
Als der kleine Felix aus Karlstadt am 30. November zur Welt kam, war die A 3 wie üblich verstopft. Erdöl diente als Treibstoff für Autos. Man konnte für 29 Euro nach Mallorca fliegen, Wasserbüffel grasten im Hafenlohrtal, in Gräfendorf können Leute auf Bäumen schlafen und im Landkreis stritt man sich über den Bau der B 26n.
Felix gehört zu den Babys, die hier allwöchentlich auf unseren Seiten „Willkommen in Main-Spessart“ mit Bild veröffentlicht werden. Vielleicht wird er seinen staunenden Kindern, Enkeln und Urenkeln von der Welt erzählen, in der er aufwächst, wenn er mit ihnen 2113 seinen 100. Geburtstag feiert. Denn die Chancen, dass er so alt wird, stehen so gut wie nie, seit es Menschen auf der Erde gibt. Mehr als die Hälfte aller heute in den Industrieländern geborenen Babys darf mit einer Lebenserwartung von 100 Jahren rechnen. Das behauptet jedenfalls ein deutsch-dänisches Wissenschaftlerteam.
Seit 1840 ist der Trend zum längeren Leben stabil – Weltkriegen, Grippe-Epidemien und Wirtschaftskrisen zum Trotz. Statistisch kommen in Deutschland pro Jahr drei Monate Lebenszeit hinzu. Die Alten werden älter. Zugleich beobachten die Statistiker ein Wachsen der Metropolen. Es zieht vor allem junge Menschen in die großen Städte. Die Folge: Die Bevölkerung im Landkreis sinkt.
Auf eine knappe Formel gebracht: Der Landkreis Main-Spessart muss sich künftig auf weniger Einwohner, weniger Kinder und mehr Senioren einstellen. Er vergreist. Der Trend ist nicht zu stoppen, allenfalls zu bremsen. Wie sich der Trend bremsen lässt, wollte die Serie „Heimat im Wandel“ zeigen. Dazu wurden lobenswerte Projekte vorgestellt, es wurde gezeigt, wie die Kommunen der Verödung der Ortskerne entgegenwirken, wie sie Familien, Senioren und Vereine unterstützen können. Die Bemühungen lassen sich auf einen wenig überraschenden Nenner bringen: Die Gemeinden müssen alles tun, um ihre Attraktivität zu steigern. Dann besteht die Chance, dass die Menschen ihrer Heimat treu bleiben.
Dazu nur ein Beispiel: Ganz wichtig ist derzeit die Versorgung mit schnellem Internet. Jemand, der eine schnelle Übertragungsgeschwindigkeit gewöhnt ist, wird sich nicht in einer Gemeinde niederlassen, in denen das nicht gewährleistet ist.
Klar ist aber auch, es gibt keine Patentrezepte. Ein Dorfladen funktioniert erfolgreich in Gräfendorf und ein Mehrgenerationenhaus in Binsfeld. Die Initiatoren haben dort bewiesen, wie mit Elan, Begeisterung und Leidenschaft der drohenden Verödung ihrer Gemeinde entgegengewirkt werden kann. Eine Übertragung dieses Konzeptes muss immer die örtlichen Besonderheiten im Blick haben.
Zudem hat die Serie gezeigt, dass neben dem Geburtenrückgang und der Landflucht ein weiterer Trend hinzu kommt, auf den sich alle Institutionen einstellen müssen. Die Menschen wollen sich weniger binden. Diese zunehmende Individualisierung betrifft alle Lebensbereiche – ob Kirche, Dorfgemeinschaft oder Vereinsleben. Viele Angebote werden auf Zeit genutzt und wieder fallen gelassen, wenn sie einem selbst nicht mehr nützlich erscheinen. Dies kann man als egoistisch bezeichnen, dennoch muss man sich darauf einstellen.
Aktiv um Mitglieder kämpfen
Es erfordert große Anstrengungen an die Institutionen. Die Kirchen können nicht erwarten, dass die Gläubigen wie von Gott gegeben in die Kirche kommen. Die Vereine müssen mit neuen Angeboten um ihre Mitglieder kämpfen und die zunehmende Zahl von Senioren, die im Alter noch fit sind, verlangen Angebote und Mitwirkungsmöglichkeiten.
Unter dem demografischen Wandel leiden besonders die Kommunen in den ländlichen und strukturschwachen Gebieten. Beispiel Obersinn im Sinngrund. Laut einer Studie soll Obersinn bis 2035 noch mal die Hälfte der Bevölkerung gegenüber 2010 verlieren. Sollte dies tatsächlich so eintreffen, gerät die Gemeinde in eine Abwärtsspirale. Bei weniger Einwohnern sinken die Steuereinnahmen, die Nahversorgung lohnt sich nicht mehr und die Kommune verliert ihre Handlungsfähigkeit. Oder was wird aus den Grundschulen, wenn es immer weniger Schüler gibt? Lassen sich alle Standorte erhalten? Wenn die Schule geht, stirbt der Ort.
Aktive Senioren als Chance
Doch trotz dieser Bedrohungen gibt es auch große Chancen. Die Lebenserwartung steigt. Wer kennt nicht agile Alte, die ihren Lebensabend mit Reisen, viel Sport und auch ehrenamtlichem Engagement füllen. Dazu bleibt im Idealfall noch Zeit, sich um die Enkel zu kümmern.
Also keine Angst vorm demografischen Wandel. Es hat ihn übrigens schon immer gegeben und wird ihn immer geben. Denn wie sagte Franz-Josef Sauer vom Mehrgenerationenhaus in Binsfeld: „Wir haben den 30-jährigen Krieg und die Pest überstanden, wir werden auch den demografischen Wandel überstehen.“