
Kaum doppelt so groß wie ein Daumennagel ist das Stückchen zwischen den Steinen auf dem Acker. Fast alle außer ihm wären achtlos daran vorbei gegangen. Aber wenn Hobby-Archäologe Thomas Höfling mit geschultem Auge durch die heimische Flur streift, sucht er nach ganz besonderen Bodenschätzen, die, so unscheinbar sie auch sein mögen, faszinierende Geschichten erzählen können.

Das harte Teil ist kein Holz, auch kein Stein. Es ist – oder besser es war – Teil eines Keramikgefäßes und es ist gut 5000 Jahre alt. Der Geographielehrer aus Gambach ist Mitglied des "Arbeitskreises Archäologe" im Historischen Verein Karlstadt und erkennt auf den ersten Blick, dass er hier das Fragment eines Kumpfs aus der Jungsteinzeit in Händen hält, genauer gesagt aus der Zeit der Linear-Bandkeramik. "Unsere Gegend um Karlstadt und im Landkreis ist reich an Funden aus der Jungsteinzeit, besonders auf Lösslehmböden", sagt Höfling. Echte "Hotspots" aber sind bei Eußenheim, in Aschfeld, auch bei Stetten und Himmelstadt, das in diesem Jahr seine 1200-Jahrfeier begeht.
Die Jungsteinzeit (Neolithikum) ist nicht nur interessant für Archäologen, die damals erfolgten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, sind auch in vielerlei Hinsicht Grundlage unserer gegenwärtigen Lebenssituation. Nicht umsonst sprechen Fachleute von der Neolithischen Revolution.
Im "Fruchtbaren Halbmond" Vorderasiens (Irak, Syrien, Libanon) wandelten sich die Gesellschaften ab 9000 v. Chr. von Jäger- und Sammlerkulturen zu Hirten- und Bauernkulturen. Das hatte unter anderem zur Folge, dass die Menschen das Nomadenleben aufgaben und sesshaft wurden. Statt den Tierherden zu folgen, machte man den Boden für den Ackerbau urbar und begann Viehherden zu halten. Was vor über 10 000 Jahren im Orient seinen Anfang nahm, fand im Lauf von rund 5000 Jahren den Weg über Südosteuropa bis in unsere Gegend.
Natürlich setzte sich der Übergang zur neolithischen Landwirtschaft nur langsam entsprechend der jeweiligen Klima- und Bodenverhältnissen durch. Mit Sicherheit lebten Bauern, die immer größere, ortsfeste Dorfgemeinschaften bildeten, noch lange Zeit neben nomadisierenden Gruppen, die vornehmlich Vieh hielten.
Die Lebensbedingungen änderten sich radikal
Für die sesshaft gewordenen Menschen änderten sich aber die Lebensbedingungen radikal. Die Versorgung mit Nahrung durch domestizierte Nutzpflanzen und Tiere wurde sicherer, ein starkes und nachhaltiges Bevölkerungswachstum war die Folge. Ortsfeste Gesellschaften konnten ihr Leben besser planen und organisieren. Es kam unter anderem auch zur gewollten Arbeitsteilung.
Die Keramikfunde auf den Feldern in unserer Region sind beredtes Zeugnis dafür. Reine Nutzgegenstände wie Schalen oder Becher wurden durch die Kunst der neuen "Fachleute" immer besser und die Hersteller fanden darüber hinaus oft auch noch die Muse, ihre Arbeiten mit kunstvollen Mustern und Ornamenten zu verzieren. Aus der ursprünglichen schlichten Bandkeramik entstanden anspruchsvollere Linienbänder oder gar aufwändige Stichbänder.

Geradezu revolutionär verbessert haben sich in der Jungsteinzeit aber auch die Techniken zur Herstellung von Werkzeugen. Während in den vorausgegangenen Epochen des Neotlithikums Hämmer, Schaber oder Messer aus Feuerstein noch recht grob ausfielen, zeigt eine in Himmelstadt gefundene Axt aus dem Mittelneolithikum (etwa 4500 v. Chr.), besonders am sorgfältig gebohrten Loch, die kundige Hand eines Meisters. Ein Steinbeil aus Amphibolith, (gefunden in Aschfeld am "Point"), aus der frühen Jungsteinzeit ist gut 7000 Jahre alt und hat eine eingearbeitete Schneide aus Amphibolith, einem harten Umwandlungsgestein aus Basalt oder Gabbro, das unter anderem Granat und Quarz enthält.

Zu den Funden von Thomas Höfling gehören auch eine ganze Sammlung unscheinbarer, flacher, aber scharfkantiger Steine aus Flint oder Feuerstein. Einige sind als Schaber oder Messer präpariert, andere als Pfeilspitze. Damit zeigt sich die nächste Dimension für die Lebenswirklichkeit der Menschen im Neolithikum: Feuerstein oder der oben erwähnte Amphibolith kommt in unserer Gegend nicht vor, er muss also entweder als Rohstoff oder als Fertigprodukt in die Region gebracht worden sein.
Tauschhandel in immer größerem Umfang
Hier kam natürlich die nächste Folge der Sesshaftwerdung in der Jungsteinzeit zum Ausdruck. Durch die mögliche Arbeitsteilung innerhalb der Gemeinschaften konnten Produktionsüberschüsse erzielt und diese mit den Erzeugnissen anderer Gruppen getauscht werden. Diese waren insbesondere Saatgut, Getreidemehl, Haustiere, Tongefäße, seltene Steinarten, Schmuckschnecken und Muscheln. Silexgeräte wie Pfeilspitzen, Schaber, Bohrer und Sichelklingen, die in der Nähe von Zellingen gefunden wurden, zeugen von dem Handel.
Um aber Ackerbau nachhaltig betreiben zu können und die Versorgung der Gemeinschaft zu gewährleisten, mussten die neolithischen Menschen lernen, den Boden, die Bewässerung und die jahreszeitlichen Rhythmen zu verstehen und anzuwenden. Auch wurde Vorratshaltung notwendig, als Nahrungsreserven und für das künftige Saatgut. In der Jungsteinzeit wurden hauptsächlich Emmer und Einkorn angebaut, dazu kamen Dinkel und "Nacktweizen".
Wahrscheinlich entwickelten einige auch schon ausgeklügelte Techniken der Beobachtung von Wetter- und Jahreszeiten, wie die Kreisgrabenanlage bei Hopferstadt (Ochsenfurt) belegt. Diese Anlage wurde vor rund 6700 Jahren erbaut, also zwei Jahrtausende vor den ägyptischen Pyramiden und dem englischen Stonehenge.

Wie aber wohnten die Menschen in der Jungsteinzeit? Bei den Bodenvorbereitungen für die Gasleitung zwischen Heßlar und Aschfeld wurden 2012 zwei vorgeschichtliche Siedlungsplätze entdeckt. Neben bronzezeitlichen Funden konnten auf der dortigen Eschbachhöhe zahlreiche Siedlungsgruben und Pfostenstandspuren untersucht werden. Diese gehören zu einer ausgedehnten Dorfsiedlung der Linearbandkeramischen Kultur aus der Zeit um etwa 5200 bis 5000 v. Chr. Gefunden wurden Pfostengruben, Wandgräben, Vorratsgruben und große Lehmentnahmegruben, die man mehreren jungsteinzeitlichen Langhäusern zuordnen kann. Auch Überreste von Werkzeugen und Gefäßen geben beredten Aufschluss.
Der Stettener Heimatforscher und Hobbyarchäologe Vinzenz Krebs berichtet von einer ebenen Waldlichtung am Stettener Steinberg, wo er vor vielen Jahren die typischen kreisrunden Verfärbungen im Waldboden gefunden habe. Leider wurde diese Entdeckung nicht wissenschaftlich aufgenommen und dokumentiert. Die von ihm selbst angefertigten Aufzeichnungen lassen aber den Schluss zu, dass hier ein oder mehrere Langhäuser gestanden haben könnten. Diese Häuser dienten in der Regel mehreren Familien und oft auch dem Vieh.
Eigentum an Grund und Boden wurde bedeutend
Doch die "Neolithische Revolution" hatte noch andere Folgen, die bis in unsere Zeit reichen. Die Jäger und Sammler der vorausgegangenen Epochen waren nicht ortsgebunden. Die jeweiligen Gruppen hatten gewiss auch blutige Konflikte mit anderen, wenn es um Jagdreviere und günstige Behausungen ging. Aber letztendlich zog die unterlegene Gemeinschaft weiter und suchte sich neue Lebensräume. Eigentum an Grund und Boden war für diese Menschen gewiss irrelevant.

Nicht so nach dem Sesshaftwerden. Wer in jahrelanger mühevoller Arbeit unter Entbehrungen Wald gerodet und urbar gemacht hat, wer dort sein Vieh hält, seine gesamten Vorräte als Lebensgrundlage untergebracht hat, denkt und handelt mit Sicherheit radikaler, wenn andere meinten, die Früchte der Arbeit an sich zu reißen. Besitz war jetzt wichtig. Eigentum, das man unter keinen Umständen aufgeben konnte, sondern bis zum Letzten verteidigen musste. Man kann sich vorstellen, dass viele Generationen lang Nomaden und sesshafte Bauern nebeneinander und oft auch gegeneinander in einer Region gelebt haben – mit allen Konsequenzen.
Gleichzeitig sorgte die bessere Versorgung mit Nahrungsmitteln und die höhere Lebenssicherheit für einen steilen Anstieg der Bevölkerung. Damit vergrößerten sich die Siedlungen, die Dörfer und die Zusammenschlüsse der Gemeinschaften. Es entstanden Stämme, Völker und stadtähnliche Niederlassungen. Großgemeinden, Städte und mächtige Reiche finden wir später in der Bronzezeit.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.