
Er gehört zu den ersten Menschen, die mit einer Rakete flogen: Hans Zübert aus Karlstadt. Das Fluggerät, das er bestieg, wurde in Nazi-Deutschland als "Wunderwaffe" gepriesen. Völlig anders stellt es ein kurzes US-Video dar: "It was a risky and low-cost concept" – also eine riskante und billig gebaute Maschine, die für die Verzweiflung Deutschlands angesichts der übermächtigen Bombardements gegen Kriegsende stand. Mit einer Art "Zwitter zwischen bemannter Rakete, gesteuerter Flaksalve und Flugzeug" wird die Bachem Ba 349 "Natter" im Luftfahrt-Lexikon beschrieben.
Dass Zübert den Flug am 14. Februar 1945 überlebte, hat er vermutlich auch dem Umstand zu verdanken, dass er nicht mit dem Raketentriebwerk startete, sondern von einer Heinkel HE 111 in die Höhe geschleppt wurde. Zwei Wochen später, am 1. März 1945, endete der erste bemannte vertikale Start der "Natter" mit Raketenantrieb für den Testpiloten Lothar Sieber tödlich.
Zübert klammerte sich an die Bordwand
Auch Züberts Flug war ein Himmelfahrtskommando. In einem Interview des Vilshofener Anzeigers wurde der Pilot zitiert: "In etwa 5500 Metern Höhe klinkte ich die Rakete aus. Mit einer Bahnneigung von 75 Grad stürzte ich bis auf 4100 Meter." 90 Grad wäre genau senkrecht gewesen. Bald hatte das Flugobjekt 500 Stundenkilometer erreicht. "Ich begann mit dem Abfangen, um bei der vorgeschriebenen Endgeschwindigkeit von 600 Stundenkilometern bereits im Horizontalflug zu sein."

Dann wurde es äußerst heikel: "In einer Höhe von 2200 Metern versuchte ich den Sicherheitsschirm auszufahren. Dies gelang mir jedoch trotz größter Bemühungen nicht. Ich verbog den Griffbügel, jedoch das angeschlossene Seil ließ sich nicht durchziehen."
Als auch die Absprengung des Bugs nicht klappte, warf er das Kabinendach ab, um nach oben auszusteigen. Nachdem er auf die linke Tragfläche gestiegen war und sich mit aller Kraft an der Bordwand festhielt, begann die Rakete zu trudeln. "Nach drei Vollkreisen sprang ich im Hechtsprung ab. Nach sieben Sekunden öffnete sich mein Schirm. Kurze Zeit später landete ich am Ufer der Donau auf einem weichen Acker." Der Flugversuch hatte bei Neuburg an der Donau stattgefunden.
Wie das Fluggerät funktionieren sollte
Die Wehrmacht wollte die "Natter" zum Schutz wichtiger Industrieanlagen einsetzen. Sie sollte erst beim Sichten feindlicher Maschinen von einem Mast aus ferngesteuert senkrecht starten und in kurzer Zeit in große Höhen steigen. Erst kurz vor Erreichen der Bomberverbände sollte der Pilot die Steuerung selbst übernehmen und ein Bündel von 19 bis 28 ungelenkten Raketen abfeuern.

Dann sollte der Pilot die Maschine mit dem Fallschirm verlassen. Die Hecksektion mit dem Raketentriebwerk sollte ebenfalls an einem Fallschirm zur Erde zurückkehren, um wiederverwendet zu werden. Der Rest wurde geopfert. Der Rumpf bestand vorwiegend aus Sperrholz. Als Vorteil wird geschildert, dass für den Start kein Flugplatz nötig war. Man hätte den Startmast ohne großen Aufwand überall aufstellen können.
Mit elf Jahren den Flugschein gemacht
Der volle Name des Karlstadter Piloten lautete Johann Richard Zübert. Er wurde geboren am 15. Dezember 1919 in der Arnsteiner Straße 467 1/9. "Sein Vater soll Eisenbahner gewesen sein", sagt Kreisheimatpfleger Georg Büttner. Er vermutet als Geburtshaus den Eisenbahnerwohnblock an der Ecke Arnsteiner Straße/Krönleinsweg. Mit dem Inhaber der einstigen, bekannten Eisenwarenhandlung Zübert in der Karlstadter Hauptstraße war er laut Büttner nicht verwandt.
Mit noch nicht einmal zwölf Jahren legte Hans Zübert am 5. Oktober 1931 seine Segelflugprüfung ab. Ein österreichischer Zeitungsartikel feierte 1991 dieses Jubiläum und zitierte ihn: "Mein Vater, er war im ersten Weltkrieg Jagdflieger, war zeit seines Lebens begeisterter Flieger. Ich war schon von klein auf am Flugplatz meiner damaligen Heimatstat Karlstadt am Main so gut wie daheim."

Immer wieder sei er in ein Segelflugzeug – wenn man das schon so nennen konnte – des Typs "Besenstiel" geklettert und wusste schnell, wie dieses funktioniert. Der Name "Besenstiel" war dabei sicherlich nur übernommen worden für ein ähnliches Fluggerät, denn von der "Besenstielkiste", wie das Ding mit vollem Namen hieß, wurde überhaupt nur ein Exemplar gebaut. Eines Tages durfte er damit fliegen. Beabsichtigt war, dass es in nur zwei Metern Höhe dahingleiten sollte. "Doch man hatte die Trimmgewichte vergessen und da ich sehr wenig wog, stieg der ,Besenstiel' gleich sieben, acht Meter hoch."
1939 wurde Zübert in Gütersloh zur Luftwaffe eingezogen, flog aber kaum Kampfeinsätze, sondern war als Testpilot eingesetzt. So kam er zu dem denkwürdigen Flug mit der "Natter". Unter anderem lernte er Wernher von Braun kennen, der für die Nazis maßgeblich an der Entwicklung der V-Waffen arbeitete und später in den USA bei der NASA die Mondfahrt vorantrieb.
"Er war ein Draufgänger"
Nach dem Krieg arbeitete Zübert zunächst als Holzfäller, ehe die englische Besatzungsmacht erkannte, wer er ist. Zwei Jahre flog er in England und weitere zwei in den USA als Testpilot. Zurück in Deutschland, schloss er sein Studium für Mess- und Regeltechnik ab.
Die Fliegerei wurde wieder Hobby. Von 1980 bis 1985 war Hans Zübert Vorsitzender des Luftsportvereins Vilshofen und ging fast täglich in die Luft. Ein heute 91-Jähriger Fliegerkollege erzählt über ihn. "Er war a Damischer, wie wir sagen, also ein Draufgänger." Nach dem Krieg sei er der einzige gewesen, der noch einmal mit einem "Schädelspalter" abhob. Das ist ein Segelflugzeug, bei dem der Pilot ohne Cockpitverkleidung im Freien sitzt. Der Name kommt von einer Strebe, die sich vor dem Kopf des Piloten nach unten zog.

Der Ausbildungsleiter der Flugschule im Luftsportverein Vilshofen, Toni Müller, berichtet, Zübert habe in Fliegerkreisen weitreichende Kontakte gepflegt. Er sei in den USA in eine Art Verband von Raketenfliegern aufgenommen worden, genauer: in "The Society of Experimental Test Pilots". Auch sei bei einem Flugtag in Vilshofen eine Dornier Seastar, ein Amphibienflugzeug, von Oberpfaffenhofen gekommen und auf der Donau gelandet. "Das wäre für den Verein normalerweise unerschwinglich gewesen." Außerdem überflogen fünf Alpha-Jets der Bundeswehr den Platz. Gestorben ist Zübert am 22. August 1999 in Vilshofen.
Raketenstart endete tödlich
Über die Bachem Ba 349 berichtet das US-Video, das Fluggerät sei von nicht ausgebildeten Arbeitern gebaut worden in einer Zeit, da es in Deutschland ohne Probleme nur noch "Holz, Leim und Nägel" gab. Der Konstrukteur Erich Bachem, technischer Direktor der Fieseler-Werke, gründete in Waldsee am Hochrhein die eigenen Bachem-Werke. Er sei zunächst in der technischen Abteilung des Ministeriums für die "Natter" ausgelacht worden, aber Heinrich Himmler habe 150 Stück bestellt und die Luftwaffe gezwungen, weitere 50 zu ordern. Sie sollten 7000 bis 10 000 Meter hoch steigen. Bei den Vertikalstarts hätten sie immer wieder den Kurs verlassen, seien zerborsten und in Flammen aufgegangen.
Nach Hans Züberts Flugversuch wagte der Testpilot Lothar Sieber den Vertikalstart mit Raketentriebwerk. Er hatte im Dienst getrunken und war degradiert worden. Für alle Fälle schrieb er ein Testament, um seiner Verlobten all seine Habe zu vermachen. Wie das US-Video berichtet, sei ihm vor dem Start empfohlen worden, falls die Rakete sich auf den Rücken drehe, solle er eine halbe Rolle machen, um wieder nach oben zu steigen und die Orientierung zu bekommen. Der Start klappte, aber bei 350 Fuß löste sich die Haube, warum auch immer, die Rakete flog senkrecht nach unten und explodierte mit einem mächtigen Schlag. Das endete für Sieber tödlich. Posthum erhielt er seinen alten Dienstgrad zurück.
Zwei Monate später kapitulierte Deutschland. Die "Natter" war nie zum Einsatz gekommen. Nur 36 Stück wurden gebaut. Die meisten dienten unbemannten Tests. Ein Exemplar steht im Deutschen Museum in München.