als 3000 Euro freuen
Darüber dürften sich Menschen besonders freuen, die mit dem Thema Kreissitzentscheid heute ganz und gar nichts anfangen können: die kleinsten Lohrer. Denn der sich auflösende Verein spendet sein durch Mitgliedsbeiträge über die Jahre auf über 3000 Euro angewachsene Vermögen den acht Kindergärten im Lohrer Stadtgebiet. Kassiererin Dorothea Olbrich überreichte den Vertreterinnen der Einrichtungen am Dienstag im Lohrer Rathaus je einen Umschlag mit 420 Euro.
„Leider hat es damals nicht geklappt. Doch heute sind die Wunden längst verheilt“, blickte Olbrich bei auf die turbulenten Monate des Kreissitzentscheids zurück. Bekanntlich war die Entscheidung in München damals für Karlstadt gefallen, was im deutlich größeren und zentraler im Landkreis gelegenen Lohr heftige Proteste auslöste.
Protestveranstaltungen organsiert und 27 000 Unterschriften gesammelt
Eine Reaktion war die Gründung der Bürgeraktion. Zu Hochzeiten zählte sie laut Olbrich rund 150 Mitglieder, darunter etliche Bürgermeister, Mandatsträger und Honorationen aus dem Raum Lohr. Die Initiative organisierte eine Protestfahrt nach München mit, zu der sich rund 4000 Menschen aus dem Spessart auf den Weg in die Landeshauptstadt machten. 27 000 Unterschriften sammelten die Kämpfer für die Lohrer Interessen damals. Zu einer von der Initiative initiierten Protestversammlung in der Stadthalle kamen im Februar 1973 rund 2000 Menschen. Unvergessen blieb vielen von ihnen der Moment, in dem der Lohrer Dekan Haller dabei dem damaligen Innenstaatssekretär Erich Kiesl anbot, ihm angesichts der Entscheidung für Karlstadt die Beichte abzunehmen.
Fünf Vereinsmitglieder beschlossen im Oktober die Auflösung
„Die Zeit hat sich geändert. Wir leben damit“, sagte am Dienstag Franz Engert. Der erst später nach Lohr gekommene Rechtsanwalt kennt die Geschichten um den Kreissitzentscheid nur vom Hörensagen. Er hat nun jedoch auf Bitten des Vereins dessen Auflösung über die Bühne gebracht. Den Beschluss dazu hatte die Mitgliederversammlung bereits im Oktober 2016 einstimmig gefasst. Zu der Versammlung waren fünf der rund 40 noch lebenden Mitglieder gekommen.
„Der Landkreis Main-Spessart hat sich an sich gewöhnt“, machte Engert deutlich, dass von den einst durch den Kreissitzentscheid aufgerissenen tiefen Gräben heute nichts mehr zu spüren sei. Die Grenze, die es noch Jahre nach dem Entscheid zwischen Lohr und Karlstadt gegeben habe, sei „gefallen“. Der einstige Vereinszweck der Lohrer Bürgerinitiative habe sich daher längst erübrigt.
Habe sich der Verein früher noch seinem per Satzung definierten Bestimmungszweck der Heimatpflege gewidmet und beispielsweise das Spessartmuseum, die Restaurierung des Aalschockers am Mainufer oder des Votivbildes in Mariabuchen unterstützt, ruhe das Vereinsleben seit Jahren. Der Beschluss zur Auflösung war angesichts dessen nur die logische Konsequenz.
Letzte Beschluss verdeutlicht, dass die Zukunft Lohrs das zentrale Anliegen war
Zum Abschluss fassten die Mitglieder jedoch noch einen Beschluss, mit dem sie auf ihre Art verdeutlichten, dass die Zukunft Lohrs stets das zentrale Anliegen der Initiative war: Das Vereinsvermögen solle an die acht Kindergärten im Stadtgebiet verteilt werden. Und so überreichte Kassiererin Olbrich am Dienstag im Rathaus Umschläge mit je 420 Euro an die Vertreterinnen der Kindergärten. Diese zeigten sich allesamt hocherfreut und versicherten, das Geld gut für Anschaffungen gebrauchen zu können.
Lohrs dritte Bürgermeisterin Ruth Steger erklärte, dass das Geld „gut angelegt“ und eine „Investition in die Zukunft“ sei.