
Konzentriert laufen sie über den im Herbst gepflügten Acker, suchen jeden Zentimeter mit ihren Augen ab. Zum Glück hält sich der Landwirt, der ihn bewirtschaftet, nicht an die immer weiter um sich greifende Sitte, bereits im Herbst zu säen. Nein, die Fläche ist kahl, die Erde vom Frost aufgebrochen, der Himmel bewölkt – ideale Bedingungen für die Feldbegehung.
„Chef“ der Truppe, die nach Spuren einer frühen Besiedlung in Erlenbach sucht, ist Benjamin Spies. Der 26-jährige Master-Student der Vor- und Frühgeschichte an der Universität in Kiel ist hier zu Hause. Immer wieder mal läuft er durch die Flur rund um den Ort, die Augen auf den Boden geheftet, um ja keine Spur zu übersehen. „Für mich ist das eine äußerst meditative Beschäftigung“, scherzt er.
Was er sucht, das ist für Unerfahrene nur schwer von gewöhnlichen Steinen, Bauschutt, Nägeln oder Porzellanscherben aus dem 20. Jahrhundert zu unterscheiden. Dabei sind die Stücke von für Archäologen unschätzbarem Wert. In Erlenbach gibt es wenige Fundstellen. Woran mag das liegen? „Dort, wo etwas gefunden wurde, hat auch jemand danach gesucht“, weiß Spies. Mit anderen Worten: Zufällige Funde gibt es nicht.
Derzeit hat er sein Erlenbacher Suchgebiet auf ein Ackerstück an der Tiefenthaler Straße eingegrenzt. Seit Anfang des Jahres hält er dort mit seinem Vater Joachim, anderen Begeisterten der Archäologischen Arbeitsgemeinschaft Karlstadt und Harald Wichura vom Heimat- und Verschönerungsverein Erlenbach Ausschau nach Fundstücken.
Das Areal weist ideale Bedingungen für eine Besiedlung auf: sehr fruchtbaren Boden am Südhang und nicht weit davon am Bach lebensnotwendiges Wasser.
Tonscherben verschiedener Größen, meist mit dunklem Lehm verschmiert, wandern in die mitgebrachten Tüten, welche mit den Koordinaten der Fundstelle beschriftet werden. Zu Hause wird Spies sie sorgfältig säubern und sortieren. Die Farbe der Keramik ist schwarz oder rot, je nachdem wie viel Sauerstoff beim Brennen hinzugefügt wurde. Interessant sind für Spies vor allem Rand- und Bodenstücke. Denn anhand der Randformen, Verzierungen und Knicke kann die Zeit bestimmt werden, in der sie hergestellt wurden. Rund 40 solch verwertbarer Scherben hat er bisher aufgelesen.
„Die meisten stammen aus der Zeit um 450 bis 300 vor Christus, aus der Frühlatenézeit“, so der 26-Jährige. Aber auch Stücke aus der Hallstatt-Epoche und der sogenannten Urnenfelderkultur konnten er und Mitglieder des Archäologischen Arbeitsgemeinschaft, mit denen er sich regelmäßig trifft, bestimmen. Das würde bedeuten, dass sie in die Zeit bis rund 1000 Jahre vor Christus zurückreichen.
Auf dem Ackerstück gibt es einige Flächen mit auffällig dunkler Erde. „Das deutet auf eine alte Siedlungsgrube hin, die mit vorgeschichtlichem ,Müll‘ wie Knochen, zerbrochenen Keramikgefäßen oder Druschresten der Getreideernte verfüllt wurden. Aus dem Müll wurde im Laufe der Zeit Kompost“, erklärt Spies. Ihn verwundert es also nicht, dass er mit seinem Team an dieser Stelle fündig geworden ist. Verkohltes Holz und sogenannter Hüttenlehm, ein Indiz für ein abgebranntes Gebäude oder – nach Ansicht von Spies eher eine Feuerstelle – deuten ebenfalls auf eine Siedlung an dieser Stelle hin.
Ein anderes historisch wertvolles Fundstück, auf das Spies und die Kollegen besonders stolz sind, ist eine „Fibelsehne“ aus der frühen Zeit der Kelten (800 bis 50 vor Christus). Hobby-Archäologe Michael Möbius aus Rohrbach erklärt, was es damit auf sich hat: „Sie war an einer Brosche befestigt, die die Kleider zusammengehalten hatte.“ Er vermutet, dass es sich um einen reinen Gebrauchsgegenstand, kein Schmuckstück handelte. Anhand eines Fachbuches wird das Team den genauen Typ und damit das Alter des Stückes bestimmen. „Wir können die Zeit bis auf etwa 20 Jahre einschränken“, ist sich Möbius sicher.
Noch vor dem Erlenbacher Dorffest, das vom 26. bis zum 28. Juni stattfindet, wird Benjamin Spies in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Heimat- und Verschönerungsverein eine Ausstellung mit den aussagekräftigsten Fundstücken eröffnen. Und wer weiß, welche Erkenntnisse Spies bis dahin noch gewinnt. Schon jetzt steht jedenfalls fest: Die Geschichte des Ortes reicht weit hinter die erste urkundliche Erwähnung vor 1200 Jahren zurück.
Zeitliche Einordnung der Funde
Die in Erlenbach in diesem Jahr gefundenen Tonscherben stammen überwiegend aus der Frühlatenézeit (etwa 450 bis 300 Jahre vor Christus). Namensgebender Fundplatz war La Tené am Neuenburgersee in der Schweiz. Sie entwickelte sich aus der Hallstattkultur (etwa 800 bis 450 vor Christus). Auch aus dieser Epoche, der frühen Zeit der Kelten, fand man einige wenige Stücke, unter anderem die metallene „Fibelsehne“. Man spricht auch von der vorrömischen Eisenzeit.
Benannt ist die Zeit nach dem Ort Hallstatt im Salzkammergut. Ein reger Handel, vor allem mit Salz, und der damit einhergehende Wohlstand ermöglichte die Entwicklung einer hohen Kultur. Sie machte den Namen des Ortes auf der ganzen Welt bekannt. Auch aus der Zeit um 1200 bis 800 vor Christus, der sogenannten Urnenfelderkultur, konnten Funde bestimmt werden. Definiert wurde sie vor allem durch den Bestattungsritus und die Beisetzung in Urnen, die in dieser Zeit über weite Teile Mitteleuropas verbreitet waren.
Quellen: Benjamin Spies, Michael Möbius, Wikipedia DFI