Selten hat man sich in Gemünden so sehr über Regen gefreut wie in diesen Tagen. Endlich gab es die Spülung, ohne die beim Faschingszüchle zig Wildpinkler (übrigens beiderlei Geschlechts) auskommen. Der Regen erledigt den finalen bzw. urinalen Kehraus im Städtle, es wird hinweggespült das Odium, das dem Züchle anhaftet. Seit vielen Jahren steht Gemünden in üblem Ruch.
Der Karli als Wildschwein, so sollte man meinen, fühlt sich am Züchle-Tag im Städtle besonders wohl – unter so vielen Gleichen. Dem ist aber nicht so. Vielmehr bedankt er sich ausdrücklich beim Besitzer seiner Behausung in der Gemündener Altstadtpassage, der dort am Tag der losen Hosen einen Pinkelwachdienst patrouillieren lässt. So kann er seither sein Büro betreten, ohne durch üble Lachen und anderes im Hauseingang waten zu müssen.
In der glücklichen Lage sind nicht alle. Wie in der Keiler-Post zu lesen war, hat heuer ein Hausbesitzer sogar seine Hauswand mit Faustschlägen gegen Wildpinkler verteidigt. Verständlich, aber nicht zur Nachahmung empfohlen. Was also tun? Sollten die immerhin drei Apotheken entlang der Zugstrecke Mittel gegen Blasenschwäche verteilen? Sollte den Besuchern des Umzugs zuvor verpflichtend ein VHS-Kurs in gutem Benehmen auferlegt werden?
Natürlich darf man das Problem nicht überbewerten, denn an 364 Tagen im Jahr ist Gemünden eine anerkannte Kulturstadt und nur an einem Tag das Gegenteil davon. Möglicherweise wird das Thema beim nächsten Züchle als Motto einer Gruppe aufgegriffen: die lustigen Bettpfannen oder so. Oder man macht aus der Not(-durft) eine Tugend und lädt den prominentesten Wildpinkler Deutschlands ein, Ernst-August von Hannover, der als Pinkel-Prinz bekannt geworden ist. Dann wäre das öffentliche Urinieren, das offenbar zu einem Faschingszug dazugehört, salonfähig.
Nicht der Regen hat ein weiteres Faschingsüberbleibsel beseitigt: Gemündens (oder Deutschlands) ersten Faschingsbaum, der – einem Christbaum nicht unähnlich – vor der Osteria „Al Leone“ an der Obertorstraße stand. In der vergangenen Woche ist der mit Girlanden geschmückte Baum, eine Nordmanntanne aus Schaippach, verschwunden – ja, gestohlen worden, denn die Drei-Meter-Tanne stand auf Privatgrund! Der Fall ist noch nicht aufgeklärt, die Polizia Municipale, die Polizia Stradale, die Carabinieri und Commissario Brunetti sind eingeschaltet . . .
Eine gute Nachricht kommt dagegen aus der Faschingshochburg Rieneck: 400 Rienecker zeigen ihrem Stadtrat wie es geht und haben in allergrößter Einigkeit den Dorf-, pardon!, Stadtladen aus der Taufe gehoben! Wieder einmal zeigt sich, dass fast alles zu schaffen ist, wenn Wille und Geschlossenheit vorhanden sind. Wenn die Laden-Gründung abgeschlossen ist, könnte sich der Karli vorstellen, dass der Laden-Arbeitskreis Schulungen für die Sinngrund-Allianz anbietet.
Natürlich wäre Rieneck nicht Rieneck, wenn auch die Namensfindung unproblematisch wäre: Das, was das Geschäft ist, ein „Dorfladen“, verbietet sich ja in einer Stadt! Die Bürger haben eine Reihe alternativer Namen vorgeschlagen und darüber abgestimmt, von Goikel-Laden bis TurboaffengeilersuperLADENdelüx. Der Karli ist gespannt.