Die Energiekrise sorgt auch am regionalen Markt für kuriose Zustände, die sich vor einem Jahr noch niemand hat vorstellen können. Ein Beispiel: Bei der Energieversorgung Lohr-Karlstadt (kurz: die Energie) sind derzeit Kundenzugewinne kein Anlass für ausgelassene Freude. Denn je mehr Kunden das Unternehmen hat, desto größer ist angesichts rapide steigender Preise das Risiko, dass nicht bezahlte Rechnungen große Löcher in die Kasse reißen. Das schilderte Energie-Geschäftsführer Marek Zelezny am Mittwoch im Lohrer Stadtrat.
Zelezny gab bei seinem turnusmäßigen Jahresbericht Einblicke in "eine der schwierigsten Zeiten, die die Energieversorgung hinter sich und noch vor sich hat". Trotz all der Turbulenzen scheint es eine Konstante zu geben: Zelezny stellt für das laufende Geschäftsjahr einen Überschuss von rund 4,95 Millionen Euro in Aussicht. Im vergangenen Jahr waren es gut 5,2 Millionen Euro, im Jahr davor gut 5,1 Millionen.
Keine Stabilität mehr
Der jährliche Überschuss ist für die Stadt Lohr deshalb von besonderer Bedeutung, da sie einen Anteil von gut 26 Prozent am Strom- und Gasversorger hält. Die Überschussbeteiligung in Millionenhöhe dient der Kommune zur Quersubventionierung der Stadtwerke. Erst im Juli waren wieder knapp 1,2 Millionen Euro an alljährlichem Labsal auf dem Konto der Stadt gelandet.
Zelezny bezeichnete das Jahr 2021 als für die Energieversorgung "relativ erfolgreich" sowie "stabil und ruhig". Zumindest mit der Stabilität und Ruhe ist es seit Monaten vorbei. Der Ukraine-Krieg und die daraus resultierenden Verwerfungen im Energiesektor machen auch der Energieversorgung das Wirtschaften schwer.
Für den Bereich Strom sprach Zelezny von einer "außerordentlich schweren" Situation. Es mache schlicht "keinen Spaß, extrem hohe Rechnungen zu verschicken". Viele Kunden wüssten nicht, wie sie diese Rechnungen bezahlen sollen.
Als Grundversorger ist die Energie verpflichtet, Strom- und Gaskunden in der Region aufzunehmen, die von anderen Anbietern nicht mehr versorgt werden. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Kunden in den Sparten Strom und Gas so um je rund 75 gestiegen.
Wie geht es weiter?
Die Befürchtung sei, so Zelezny, dass zum Jahreswechsel viele weitere Kunden von ihren Versorgern vor die Tür gesetzt werden. Für diese Neukunden müsste die Energie dann zu aktuellen Preisen Strom oder Gas einkaufen.
Zelezny sprach von Versorgern, die ihre Kunden "rausekeln", auch von "kriminellem Verhalten". Dies bestehe darin, dass manche Gasversorger ihre Kunden rauswürfen, um das für diese Kunden noch zu günstigen Konditionen eingekaufte Gas zu aktuellen, rapide gestiegenen Preisen weiterzuverkaufen. Würde die Energieversorgung Lohr-Karlstadt so agieren, könnte sie auf die Schnelle über 60 Millionen Euro verdienen, rechnete Zelezny vor. Doch das sei keine Option.
Wie es mit der Gasversorgung generell weitergeht, weiß derzeit niemand. "Wir gehen jedoch nicht von einem abrupten Ende aus", so Zelezny. Mittelfristig sehe man die nachhaltige Versorgung mit Gas aber als fraglich an. Deswegen hat die Energie die Investitionen in ihr Gasnetz deutlich zurückgefahren. Zelezny rechnet damit, dass in zwei bis fünf Jahren klar ist, ob es ein "Ende der fossilen Brennstoffe oder eine Fortführung der Gasversorgung" geben wird.
Investitionen ins Stromnetz
Anders als beim Gasnetz investiert die Energie derzeit kräftig in ihr Stromnetz. Grund ist laut Zelezny ein Großkunde in Lohr, aber auch der extrem gestiegene Neubau von Photovoltaik-Anlagen. Für diese Anlagen müsse man das Niederspannungsnetz "mit enormem Aufwand ausbauen". Problem dabei: rapide gestiegene Materialkosten und ellenlange Lieferzeiten für manche Komponenten.
Die derzeitige Diskussion darüber, ob und wann die Gasumlage wieder gekippt wird, bezeichnete Zelezny als Blamage. Viele wüssten offenbar nicht, dass die Gasumlage gar nicht schnell wieder gestrichen werden könne. Grund: Energieversorger seien verpflichtet, Preisänderungen sechs Wochen im Voraus anzukündigen. Deswegen, so Zelezny, könne die Gasumlage frühestens zum 1. Dezember, wahrscheinlich sogar erst zum 1. Januar zurückgenommen werden. Da jede Preisänderung den Kunden per Post mitgeteilt werden müsse, koste dies die Energie 60.000 Euro pro Umstellung.
"Wir brauchen eine Preisbremse"
Zur Preisentwicklung bei Strom und Gas sagte Zelezny gegenüber der Redaktion: "Wir brauchen eine Preisbremse." Es sei weder Versorgern noch Kunden geholfen, wenn die Preise weiter durch die Decke gingen und dann von immer mehr Kunden nicht gezahlt werden könnten. Sicher handle es sich bei einer Preisbremse um einen Eingriff in den Markt, doch aufgrund der außergewöhnlichen Lage sehe er keine Alternative.
Bürgermeister Mario Paul sprach davon, dass die Energieversorgung in stürmischen Zeiten ein Fels in der Brandung sei – "auch wenn das die Kunden zum Teil nicht so wahrnehmen". Im Gegensatz zu manch anderen Versorgern stehe die Energie jedoch für eine stabile Versorgung ihrer Kunden.