In den 70er und 80er Jahren war es der Staubsaugervertreter von Vorwerk, der mit dem „Kobold“ auf Hausbesuch in deutschen Wohnzimmern unterwegs war. Was zunächst als modern und praktisch empfunden wurde, galt später als altbacken. Rund 30 Jahre später ist der Wohnzimmer-Verkauf wieder beliebt. In gemütlicher, privater Runde werden mittlerweile nicht nur Haushaltsgegenstände, sondern auch Kosmetika, Schmuck, Dessous, Erotikartikel oder Kerzen um den Wohnzimmertisch herumgereicht – und verkauft: Laut einer Studie der Universität Mannheim im Auftrag des Bundesverbands Direktvertrieb Deutschland hat sich der Umsatz in der Branche von 2007 bis 2017 von 8,7 auf 17,62 Milliarden mehr als verdoppelt. Auch die Vertriebspartneranzahl steigt jährlich, 2017 zuletzt um 2,2 Prozent. Als wichtigste Einstiegsgründe nennt die Studie die Begeisterung für das Produkt und die flexiblen Arbeitszeiten.
Das kann Miriam Schwab aus Remlingen nur unterstreichen. Die Idee war, sich während der dreijährigen Elternzeit einen Nebenjob zu suchen. Am liebsten im Bereich Mode. Am besten mit dem Familienleben vereinbar. Und im Idealfall mit nachhaltigen Produkten. Bevor die Tochter auf die Welt kam, war die 34-Jährige Bezirksleiterin bei L'Occitane sowie Verkaufsleiterin beim Modehaus Gebrüder Götz in Würzburg. Ihre Internet-Recherche nach einem Nebenjob führte sie zu der schwedischen Modemarke „Me&I“ mit Hauptsitz in Malmö. „Ich habe eine Stunde mit der zuständigen Managerin telefoniert, danach war klar, das mache ich“, erzählt sie.
Das war im Sommer 2018. Drei Monate später steht bei Miriam Schwab im Wohnzimmer ein Kleiderständer mit Damen- und Kindermode von „Me&I“ und in ihrem Kalender häufen sich die Termine. Allein im Oktober stellt sie die aktuelle Kollektion 16 Mal vor. Nicht nur abends, auch nachmittags oder morgens, zu Hause oder bei demjenigen, der die Verkaufsparty ausrichtet. „Das Interesse ist groß“, sagt sie. Sowohl an dem Thema nachhaltige Mode als auch an Verkaufspartys. Schwab begründet das mit einem Gegentrend zum heutigen unverbindlichen Einkaufsverhalten, den das Internet forciert. „Bei einer Verkaufsparty bekommst du eine persönliche Einladung, einen festen Termin und es ist jemand da, der dich berät“, erläutert sie.
Mehr als ein gutes Taschengeld
30 Minuten Nacharbeit kostet sie so eine Party. Dazu kommt die Zeit, die zur Kundenpflege anfällt, zum Beispiel bei Reklamationen oder Umtausch. Rechnen sich Zeit und Aufwand? Miriam Schwab sagt ja. Für sie kommt mehr als ein gutes Taschengeld dabei heraus. „Und es ist erstaunlich, wie viele Berater sogar davon leben“, sagt sie. Allerdings seien die viel digitaler unterwegs und würden oft auch Online- und Skype-Partys anbieten.
Bei der Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt fällt die „Verkaufsparty“ unter die Vertriebsform „Direktvertrieb“. Dieser wird nicht gesondert statistisch erfasst. Insofern ist eine Aussage, ob der Direktvertrieb auch in MSP boomt, nicht direkt mit Zahlen zu belegen. „Was wir sagen können, ist, dass es in Main-Spessart seit 2011 kontinuierlich mehr Nebenerwerbs- als Vollerwerbsgründungen gibt“, sagt Sascha Genders, IHK-Bereichsleiter Existenzgründung und Unternehmensförderung. In MSP lag 2017 das Verhältnis von Gründungen im Nebenerwerb zum Vollerwerb bei 61 zu 39 Prozent.
Wolfgang und Tanja Eyrich aus dem Marktheidenfelder Stadtteil Altfeld sind vor zwölf Jahren mit den Putzartikeln von Jemako in den Bereich Direktvertrieb eingestiegen. Er kümmert sich um die Buchhaltung. Ihre Sache ist die Beratung. Gestartet als junge Mutter, die einen Nebenjob brauchte, der sich ideal mit der Familie vereinbaren lässt, ist Jemako bei Tanja Eyrich mittlerweile zu einem Full-Time-Job geworden. Rund 40 Wochenstunden investiert die gelernte Einzelhandelskauffrau in die Planung und Betreuung ihrer Kunden und als Teamleiterin mittlerweile auch in den Jemako-Nachwuchs.
Tupperware: mit Leib und Seele dabei
Da es keine regionale Aufteilung der Berater gibt, kann sie jeglichen Kundenanfragen nachgehen. So kommt es, dass sie selbst in München Kunden hat, die von ihr Ware beziehen. „Der Eigenantrieb muss hoch sein“, meint sie. Denn: Um die Menschen vom Kauf eines Produktes zu überzeugen, zählten 60 Prozent die Persönlichkeit der Verkäuferin und 40 Prozent das Produkt. Auch sie bestätigt, dass sich das Einkaufsverhalten verändert hätte. „Die Leute sind gestresster, genervter, suchender, wenn sie einkaufen gehen.“
Das kommt dem Direktvertrieb zugute. Bei der Verkaufsparty nehmen sich die Leute Zeit. Der Servicegedanke steht im Vordergrund. „Deshalb mache ich auch Einzelvorführungen, wenn es nicht anders passt“, sagt Tanja Eyrich. Schließlich könne auch aus einer Einzelperson ein umsatzstarker Kunde werden, der Kunden nachzieht. Seit Beginn ihrer Tätigkeit sei ihr Umsatz kontinuierlich gestiegen, sagen Wolfgang und Tanja Eyrich.
Klassisch, mit einem Stapel Gefrierdosen, fing die Leidenschaft zu Tupperware bei Inge Graus an: „Bei meinen Dosen waren die Deckel kaputt. So kam ich zu Tupper“, erzählt die Binsfelderin. Als Nächstes kam der erste Abend als Gastgeberin, dann wurde sie als Beraterin geworben. „Damals war ich 25 Jahre alt“, erzählt sie. Mittlerweile ist sie, mit kurzer Unterbrechung, 20 Jahre dabei. Und das mit Leib und Seele, wie sie selbst beschreibt. Zwei bis dreimal im Monat organisiert sie eine Verkaufsparty. Dazu kommen wöchentlich mindestens zwei bis drei Termine, an denen sie zum Beispiel etwas ausliefert, umtauscht.
Hat sie früher öfter mal zum Tupper-Frühstück eingeladen, verlagern sich die Verkaufspartys mittlerweile fast alle in den Abend. „Die meisten sind mittlerweile berufstätig“, erläutert sie. Wie sich ihr Klientel verändert hat? Neben den Frauen seien ab und zu auch Männer dabei. „Das sind meist sehr kaufkräftige Kunden, weil sie Wert auf hochwertige Produkte legen“, sagt Graus. Interessant sei gewesen, wie fasziniert zwei junge Mädchen kürzlich der Präsentation des Tupper-Fleischwolfs gefolgt seien, sie mit Handys filmten.
Rund 400 Party-Manager sind verteilt über den Bereich Stadt und Land Würzburg, Main-Spessart sowie Aschaffenburg im Einsatz, erläutert Katharina Schwarz von der Bezirkshandlung Würzburg. Allerdings sind sie unterschiedlich aktiv: Sind die einen zwei- bis fünfmal in der Woche im Einsatz, kommen andere auf zwei bis fünf Termine im Jahr. Wie sich der Vertrieb in den 56 Jahren seit Bestehen von Tupper geändert hat? „Damals waren es die Hausfrauen, für die sich im Direktvertrieb bei Tupperware völlig neue Welten auftaten“, sagt Schwarz. Heute seien es eher teil- oder gar vollzeitarbeitende Frauen und Männer, denen der Hauptjob nicht ausreiche und die sich so Geld für den „Luxus“ dazu verdienten.
„Unaufdringlich hartnäckig sein“
Für Inge Graus ist der Direktvertrieb ein schöner Nebenverdienst. Und eine Gelegenheit, immer wieder neue Leute kennenzulernen oder mit bekannten Kontakt zu halten. Rund zwei Stunden plant sie für eine Verkaufsparty ein. Was bestellt wird, holt sie aus der Tupperware Bezirkshandlung in Würzburg. Einmal pro Woche findet dort ein Treffen statt. Dabei gibt es neue Infos oder Koch-Workshops zur Motivationshilfe oder um das neue Programm vorzustellen. Denn auch bei Tupper heißt es, dranbleiben. „Unaufdringlich hartnäckig sein“, so beschreibt Graus die Kunst, im Direktvertrieb erfolgreich zu sein. „Man möchte ja nicht gleich die Straßenseite wechseln, wenn man einen Kunden sieht.“