Als Sebastian auf die Welt kommt, hat er keine lange Lebenserwartung. Seine Eltern, die in der Nähe von Würzburg wohnen, merken schnell, dass mit ihrem „Basti“ etwas nicht stimmt.
Sie haben bereits zwei Buben, als ihr dritter geboren wird. Doch er atmet unregelmäßig, verhält sich auffällig und hat Schluckstörungen. Nach drei Monaten stellt eine Neurologin per Computertomograf fest, dass Sebastians Kleinhirn so gut wie nicht angelegt ist. Der Junge hat eine äußerst seltene Erbkrankheit – Pontozerebelläre Hypoplasie (Typ 2), die seine Lebensspanne einschränkt. Doch diese Diagnose stellt ein Arzt erst, als Basti 16 Jahre alt ist. Bis dahin sind die Mediziner überfragt und die Eltern ratlos.
Allein gelassen
„Wir haben uns allein gelassen gefühlt, hilflos“, sagt Mutter Anke rückblickend. Sie weint anfangs viel. Vater Volkmar arbeitet in Vollzeit; die Rückkehr der Mutter in ihren Beruf ist plötzlich undenkbar geworden. „Du hast keine Perspektive mehr“, ist ein Gedanke, der sie bewegt. Ihr Alltag mit Basti ist beschwerlich. Er findet keinen Tag-Nacht-Rhythmus und schreit oft. Länger als drei Stunden am Stück schläft er nicht.
Trinken, essen dauert Stunden. Das geht die ersten drei bis vier Jahre so. Mit der Zeit lernt Bastis Mutter, „nur noch zu funktionieren“. Ihre Gefühle wechseln. Mal denkt sie: „Das schaffen wir irgendwie!“ Dann wieder: „Wenn nicht, lasse ich ihn gehen – dorthin, wo er keine Schmerzen mehr hat. . .“
Unzählige Artzbesuche
Es folgen unzählige Arztbesuche, Therapien und Klinikaufenthalte. Tatsächlich bessert sich Bastis Zustand, nachdem er im Alter von sechs Jahren an der Speiseröhre operiert wird. Mutter Anke erinnert sich: „Das war kein schönes Bild, so ein kleines Männchen an den Schläuchen zu sehen.“ Aber ihr Sohn habe einen unwahrscheinlichen Lebenswillen gezeigt und sich gut erholt. Basti wird ausgeglichen, ruhiger und weint nicht mehr so viel. „Nach der OP konnte ich ihn besser annehmen, wie er ist“, sagt seine Mutter. Ihr Ziel: „Er soll nur noch Freude am Leben haben.“
Dennoch bleibt der Junge ständig auf Hilfe angewiesen. Die Schulzeit absolviert der Schwerst- und Mehrfachbehinderte im Blindeninstitut in Würzburg. Heute ist Basti ein junger Mann, Mitte 20, und besucht die Tagesförderstätte für Erwachsene des Blindeninstituts. Ist er zu Hause, müssen die Eltern selbst für ihre Entlastung sorgen.
Nur kurze Auszeiten
Seit einigen Jahren gönnt sich die Familie jeweils 14 Tage Auszeit im stationären Kinderhospiz in Bad Grönenbach im Allgäu. Dort herrscht eine Rundum-Versorgung für ihren dritten Sohn, während sich die Eltern erholen können. In ihrer Heimat in Unterfranken hat die Familie weitere Unterstützung gefunden. Der Kinderhospizverein Sternenzelt Mainfranken mit Sitz in Marktheidenfeld bietet einen ambulanten Dienst an, der Familien mit schwerstkranken Kindern betreut. Der Marktheidenfelder Peter Pfeuffer ist Mitglied im Verein und arbeitet ehrenamtlich als Familienbegleiter. Etwa alle zwei Wochen verbringt er seinen Sonntagnachmittag mit Basti – das bedeutet Freizeit für die Eltern.
Verlässliche Pfeiler
„Wenn Peter nicht da wäre, könnten wir nicht fort“, sagt Bastis Mutter über den Helfer. „Das stationäre und das ambulante Kinderhospiz sind unsere Pfeiler, auf die wir uns verlassen können.“ „Ist Peter im Haus, kann ich sofort abschalten“, erklärt sie das unbedingte Vertrauensverhältnis. Vater Volkmar ergänzt: „Das ist eine Möglichkeit für uns als Familie, eine Auszeit zu nehmen.“ Peter Pfeuffer hat sich lange auf seinen Einsatz vorbereitet. Ein Jahr war er Mitglied im Verein, hat dann die Ausbildung zum Familienbegleiter gemacht, die sich über ein dreiviertel Jahr hinzog. Zeitungsberichte haben den 47-Jährigen einst auf die ambulante Arbeit des Kinderhospizvereins aufmerksam gemacht; eine schwerbehinderte Frau in der Verwandtschaft hat ihn für das Thema sensibilisiert. Von sich selbst sagt Pfeuffer: „Ich glaube, ich habe relativ viel Glück im Leben gehabt.“ Er hat drei gesunde und gut entwickelte Kinder.
Am Anfang kostet es Überwindung
Dennoch oder deswegen hat es den Ingenieur am Anfang Überwindung gekostet, sich in der Ausbildung mit den Themen Tod und eigene Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. „Das ist sehr an mich gegangen“, gibt er zu. „Aber man kann sich besser in andere hineinversetzen, wenn man selbst Schmerz empfunden hat“, lautet seine Erfahrung. Und brisante Themen behandelt die Ausbildung genug. Schließlich wissen alle Teilnehmer: Sie haben es in der Praxis mit Familien zu tun, die ein schwerst, oft lebensbedrohlich erkranktes Kind pflegen.
Pfeuffer brennt nach seiner Ausbildung darauf zu helfen. Zugleich weiß er: „Man muss es beiderseits versuchen. Wenn es nicht passt, sagen wir es offen und ehrlich.“
Es passt
Bei Pfeuffer und Bastis Familie passt es. Man vertraut sich. Pfeuffer sagt über seine Aufgabe: „Ich habe keine Erwartung und somit keine Enttäuschung. Es ist einfach schön zu sehen, wenn ich Basti helfe und es ihm etwas bringt.“ Schon etwa 40 Mal ist Pfeuffer zu der Familie gefahren. Sorge, etwas falsch zu machen, hat er nicht. Essen und Trinken an den jungen Mann zu verabreichen, sind für ihn ebenso wenig ein Problem wie das Wickeln.
Distanz trotz Nähe
Bei aller Empathie versucht der Begleiter, „eine emotionale Distanz zu wahren“, auch wenn das schwer fällt, denn Pfeuffer ist „nah dran“, wie er sagt. Aber er weiß: „Ich muss auch nach mir selbst schauen. Wenn mich die Aufgabe zu sehr belasten würde, könnte ich sie nicht übernehmen.“
Deshalb wird auch der Betreuer betreut. Jeden Monat treffen sich die Familienbegleiter zum Austausch im Kinderhospizverein; einmal im Jahr gibt es eine Einzelsupervision. Und auch Pausen in der Familienbegleitung wären möglich. Pfeuffer braucht sie bisher nicht: „Ich würde sonst etwas vermissen“, sagt er.
Was gibt ihm sein Ehrenamt? „Der Weltschmerz relativiert sich“, erklärt Pfeuffer nachdenklich. „Und die eigenen Probleme werden ein Stück kleiner.“
Kinderhospiz Sternenzelt Mainfranken e. V.
Der Marktheidenfelder Verein hat 172 Mitglieder und 27 ehrenamtliche Familienbegleiter. Zwei hauptamtliche Koordinatorinnen betreuen sie.
Das Vereinshaus in der Bahnhofstraße in Marktheidenfeld ist Anlaufstelle für Familien mit schwerstkranken Kindern, die eine Begleitung wünschen oder den Austausch mit anderen Familien suchen. Dort finden auch die regelmäßigen Treffen der Familienbegleiter statt. Info: www.kinderhospiz-sternenzelt.de
Zurzeit erhalten zehn Familien für drei bis vier Stunden in der Woche unentgeltlich Besuch von ein oder zwei Begleitern. Kommen zwei, kümmert sich einer um das kranke Kind und der andere um die Familienmitglieder.
Anders als im Erwachsenenhospiz geht es in der Kinderhospizarbeit nicht um Sterbe-, sondern um Lebensbegleitung. Die Ehrenamtlichen sorgen für Entlastung im Familienalltag. Dennoch endet manche Begleitung mit dem Tod eines Kindes. Danach bietet der Marktheidenfelder Kinderhospizverein ein Jahr lang seine Trauerbegleitung an.
Ein stationäres Kinderhospiz gibt es in Unterfranken nicht. Das war das ursprüngliche Ziel des Marktheidenfelder Vereins, der sich davon zurückgezogen hat. Er arbeitet rein ambulant weiter. An seiner Stelle streben nun die Würzburger Johanniter den Bau eines Kinderhospizes an. Dafür suchen sie eine geeignete, günstige Fläche. abra
Es gibt viel zu wenige wie Sie!