"Was während des Lockdowns so passiert", das berichtet die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Marktheidenfeld in einer Pressemitteilung: Da „treffen“ sich zum Beispiel junge Erwachsene unter anderem im Rahmen eines Angebotes der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde und dem CVJM Marktheidenfeld online, um – virtuell – Gemeinschaft und Zeit miteinander zu verbringen und sich mit interessanten Themen auseinanderzusetzen.
Anfang des Jahres 2020 gab es noch Veranstaltungen für junge Erwachsene in Präsenz, die vom CVJM und der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Marktheidenfeld und dem Kloster Triefenstein sowie Ehrenamtlichen aus dem CVJM Altfeld angeboten wurden. Da man sich aber momentan nicht live treffen kann, kommen die jungen Leute virtuell auf der Internetplattform "zoom" zusammen, wie auch am 9. Februar zu einem „Sicaron Basalon“-Abend, was wörtlich übersetzt „Erinnern im Wohnzimmer“ bedeutet.
Hinter diesem Motto steht eine Initiative mit der Idee, dass man zuhause einen Gedenkabend an den Holocaust gestaltet, bei dem jemand von der persönlichen Geschichte und Erlebnissen erzählt. Vikar Michael Rummel, der zum Teil in Israel lebte und studierte, initiierte diese Veranstaltung dank seiner Kontakte und vorheriger Arbeit.
Hierzu lud er den besonderen Gast und Referenten Yuval Rubovitch (36) alt ein, einen israelischen Historiker, der über seine Familiengeschichte während des dritten Reiches erzählte und mit den Teilnehmenden darüber ins Gespräch kam. Seine Großeltern, die aus Rumänien stammten, überlebten Arbeitslager, Hunger und Flucht.
"Der Antisemitismus kursierte in ganz Europa"
Wozu solche Abende? Zu dieser Frage meint Jugendreferentin Daniela Hoffmann in der Pressemitteilung: "Nie wieder! … Die meisten von uns kennen unsere Geschichte und haben viel vom Holocaust gehört. Warum dann so eine Veranstaltung? Yuval Rubovitch berichtete, dass in den vierziger Jahren die rumänische Regierung mit den Deutschen zusammengearbeitet hatte, um die jüdische Bevölkerung auch bei sich zu eliminieren und zur Zwangsarbeit zu zwingen. Teilnehmer des Abends haben gefragt, warum. Die Antwort war vielen von uns neu. Der Antisemitismus mit seinen Lügenmärchen und Verschwörungsmythen kursierte in ganz Europa, so auch in diesen Ländern. An unserem Gedenkabend ist wieder deutlich geworden, wie beeinflussbar Denken ist und dass wir uns hüten müssen, dass Verschwörungstheorien und besonders Antisemitismus oder Abwertung anderer Menschen Raum gewinnt, damit so etwas nicht noch mal passiert."
Hoffmann schreibt weiter: "So weit weg … Was damals geschah, können wir kaum fassen. Es wirkt weit weg. Durch Begegnungen wie an diesem Abend wird es greifbarer. Mich persönlich bewegt es, wenn ich einem/r Holocaustüberlebenden gegenüberstehe und höre, was dieser Mensch erlebt hat oder von Angehörigen von Überlebenden erzählt bekomme, welche Auswirkungen es auf ihre Familie hat und wie sie sich mit diesem Teil ihrer persönlichen Geschichte auseinandersetzen. Nun realisiere ich ein Stück weit mehr, was passiert ist und dass es gar nicht so lange her ist. Der Holocaust hat Folgen auch heute. Sechs Millionen Juden sind in Europa umgekommen. Wie viele Potentiale, wie viele mögliche Nachkommen und Großfamilien und Stammbäume liegen begraben? Wie groß wäre das Volk heute?
Aufarbeitung, aufeinander zugehen ……Vielen jüdischen Israelis geht es bei diesen Initiativen um Aufarbeitung, um Gedenken, vielleicht sogar Begegnung mit uns Deutschen und Versöhnung. Holocaustüberlebende in erster, zweiter oder dritter Generation reden selten darüber. Erst in letzter Zeit fing es an, die Erlebnisse bzw. die Familiengeschichte aufzuarbeiten. Lange waren die Wunden noch zu frisch. Ein Teilnehmer unseres Onlineabends war interessiert, wie Yuval Rubovitch damit umgehe, mit dem Bewusstsein seiner Familiengeschichte heute in Deutschland zu leben. Yuval Rubovitch antwortete, dass er damit keine Probleme habe. Die heutige Generation treffe ja keine Schuld."
"Es geht nicht in erster Linie um Schuld"
Der Text resümiert: "Bei den Gedenkveranstaltungen geht es auf israelischer Seite nicht in erster Linie um Schuld. Bei unserem Holocaustgedenkabend haben wir festgestellt, dass die Reaktionen der Teilnehmenden unterschiedlich waren. Einige sind sich bewusst, dass sie nicht die Schuld tragen. Für eine andere ist es doch ein persönliches Thema, da ein Familienmitglied an den Deportationen der Juden als Aufseher beteiligt war. Jene hatte aber im Rahmen von anderen Veranstaltungen erstaunliche Begegnungen mit jüdischen Israelis, die sich für das Gedenken einsetzen. Von gerade ihnen war sie als Deutsche mit Herzlichkeit und Gastfreundschaft empfangen worden. Bei diesen Begegnungsmomenten geht es vor allem um Wertschätzung, indem man Betroffenen des Holocausts zuhört und aufeinander zugeht."