In der Karlstadter Stadtbibliothek gibt es nicht nur Bücher und andere Medien. Sie ist jetzt auch Saatgutbibliothek. Und alle – nicht nur Inhaber des Leseausweises – dürfen dort jeweils zwei Päckchen Samen abholen. Im Herbst soll dann von den Pflanzen geernteter Samen in die Bibliothek zurückgebracht werden. Bibliotheksleiterin Sina Köhlnhofer: "Mit der Saatgutbörse wird unsere Grundaufgabe – der Zugang zu Information – weitergedacht."
Wie stellvertretende Bürgermeisterin Martha Bolkart-Mühlrath bei der Eröffnung berichtete, wurde 2010 die erste derartige Saatgutbörse in Richmond (USA) eröffnet. Bibliotheksmitarbeiterin Brigitte Bayer erklärte die Hintergründe, die das Cover des Films "Unser Saatgut" bestens beschreibe: "Viele unserer Samen sind heute ebenso gefährdet wie der Panda oder der Eisbär. Mehr als 90 Prozent aller Saatgutsorten sind bereits verschwunden. Biotech-Konzerne wie Bayer/Monsanto oder Syngenta kontrollieren mit genetisch veränderten Monokulturen längst den globalen Saatgutmarkt. Daher kämpfen inzwischen Menschen auf der ganzen Welt wie David gegen Goliath für den Erhalt der kostbaren Saatgutvielfalt."
Keine Hybride, sondern alte Sorten
Das Ziel der Saatgutbibliothek ist die Erhaltung der alten Sorten. Daher sollen auch keine Hybride Einzug erhalten. Bayer: "Es genügt nicht, dass wir wissen, dass unser Saatgut in einem Saatguttresor in Norwegen für unsere Nachwelt archiviert wird." Wer sich mit selbstgezogenem Gemüse versorge, tue das nicht nur wegen des Geschmacks und der Qualität. Allergiker können oftmals Früchte essen, die sie gekauft nicht vertragen. Beispielsweise vertragen manche den Apfel aus dem Supermarkt nicht, aber eine alte Apfelsorte von der Streuobstwiese schon.
Bei der Karlstadter Saatgutbibliothek wurde der Schwerpunkt auf Gemüsepflanzen gelegt. Das Saatgut stammt aus Spenden von Hobbygärtnern und dem Kauf von Saaten der biozertifizierten Firmen "Dreschflegel" und "Bingenheimer Saatgut". Es wurden 330 Saatgut-Tüten gepackt: Zwölf verschiedene Blumensorten, drei Sorten Zierkürbisse, fünf Sorten Kräuter und über 200 Tüten mit verschiedenen Gemüsesorten. Es finden sich in der Börse zwölf Tomatensorten, sechs Salatsorten und 47 weitere Gemüsesorten wie zum Beispiel Radieschen, Rüben, Kohlrabi, Stangen- und Buschbohnen.
Sorgfältig mit den Samen umgehen
Das Ausschneiden und Kleben der Saatguttütchen übernahmen Kinder der Mittagsbetreuung Karlstadt und der Grundschule Himmelstadt. Die Stadtbibliothek hat parallel zur Saatgutbörse ihren Medienbestand zu diesem Thema aufgestockt, sodass auch Gartenneulinge erfolgreich starten können. Das eine oder andere Pflänzchen kann auch ab Mitte Mai für die Hochbeete im Innenhof der Stadtbücherei zurückgebracht werden. Brigitte Bayer bittet um sorgfältigen Umgang mit den unterschiedlichen Sorten. Denn leicht passiert es, dass bei der Nachzucht Schildchen verlorengehen oder verwechselt werden.