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Karlstadt
Klettergarten am "Edelweiß": So war das früher
Der heute 75-jährige Fred Gehret gehört zu denen, die selbst dabei waren. Aus der Gruppe gingen erfolgreiche Alpinisten – wie er selbst – hervor.
Fred Gehret an einer Stelle, an der er früher in den Fels eingestiegen ist. 
Foto: Karlheinz Haase | Fred Gehret an einer Stelle, an der er früher in den Fels eingestiegen ist. 
Karl-Heinz Haase
Karlheinz Haase
 |  aktualisiert: 08.02.2024 19:09 Uhr

"Wer am ,Edelweiß' klettern kann, der kann es auf der ganzen Welt." Diesem Spruch scheint Fred Gehret gefolgt zu sein. Der heute 75-Jährige Karlburger lernte in den 1960er Jahren das Bergsteigen im Klettergarten am Kalbenstein, wie der Berg nördlich von Karlstadt korrekterweise heißt. In den Alpen bezwang er später zahlreiche schwierige Touren im Fels.

Heute ist das Klettern am "Edelweiß" aus Gründen des Naturschutzes verboten. Auch ist der dortige Muschelkalk äußerst brüchig. Oft lassen sich flache Steine aus diesem sogenannten Wellenkalk mit der bloßen Hand herauslösen. "Wenn du einen Griff verwendet hast, dann steck' ihn hinterher zurück", lautet ein launiger Spruch zu diesem Thema. Nur noch der Klettersteig, der sogenannte "Lenzsteig", den der Alpenverein vor einigen Jahren neu gesichert hat, darf erklommen werden.

Training im Klettergarten am 'Edelweiß'.
Foto: Fred Gehret | Training im Klettergarten am "Edelweiß".

Gehret sagt, der Fels sei in seiner Jugendzeit schon genauso brüchig gewesen. Hier am Kalbenstein habe er sich angewöhnt, jeden Griff und jeden Tritt auf seine Festigkeit hin zu überprüfen. "Darüber bin ich heilfroh, denn das habe ich weiterhin überall so gemacht, auch im eigentlich völlig stabilen Granit oder im Dolomit."     

Jedes Wochenende am Fels

Durch seinen Bruder Fredl kam er 1966 erstmals mit dem Klettern in Berührung. "Da gab es eine Jungmannschaft mit 20 bis 30 Mann, die hier jedes Wochenende kletterte. Wir haben uns Karabiner, Rucksack und Seil gekauft und dann ging es los." Das war kein organisierter Ausbildungskurs, sondern jeder habe vom anderen gelernt. 

Kunststoffseile gab es schon, jedoch zunächst keinen Gurt und erst recht nicht Sitzgurte, wie sie heute üblich sind. "Wir haben uns noch ins Seil eingebunden." Bald kamen die ersten Brustgurte auf. Die bestanden zunächst aus vierfach oder sechsfach aneinandergereihtem Seilmaterial. Am Edelweiß wurde oft auch noch ohne Helm geklettert. "Wir hatten Kappen auf, die wir zur Polsterung mit Zeitungspapier ausgelegt haben", berichtet Fred Gehret. Helme schafften sich die Jungs erst an, als es auch in die Alpen ging. Und zum Abseilen gab es noch keine Hilfsmittel wie den Abseilachter. Angewandt wurde der sogenannte Dülfersitz, bei dem das Seil um einen Oberschenkel und über die Schulter läuft.

Abseilen am 'Babyfelsen' – früher ohne große Hilfsmittel.
Foto: Fred Gehret | Abseilen am "Babyfelsen" – früher ohne große Hilfsmittel.

Dass es im Klettergarten am Edelweiß 60 verschiedene Touren gab, davon zeugt ein Bild, das in der dortigen Falteshütte des Alpenvereins hängt. Sie tragen Namen wie "Stemmkamin", "Dillmaierweg", "Pfingstweg", "Große Traverse" oder "Honolulu" und hatten alle Schwierigkeitsgrade bis zur sechs, was damals als das schwierigste galt. Typisch für den Kalbenstein sind die vielen horizontalen Routen. Sie nutzen die stabileren sogenannten "Bänke" des Muschelkalks. Nur wenige Durchstiege führen ganz nach oben.   

Hinterher kam die Klampfe raus

"Wir waren von Freitag bis Sonntag am ,Edelweiß'", berichtet Gehret. Nach dem Klettern kam die Klampfe raus und es wurde die halbe Nacht gefeiert. Die Burschen der Jungmannschaft kamen teilweise aus der näheren Umgebung, aus Würzburg, Aschaffenburg oder sogar aus Offenbach.

Geselligkeit war angesagt bei den Kletterern in den 1960er Jahren.
Foto: Fred Gehret | Geselligkeit war angesagt bei den Kletterern in den 1960er Jahren.

Als Fred Gehret nach Stuttgart ging, um eine Aufbauschule für Gartenbau zu besuchen, verbrachte er jede freie Minute an den Uracher Felsen in der Schwäbischen Alp. 1970 und 71 lebte er in den Alpen, arbeitete im Winter in Saas-Fee als Skilehrer und beim Skiservice in einem Sportgeschäft, um im Sommer zu klettern.

Dabei bewältigte er eine Vielzahl von Routen, die als schwierig bekannt sind: an den Drei Zinnen (Dolomiten) mehrere Routen der Großen-Zinne-Nordwand wie "Direttissima" oder "Comici", an der Westzinne "Franzosenführe",  "Via Italia" in der Sella-Gruppe, die Marmolata-Südwand, in den Westalpen den Bonatti-Pfeiler, alle Touren im Wilden Kaiser, darunter  die "Fleischbank-Südost-Verschneidung", sowie den linken Freney-Pfeiler am Mont Blanc. In der Sellagruppe traf er die Brüder Reinhold und Günther Messner.

Klettern in den USA

1972 ging es in den USA weiter. Dort erkletterte Gehret Felsnadeln in den Black Hills nahe des Mount-Rushmore-Denkmals mit den vier Präsidentenköpfen. Nicht fehlen durfte der Yosemite-Nationalpark, weltbekanntes Kletter-El-Dorado. "In den USA lernte ich eine andere Art zu klettern kennen", berichtet der Karlburger. Es wurden weniger Haken geschlagen beziehungsweise diese  hinterher wieder entfernt. Und neu waren für ihn Alu-Klemmkeile.

In der Bob-Marshall-Wilderness übte er zwei Monate lang sich alleine durchzuschlagen und das zu essen, was ihm die Natur bot, vor allem Fische und Pflanzen. Beginnende Halluzinationen gehörten mit zu diesem Experiment. "Ich unterhielt mich unterwegs mit Steinen und Bäumen und glaubte irgendwann, meinen Kumpel zu treffen, während er Holz sammelt."

Ein alter Kletterhaken zeugt vom ehemaligen Klettergarten.
Foto: Karlheinz Haase | Ein alter Kletterhaken zeugt vom ehemaligen Klettergarten.

1973 kam die völlige Abkehr vom Klettern. Fred Gehret wurde Vertreter und Marketingleiter für Agrarchemie, kümmerte sich um die Finanzierung von Großanschaffungen für Arztpraxen,  übernahm ein Zahntechniklabor, baute es auf eine Größe von 60 Mitarbeitern aus und handelte mit Biolabors für die Ukraine und Marokko.     

Rückkehr zu den Anfängen

Um das Jahr 2000 herum ging er noch einmal mit seinen Kindern Klettersteige in der Brenta, bis diese sich bald selbstständig auf den Weg machten. Und vor einem Jahr kam Fred Gehret dahin zurück, wo die Kletterei für ihn ihren Anfang nahm: Er bewirtete sonntags die Falteshütte am "Edelweiß".  

Tragödien am Berg

Am 4. Juli 1965 kam es im Klettergarten am "Edelweiß" zu einem tödlichen Unfall. Volkmar Franke, Jahrgang 1946, stürzte ab. Der Karlstadter Architekt Alfred Wiener gehörte als Bergsteiger zu denen, die versuchten, das Leben des Verunglückten zu retten. Er erinnert sich, der Betreffende habe oben am Standhaken gestanden. Ein anderer, der wohl über ihn hinausstieg, sei ins Seil gestürzt und habe überlebt. Durch das gespannte Seil sei der Standhaken herausgeflogen. Der Bergsteiger sei regelrecht herauskatapultiert worden. Tragisch war, dass es kein Telefon in der Nähe gab. Zweimal seien Kollegen losgefahren, um Hilfe zu holen. Die Bergsteiger transportierten den Schwerstverletzten mit einem Feldbett zu Tal und wollten ihn zu einem Krankenhaus fahren. An der Schranke des "Karlburger Blocks" (nahe der heutigen Karlstadter Kläranlage) habe man schließlich den Rettungswagen angetroffen. Die Sanitäter seien bereits zweimal unterwegs gewesen und durch ein Missverständnis jeweils zurückbeordert worden.
Fred Gehrets Bruder Fredl kam 1969 in der Nähe von Bad Reichenhall beim Bergsteigen ums Leben. Er war alleine auf Tour gegangen. Seine Leiche wurde auf einem Gletscher am Watzmann gefunden. 
Es gab aber auch ein Ereignis, das wie durch ein Wunder gut ausging. Jahrelang lag ein zertrümmertes Auto unterhalb der Felswand im Geröll. Ein Lebensmüder hatte versucht, sich mit dem Auto vom "Edelweiß" herab in den Tod zu stürzen. Er soll unverletzt überlebt haben.
Quellen: Alfred Wiener, Fred Gehret, Karlheinz Haase 
 
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