Weil eine Gemündenerin im Dritten Reich ihres Mannes überdrüssig war und sich lieber mit durchreisenden Soldaten amüsierte, denunzierte sie ihn bei der Gestapo. Von einem Militärgericht wurde der Frontsoldat, ein gelernter Schreiner, im Heimaturlaub 1945 zum Tode verurteilt. Triumphierend verließ die damals 43-jährige Hilde B. den Gerichtssaal. Am Tag danach hörte die Nachbarschaft laut aufgedrehte Radiomusik. Doch das Verbrechen der Frau sollte nicht ungesühnt bleiben. Der Prozess gegen sie machte in der ganzen jungen Bundesrepublik und sogar im Ausland Schlagzeilen. „Ein trauriges Kapitel menschlicher Verworfenheit“ nannte die Main-Post damals die Tat der 43-Jährigen.
„Ein Mann, der so etwas sagt, ist nicht mehr wert, unter den Menschen zu sein“ – dies soll die gebürtige Höllricherin geäußert haben. Was der damals 39-Jährige, der ursprünglich aus Seifriedsburg kam, gesagt hat? Goebbels habe ein „großes Schlappmaul“ und es sei schade, dass Hitler am 20. Juli 1944 „nicht zum Teufel gegangen“ sei. Auch in Briefen soll er sich kritisch zum Dritten Reich geäußert haben.
Die Frau ging immer wieder zu Vertretern der Partei und zur Gemündener Polizei, sie wollte ihren Mann ans Messer liefern. Aufgrund ihres schlechten Leumunds unternahmen diese zunächst jedoch nichts. Erst als der NSDAP-Kreisleiter des Kreises Lohr-Gemünden, Eduard Röß, von den „wehrkraftzersetzenden“ Äußerungen des Mannes Wind bekam, kam die Sache ins Rollen. Am 10. Februar 1945 war der denunzierte Gemündener, der als Flaksoldat an der Ostfront kämpfte, wieder auf Heimaturlaub. Einen Tag später wurde er festgenommen. Am 26. Februar 1945 stand er vor einem Würzburger Militärgericht. Einziges Beweismittel gegen ihn: Die Aussage seiner Frau. Der Richter wollte denn Mann freisprechen. Dagegen protestierte Hilde B. jedoch vehement. Sie schwöre, dass er beleidigende Äußerungen gegen Hitler und Co. getan habe, sagte sie. Oberstabsrichter Blaßberg versuchte die 43-Jährige mehrfach davon abzubringen. Doch die war fest entschlossen. Unter Eid wiederholte sie ihre Aussage. Das war das Todesurteil für ihren Mann.
Es war klar: Sie wollte ihn loswerden. Zeugen berichteten, dass Hilde sich mit verschiedenen Männern amüsierte. Am Bahnhof soll sie sich durchreisende Soldaten geangelt haben. Einer ehemaligen Freundin sagte sie, sie wolle einen anderen Mann, „ihrer sei ihr nicht lebenslustig genug“. Nachdem ihr Mann sie bei der Durchreise mit einem anderen erwischt hatte und bei ihr Liebesbriefe von verschiedenen Männern gefunden hatte, schwärzte Hilde ihn das erste Mal an.
Der schließlich zum Tode Verurteilte kam einzig deshalb mit dem Leben davon, weil er im KZ Dachau in eine Strafkompanie gesteckt und an die Ostfront geschickt wurde. Ein Gemündener Polizeibeamter hatte ein Gnadengesuch eingereicht. Der Verurteilte kam in französische Kriegsgefangenschaft. Obwohl in seinem Soldbuch stand, dass er zum Tode verurteilt worden war, blieb er dort lange. Nach seiner Heimkehr wollte er nichts mehr mit der ganzen Angelegenheit und auch nicht mit seiner Frau zu tun haben. Hilde wurde nach Fahndungsaufrufen in Presse und Rundfunk im Mai 1948 in Erlangen festgenommen. Die Spruchkammer Gemünden interessierte sich für ihre Denunziation und verurteilte sie deswegen zu zwei Jahren Lagerhaft. Doch damit nicht genug.
Der Würzburger Oberstaatsanwalt beantragte einen Haftbefehl wegen schwerer Freiheitsberaubung. Die I. Strafkammer des Würzburger Landgerichts lehnte diesen im Mai 1949 ab. Es sei davon auszugehen, dass der Mann von einem „ordentlichen Militärgericht“ verurteilt wurde. „Wenn er aber von einem ordentlichen Gericht abgeurteilt wurde“, so das Landgericht, „ist auch anzunehmen, dass er gegen damals in Kraft befindliche ordnungsgemäß erlassene gesetzliche Vorschriften verstoßen hat.“ Nach dem Dritten Reich war dies eine beliebte Argumentation von Richtern.
Das Oberlandesgericht Bamberg hingegen erließ Haftbefehl gegen Hilde B. Im November 1949 kam es zu einem ersten Prozess gegen die nun 47-Jährige – wegen schwerer Freiheitsberaubung. Mitangeklagt waren zwei Gemündener, der eine SA-Sturmführer, der andere NSDAP-Ortsgruppenleiter. Bei diesen hatte die Frau ihren Mann denunziert. Beide wurden freigesprochen. Wenn der Richter, der das Todesurteil gefällt hatte, nicht mittlerweile gestorben wäre, wäre wohl auch er mit auf der Anklagebank gesessen.
Da im Verfahren die Zeugen Hilde stark belasteten, wurde ihr Verfahren abgetrennt. Plötzlich stand der Verdacht auf versuchten Mordes im Raum. Am 6. Februar 1950 wurde die Frau vom Schwurgericht Würzburg wegen versuchten Mordes und schwerer Freiheitsberaubung zu 14 Jahren Haft verurteilt. Nach einer Revision wurde sie aber überraschend freigesprochen. Doch die Staatsanwaltschaft gab keine Ruhe, legte gegen den Freispruch wiederum Revision ein.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass noch einmal verhandelt werden müsse. Im Dezember 1953 kam es zu einer Neuauflage des Prozesses in Würzburg. Die einst robuste Frau war nun zu einer schmächtigen Person zusammengefallen. Die neue Verhandlung wurde ein bundesdeutscher Musterprozess, von der Öffentlichkeit und der juristischen Fachwelt mit großer Spannung erwartet. Das Gericht verurteilte die Denunziantin zu sechs Jahren Zuchthaus. Begründung: Das Todesurteil sei rechtswidrig gewesen, die Frau habe sich des Gerichts als Mordwerkzeug bedient.
Besonders beschämend für die Frau war, dass ihr Mann nicht gegen sie aussagen wollte. Sie seien ja mal verheiratet gewesen. Die 1949 geschiedene Ehe war kinderlos geblieben. Der Mann gründete in Seifriedsburg eine neue Familie. Fünf Kinder gingen aus seiner zweiten Ehe hervor. Hilde B., geborene S., kam Anfang 1957 wieder auf freien Fuß.
Gemündener Fall nicht einzigartig
Dass der Gemündener Fall nicht alleine dasteht, zeigt ein Main-Post-Artikel vom 15. November 1949. Allerdings hat in diesem Fall eine Frau aus Schweinfurt ihren Mann, der in russischer Kriegsgefangenschaft weilte, als glühenden Nazi und ehemaligen SS-Angehörigen bezeichnet, was laut Artikel den Tatsachen in keiner Weise entsprach. Der Grund hier: Die Frau hatte während der Gefangenschaft ihres Mannes ein Verhältnis und ein Kind von einem anderen.
Die Frau hatte der russischen Lagerleitung in einem Brief denunziert und gebeten, diesen nach Sibirien zu verbannen. Zwar wurde dem Mann der Brief vorgelegt, der ihn als Lüge bezeichnete, indes glaubte man ihm nicht. Die Folge: Der Mann wurde verprügelt, sieben Wochen eingesperrt und anschließend in eine Straflager zu Schachtarbeiten verschickt. Erst Ende 1949 wurde er entlassen, kam nach Hause und erstattete bei der Polizei Anzeige. Die Frau war geständig.