
Im kommenden Jahr 2022 kann das Karlstadter Rathaus, der vormalige Mittelpunkt städtischer Verwaltung, auf stolze 600 Jahre zurückblicken. Im 11. Jahrhundert entwickelte sich in den Märkten und Städten eine neue Art von Versammlungs- und Gerichtsstätte: das Rathaus. Somit ist es wie die Stadtmauer mit ihren Türmen und Toren das Symbol der Stadtgerechtigkeit und das Zeichen der Stadtfreiheit.
Ein in seinen einzelnen Teilen überaus klares Rathaus ist in Karlstadt zu erkennen: Der frei am Marktplatz stehende, zweistöckige, stark gestreckte Rechteckbau, der nichts enthielt als zwei Säle, ein jeder ein ganzes Stockwerk für sich in Anspruch nehmend. Der untere Saal war die Schranne als Markt- oder Kaufhalle für die feineren, schutzbedürftigen Waren, der obere diente in wechselnder Verwendung als Bürgersaal, Gerichtssaal sowie Fest- und Tanzsaal. Besonders für Verwaltung und Gerichtsbarkeit wurden später Einbauten nötig.

Erbaut wurde es mit Bewilligung des Würzburger Domkapitels vom St. Petertag (22.Februar) 1422. Die Bürger erhielten die Genehmigung, im Herzen der Stadt ein "Kaufhaus" zu errichten, das dann als Markthalle mit darüberliegendem Bürgersaal laut Bauinschrift am Vorabend des Festes St. Johannis d. T. (24. Juni) begonnen wurde: "Anno Domini millesimo quadringentesimo vicesimo secundo inchoata erat ista domus In crastino sancti Johannis baptiste Et in eodem anno solvebant tria maltra silignis unum florenum". (Im Jahr des Herrn 1422, am Vortag St. Johannis des Täufers ist dieses Haus begonnen worden und zu gleicher Zeit kosteten 3 Malter Weizen 1 Gulden.)
Große Markthalle im Erdgeschoss
Unterlagen über die Genehmigung, Bauausführung und Pläne sind im Karlstadter Stadtarchiv leider nicht vorhanden. Der Bau mit den gotischen Treppengiebeln stellt den ältesten Typ des deutschen Rathauses dar und zeigt in seiner großzügigen Dimension den Reichtum der Stadt, der trotz aller Fährnisse dieser Zeit noch immer vorhanden war. Das Erdgeschoss ist als große Markthalle, in die zwei Einfahrten führen, mit sechs seitlichen Toren angelegt. Unter Aufsicht des Rates wurden ab 1453 in der Schranne unter anderem Brot und Fleisch, Mehl und Salz, Tuch und Leinwand, Schuhe und Leder und andere Waren angeboten. Der Rat kontrollierte, ob Maße und Gewicht, die Waren und ihr Preis in Ordnung waren.

„Unter dem Rathaus“ hing seit 1446 eine Waage zu Marktzwecken. Auf dem Kübelmarkt hinter dem Rathaus stand seit 1466 auch ein Eichmaßstein für Wein. Diese – in Franken wohl einmalige –„Weineich“ fasste einen Eimer zu 70 Maß à 1,2 Liter. Hier wurden unter städtischer Regie die von den Büttnern angebotenen neuen Fässer, Kübel und Weinbutten geeicht.
Im ersten Stock des Rathauses befand sich der große, durchgehende Bürgersaal, in erster Linie Versammlungsort der Bürgerschaft und für die Aufnahme von etwa 450 Bürgern innerhalb des Stadtmauerbereichs mit Haus- und Grundbesitz ausgelegt. Denn nur wer über solchen verfügte, konnte das Bürgerrecht erwerben und war stimm- und wahlberechtigtes Mitglied der städtischen Gesellschaft. Die drei Dachgeschosse dienten der Aufbewahrung von Holz und Getreidevorräten und wurden teilweise an die Bürgerschaft verpachtet.
Betrunkene kamen ins Narrenhäuslein
Die Hauptschauseite des Rathauses wendet sich mit dem hohen Treppengiebel gegen den breiten Marktplatz. Eine doppelläufige Treppe führt in das Obergeschoss und bildet mit dem oberen Portal die Verkünd-Altane. Unter der Treppe befanden sich rechts und links kleine Räume. Hier lagen die Wachstube der Stadtknechte, die für Ruhe und Ordnung in der Stadt zu sorgen hatten, und das "Narrenhäuslein", das dazu diente, Betrunkene, Nachtstörer oder sonstige Missetäter für einige Zeit zu inhaftieren.

Ursprünglich nahm der Bürgersaal das ganze Stockwerk ein. Erst ab 1605 wurde gen Osten auf der Seite zum Kübelmarkt die Ratsstube mit Schreibzimmer eingebaut. Über dem Bürgermeistersitz wurde ein Rundfenster herausgebrochen und aus farbigem Glas das Auge Gottes angebracht, das über den Rat der Stadt und seinen Beschlüssen wachen sollte. An der Innenausstattung des prächtigen Raumes arbeiteten kunstsinnige Karlstadter Handwerker mit. Die beiden Aktenschränke sind prachtvolle Renaissancearbeiten von 1625.
Im Jahr 1654 ließ der Rat eine „Vierteluhr mit Schlagwerk“ anfertigen. Bereits 1673 wurde von Meister Mathes Helt von Schweinfurt ein neues Uhrwerk erstellt. Dieses kostete 300 Reichstaler und muss von Anfang an nicht recht in Gang gekommen sein. Aus dem Tagebuch des Karlstadter Bürgermeisters Kilian Gesell erfahren wir, dass es deswegen viel Krach gegeben haben muss. Mehrfach nahm der Rat der Stadt Anlauf, den Zeitmesser am Rathausgiebel in eine Kunstuhr, ähnlich der des Ochsenfurter Rathauses, umzuwandeln, scheiterte aber immer wieder an der Inkompetenz der beauftragten Uhrmacher.
Das Schwedenmännle mit der Trompete
Gleichzeitig gab man dem Karlstadter Bildhauer Kilian Schüßler den Auftrag, „ein Männlein auf dem Rathaus“ zu machen. Unklar bleibt, seit wann die Karlstadter den Trompeter auf ihrem Rathaus „Schwedenmännle“ nennen. Vorbild für Schüßlers Figur scheint jedoch eher ein erzgebirgischer Bergmannsknappe als ein schwedischer Soldat gewesen zu sein.
Als das Untergeschoss als Markthalle ausgedient hatte, wurden auf der Kübelmarktseite Geräte, die dem Feuerschutz dienten – wie lederne Feuereimer, Hacken, Leitern und die Feuerspritzen – aufbewahrt. Später wurden hier ein Kanzleiraum, ein Dienstzimmer für die Stadtpolizei, ein Raum für die Heizung und ein öffentlicher Abort eingerichtet. Durch Umbauten entstand im Erdgeschoss zum Marktplatz hin ein kleiner Saal, der als Übungsraum für Sportvereine, als Bar bei den großen Faschingsbällen und als Lagerraum diente.

Im Jahr 1926 wurde der Zugang zum Sitzungszimmer verlegt und eine Tür mit Sandsteingewänden auf der Westseite eingebaut. "Hol dir Rat – mach's zur Tat" lautet der Sinnspruch über dem Türsturz. 1929/30 wurde dann die neue Treppe zum Dachgeschoss eingebracht und die oberen Kanzleiräume wurden ausgebaut. Der große Rathaussaal verfügte über eine Bühne und einen Schankraum unter der Treppe zum Aufgang in das zweite Obergeschoss. 1956 wurden dort oben weitere Büroräume für das städtische Bauamt eingerichtet.
Die vorläufige Geschichte endete im Januar 1973 mit der Feststellung der Prüfbehörde, dass das Rathaus einsturzgefährdet sei. Die meisten der Deckenbalken über dem großen Rathaussaal waren am Auflager der Außenmauern verfault. Abstützungen im Erdgeschoss und im großen Saal durch Mero-Gerüste sicherten das Gebäude notdürftig. Der Stadtrat beschloss, das alte Rathaus gründlich umzubauen und danach ausschließlich kulturellen Veranstaltungen und Festlichkeiten vorzubehalten.
Im Dezember 1975 verließ die Verwaltung das alte Rathaus und zog in den Neubau auf dem Gelände des aufgelassenen Kapuzinerklosters ein. Im Januar 1976 begannen die Bauarbeiten am alten Rathaus. Zunächst wurden die Gewölbefundamente der Außenmauern unterfangen, der nicht erhaltungsfähige Dachstuhl abgebrochen und die Stahlfachwerkkonstruktion des neuen Dachstuhls in vier Abschnitten unter schwierigsten Bedingungen errichtet. Das Dach erhielt eine Schieferdeckung. Teilweise sehr stark beschädigtes Bruchsteinmauerwerk musste ausgewechselt werden.
Große Sanierung im Jahr 1976
Die begonnenen Sanierungsmaßnahmen deckten weit größere Schäden auf als zunächst angenommen wurde. "Noch einmal La Bostella, dann ab in den Keller...", so umriss laut Main-Post Bürgermeister Werner Hofmann im Mai 1976 den desolaten Zustand des Rathauses. Da hatte die Bausumme bereits die Drei-Millionen-Grenze überschritten. Die Schlagzeile der Main-Post vom 18. Dezember 1976 lautete "5,4 Millionen DM neue Kostenspitze". Die traufseitig vermorschte Balkendecke des Obergeschosses wurde mittels Kunststoffverguss gesichert, die des Erdgeschosses mit einem Stahlträgerrost verstärkt. Im Dezember 1976 konnte Richtfest gefeiert werden.
Aus bautechnischen Gründen wurde auch die historische Ratsstube aus- und wieder eingebaut. Roh- und Ausbaugewerke arbeiteten auf engsten Raum neben- und miteinander. Die Ausgestaltung im Innern berücksichtigte besonders die historische Substanz und stellte Planer und Handwerker immer wieder vor schwierigste Situationen. Insgesamt waren 53 Firmen mit Bau- und Ausbauarbeiten am Rathaus beschäftigt. Nach genau zweijähriger Bauzeit konnte im Januar 1978 die erste Veranstaltung im Bürgersaal abgehalten werden.

Es folgten die Eröffnung der Ratskellergaststätte am 24. Februar und die offizielle Einweihung des gesamten Rathauses im Mai 1978. Damit hatte Karlstadt seinen historischen Mittelpunkt wieder. Ging man bei den ersten Berechnungen zunächst von 2,6 Millionen DM Gesamtkosten aus, zeigte sich bei der Entfernung des maroden Dachgebälks und der mehr als schadhaften Außenmauern, dass die veranschlagte Bausumme auf 5,5 Millionen DM angestiegen war.
Im Zuge der Umbaumaßnahmen wurden im Bürgersaal eine Theke für Bewirtungen und eine kleine Küche eingerichtet. Im Bürgersaal finden im Laufe des Jahres eine Vielzahl von Veranstaltungen aus offiziellem Anlass statt. Aber auch an Vereine und Verbände, Firmen und Privatpersonen wird der Saal vermietet. Von 1984 bis 1992 war außerdem die städtische Sing- und Musikschule im Dachgeschoss untergebracht.
Der ehemalige Sitzungssaal im ersten Stock dient heute mit seinem repräsentativen Charakter als "gute Stube der Stadt Karlstadt" bei Empfängen aller Art und ist im Rahmen von Stadtführungen Teil des Besichtigungsprogramms, seit 1992 auch wieder stilvoller Rahmen der standesamtlichen Trauungen. Die in den letzten Jahren generalsanierte Uhrenstube im zweiten Stock – auf der Seite zum Marktplatz hin – wird für offizielle städtische Veranstaltungen in kleinerem Rahmen genutzt und kann ebenfalls angemietet werden. Das historische Rathaus ist nach wie vor der Mittelpunkt der Kreisstadt Karlstadt.
Literatur: Nach Aufzeichnungen der verstorbenen Stadtarchivpfleger Franz Schwarz und Werner Zapotetzky.
Zum Autor: Seit 1995 ist Georg Büttner Kreisheimatpfleger für den Altlandkreis Karlstadt. Mit Gleichgesinnten gründete Büttner 1972 den Historischen Verein Karlstadt, der seit 1983 das Stadtgeschichtemuseum Karlstadt betreibt.