
Auch mit 86 Jahren steigt Lore Göbel noch tapfer die steile Treppe von der Aschfelder Herrngasse hinauf zum verschlossenen Turm der Wehranlage. Die "Mutter der Kirchenburg" hat hier seit 40 Jahren gewissermaßen ihre zweite Heimat. Mit dem damals üblichen großen Schlüssel öffnet sie das Tor zur am besten erhaltenen Kirchenburg im Landkreis Main-Spessart.

"Hier, wo jetzt die Treppe ist, war bis 1922 ein beschwerlicher Fahrweg als einziger Zugang in die Anlage, denn erst im Zuge des Baus der Schule im Westen der Gadenmauern wurde der jetzige großzügige Eingang geschaffen. Wer damals seine Vorräte in den dortigen Kellern einlagern oder abholen wollte, musste sich mit seinem Fuhrwerk oder mit dem Karren auf den beschwerlichen Weg nach oben machen", sagt sie.
Ein Blick weit zurück: Das Dorf Aschfeld wurde 781 erstmals urkundlich erwähnt. Durch seine Lage an der Kreuzung der Hauptverkehrsachsen Fulda-Hammelburg-Würzburg in Nord-Südrichtung und der West-Ost-Verbindung als Fortsetzung des "Birkenhainer Weges" stand es wohl immer im Fokus des Handels, aber auch feindlicher Begehrlichkeiten.
Schutz vor umherziehenden Kriegshorden
Die Geschichte der Aschfelder Kirchenburg könnte man in drei Phasen einteilen: die Fliehburg, die Vorratskammer und das heutige Heimatmuseum. In der erste Phase ist sie eine Fliehburg gewesen. Zu diesem Ergebnis kommt auch Hans Beier in seiner Dorfchronik aus dem Jahre 1981. Die Menschen suchten in ihr Schutz vor umherziehenden Kriegshorden. Die letzte Belagerung war im Dreißigjährigen Krieg. Es ist nicht bekannt, dass die Anlage jemals bei einer Belagerung eingenommen worden wäre.
Zudem galt die Kirchenburg mit der Bonifatiuskirche in der Mitte und dem Friedhof als sogenannter heiliger Bezirk, der durch ungeschriebenes Gesetz besonders geschützt war. Solche Anlagen gab es im fränkischen Land an mehreren Orten, beispielsweise auch in Stetten im Werntal, aber kaum eine ist so gut erhalten wie die in Aschfeld.
Die Kirchenburg liegt auf einem Felsvorsprung, der nach drei Seiten steil abfällt und an der fast ebenen Westseite durch eine starke Mauer mit Schießscharten gegen Angriffe geschützt war. Der damals einzige Zugang im Osten wurde durch einen viereckigen gedrungenen Turm gesichert.

Das Besondere dieser Anlage aber sind die Gaden an den Innenmauern, die in der zweiten Phase als Vorratskammer an Bedeutung gewannen. Im Althochdeutschen bedeutet "gadam" oder "gadum" Raum, Gemach, Scheune. Die Wohnanwesen im Tal nahe dem Aschbach hatten wegen des möglichen Hochwassers gewöhnlich keine Keller. Deshalb lagerten die Menschen ihre Vorräte in den Kellern der Kirchenburg oder den an die Mauern angebauten Gaden. Diese gab es in vielen ähnlichen Kirchenburgen – in Resten sind sie auch in Stetten erhalten.
Lore Göbel erzählt aus ihrer Kindheit: "Es war immer sehr mühsam, die mit Rüben, Kartoffeln, eingelegten Eiern oder Most beladenen Rinderfuhrwerke bergauf zu bringen und die Sachen dann auf den ausgetretenen, unregelmäßigen Steinstufen in die Keller zu schleppen." Im Winter ging es dann umgekehrt. Weil man meist bis zur Dämmerung arbeitete, mussten die Vorräte im Dunkeln im Licht der Stalllaterne wieder hergeholt werden. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts verlor diese Vorratswirtschaft an Bedeutung und damit gerieten auch die Gaden in der Kirchenburg aus dem Blickwinkel – sie drohten zu verfallen.
Mit Heimatstube begann die dritte Phase
Die Wende – und damit auch die dritte Phase – begann Anfang der 1980er Jahre zur 1200-Jahrfeier von Aschfeld mit dem Dreigestirn Lore Göbel, ihrem Bruder Hans Beier sowie Lehrer Wolfgang Kaufmann, die vom langjährigen Bürgermeister Herbert Schneider tatkräftig unterstützt wurden. Anlässlich der Jubiläumsfeier wurde in einer der Gaden eine Heimatstube eingerichtet und stieß auf sehr großen Zuspruch. Der Anfang war gemacht.
Seit 1993 ist die Kirchenburg fester Bestandteil des landesweiten "Tag des Offenen Denkmals" und seitdem wurde zu jeder Veranstaltung ein neuer Gaden hergerichtet, eingerichtet und der Öffentlichkeit vorgestellt. Heute ist man stolz auf 20 eingerichtete Räume und Plätze.

Nostalgische Gefühle erfassen die etwas älteren Besucher beispielsweise im Krämerladen: die Verkaufstheke mit den Regalen und Schubladen im Hintergrund, die manuelle Waage, Behälter für Essig und Öl und die "Krutsch-Schublade" mit allerlei Kurzwaren wie Garne, Reißverschlüsse und Knöpfen. Ziemlich ratlos stehen viele junge Besucher wahrscheinlich vor dem schwarzen Telefon mit der Wählscheibe.
Bezaubernd ist die Idee, die nahezu authentisch eingerichtete "Darlehnskasse" als Trauzimmer zu nutzen. Im intimen und beschränkten Raumangebot kann man sich bei romantischem Kerzenschein im Beisein der Familie und der allerbesten Freunde das Ja-Wort geben. Weil Aschfeld von altersher ein landwirtschaftlich und handwerklich geprägtes Dorf war, zeigen viele der Gaden diese jeweiligen Arbeiten. Es gibt die "Tenn" und die "Barn" mit bäuerlichen Fahrzeugen und Groß- oder Kleingeräten. In der Werkstatt sind alte Arbeitsplätze mit Werkzeugen dargestellt und nachdem in Eußenheim die bekannte Büttnerei Assmann noch aktiv ist, gibt es natürlich auch die Büttnerei.
Reise in die Vergangenheit
Eine Reise in die jüngere Vergangenheit für junge Leute ermöglicht die "Alte Schule" mit den besonderen Sitzbänken, mit der Wendetafel und den alten Schreibgeräten wie Tintenfass sowie Federkiel. Auch der berüchtigte Erziehungsstock an der Wand fehlt nicht. Viel, viel weiter zurück in die Vergangenheit gehen die Exponate in der "Fundgrube". Hier werden hochinteressante Stücke aus der Vor- und Frühgeschichte des Dorfes ausgestellt.

Kurios und staunenswert ist auch die Baderstube mit den ehemals üblichen Geräten zur "professionellen Körperpflege" und den Zangen zur Zahnbehandlung. Der Steinbruch am Rand des Mauerrings gibt Einblicke in die harte Arbeit der dort Beschäftigten. Die Ausstattung der 20 Gaden wurden in der überwiegenden Mehrzahl von Menschen aus Aschfeld oder der näheren Umgebung beigesteuert, viele davon sind Dauerleihgaben.
Immer wieder wird die Kirchenburg mit Leben gefüllt. Zu größeren Jubiläen und Dorffesten sind nicht nur die Gaden geöffnet und es werden Führungen angeboten, es gibt dann auch teilweise opulente kulinarische Angebote und "viel Volk" bereichert den Platz.
1296 kleines Beginenklösterchen eingerichtet
Gern gesehene Gäste sind hier die Beginen. Diese Angehörigen eines Laienordens lebten zwar außerhalb von Klöstern, führten aber dennoch als loser Zusammenschluss ein frommes, asketisches Dasein. Eine alte Schenkungsurkunde sagt, dass im Jahre 1296 hier im Bereich des Wehrturms ein kleines Beginenklösterchen eingerichtet worden sei. Dieses hatte bis zu diesem Zeitpunkt im Flurteil "Ispenkammer" gestanden, zu dem heute noch das "Nonnenpfädchen" führt.

Ein Anlass zu einer belebten Kirchenburg ist der 12. September diesen Jahres. Da feiert Aschfeld die erste Erwähnung des Dorfes vor 1240 Jahren, das Datum der Einweihung der Pfarrkirche inmitten des Gadenrings vor 340 Jahren und die "Wiedererweckung" der Gadenreihen mit der ersten Ausstellung vor 40 Jahren. An diesem Tag werden nicht nur alle Gaden geöffnet sein, sondern es wird in beschränktem Umfang auch eine Bewirtung für die Gäste stattfinden.
Wer an anderen Tagen hinter die Kulissen und somit in die einzelnen Gaden schauen will, sollte sich bei Lore Göbel, Telefon (0 93 50) 379, oder bei der Gemeinde Eußenheim, Telefon (0 93 53) 97-470, um einen Termin bemühen. Göbels Führungen sind längst über die Grenzen der Region hinaus bekannt und werden teilweise sogar von Mainkreuzfahrtschiffen als Ausflug gebucht. Nicht selten hat Göbel Besucher aus Übersee als Gäste.
Zum Autor: Günter Roth war lange Lehrer im Werntal und ist mit der Heimatgeschichte vertraut. Er ist zudem stellvertretender Vorsitzender der Geschichtsfreunde Stetten.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.