Das Schulmuseum ist um eine Attraktion reicher: Von den Erben eines Sammlers bekam Museumsleiter Eduard Stenger eine Sammlung gerahmter Kadetten-Bilder sowie einen kleinen Schaukasten mit Zinnfiguren.
Am 28. Mai bekam Stenger eine E-Mail von Anna Quastler aus Kalifornien, USA, in der diese erläuterte, dass ihr Vater Walter Albert Lothar Sensburg ein bayerischer Kadett war und eine Sammlung von eingerahmten Kadetten-Bildern hatte. Diese stammten laut Quastler aus der Zeit zwischen zweiter Hälfte des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund einer anstehenden Deutschlandreise zusammen mit ihrem Sohn fragte sie Stenger: „Hätten Sie daran Interesse?“
Ein Besuch mit Folgen
Dieser hatte, und so besuchte Quastler mit ihrem Sohn Gordon Babst, Professor für Politische Philosophie, am 7. Juni das Lohrer Schulmuseum. Dieses gefiel den beiden offensichtlich so gut, dass sie sich bereit erklärten, dem Museum ihre Bildersammlung zu schenken.
Bei einem zweiten Besuch am 11. Juli, zusammen mit einem weiteren Professor aus Indien, überreichte Babst die Bilder sowie einen kleinen Schaukasten mit Zinnfiguren, welche die verschiedenen Uniformierungen und Bewaffnungen der bayerischen Kadetten von 1754 bis zur Auflösung 1920 darstellen.
Babsts Mutter Anna Quastler hatte die Bildersammlung von ihrem Vater Walter Albert Lothar Sensburg (1896–1980) geerbt. Dieser war in München geboren und später in der Bayerischen Kadettenschule. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Leutnant teil.
Laut Quastler war es sein Traum, an der Würzburger Universität Philosophie zu studieren. Aber die politische Situation in Deutschland habe alles geändert. Deshalb sei er nach dem Ersten Weltkrieg in die deutsche Reichswehr, die spätere Wehrmacht, eingetreten. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sei er in der militärischen Abwehr, zuletzt als Oberst, tätig gewesen.
Ihr Vater habe immer begeistert über seine Zeit als Kadett gesprochen. Sein Sinn von Pflicht und Ehre sei nicht vereinbar gewesen mit der Ideologie der Nazis; er habe mit den Männern aus dem Umfeld des Widerstandes gegen Hitler sympathisiert. Ihr Vater habe sein ganzes Leben in Deutschland verbracht, ausgenommen die Zeiten, in denen er im Militärdienst anderswo eingesetzt war. Begraben sei er im Münchener Nordfriedhof.
1996, nach dem Tod ihrer Mutter und der Frau ihres Vaters, brachte Anna Quastler die Kadetten-Bilder nach Amerika. „So viele wie möglich haben wir aufgehängt, und die anderen verpackt.“ Eines Tages habe ihre Familie die Idee gehabt, „dass die Bilder irgendwo ausgestellt werden sollten – weil sie meinem Vater so viel bedeutet hatten.“ So wurde im Internet nach einem geeigneten Platz gesucht, „und nach einigen Anfragen haben wir uns für Lohr entschieden“.
Aufklärung durchs Museum
Professor Babst, Enkel des ehemaligen Kadetten, schildert seine Eindrücke im Lohrer Schulmuseum so: „Als ein Professor der Politischen Wissenschaft (Politische Philosophie ist mein Hauptfach) versuche ich immer die politische Aufmerksamkeit meiner Studenten zu wecken. Natürlich denken viele, dass sie alles schon ganz klar wissen und sie glauben nicht, dass sie schon beeinflusst worden sind oder beeinflussbar sind. Wenn sie nur das Schulmuseum in Lohr besuchen könnten, würde es eine Aufklärung geben! Dann würde ihnen klar werden, dass ihre politischen Ansichten zum großen Teil das Ergebnis der Lehren in der Schule sind. Das wird im Schulmuseum in Lohr in einzigartiger Weise offenbar. Die Ausstellung in dem Schulmuseum ist so sorgfältig zusammengestellt, und der ideologische Einfluss des Staates ist ganz durchsichtig, dass ein Besucher, von welchem Land er auch kommen mag, keine Schwierigkeiten haben würde, es wahrzunehmen.“
Laut Museumsleiter Stenger sind die zwölf altkolorierten Bilder und der Schaukasten eine interessante Ergänzung der seit 2011 in der ständigen Ausstellung des Museums zu sehenden Einheit „Erinnerung an eine fast vergessene Schule – Das Bayerische Kadettencorps 1756–1920“.
Kadettencorps
Das 1756 gegründete und mehrmals reformierte Kadettencorps war ursprünglich ein Versuch, die so genannte Ettaler Ritterakademie weiterzuführen und sollte neben der militärischen Erziehung auch zur Heranbildung einer gesellschaftlich-politischen Elite beitragen. Das Eintrittsalter schwankte zwischen 10 und zwölf Jahren, die Schulzeit dauerte acht Jahre. Gemäß einer Reorganisation im Jahr 1851 wurde das Eintrittsalter in das Kadettencorps auf 12 bis 15 Jahre festgelegt, die Schulzeit auf sechs Jahre. Als „Eleven“ wurden die Schüler der 1. und 2. Klassen bezeichnet, die Schüler der folgenden Klassen hießen „Kadetten“.
Ab 1868 entsprach der Abschluss an der sechsklassigen Kadettenschule dem des Realgymnasium-Abiturs und ermöglichte auch den Übergang in zivile Berufe. Das Ende der Kadettencorps-Schule kam mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg.
Die Siegermächte verlangten im Friedensvertrag von Versailles „Dispersion“ (Auflösung), und so wurde das Bayerische Kadettencorps, in dem von 1756 bis 1920 etwa 5000 Zöglinge eine umfassende (natürlich vor allem militärisch ausgerichtete) Allgemeinbildung erworben hatten, am 1. April 1920 aufgelöst. est