Eine ganze Reihe jüdischer Besucherinnen und Besucher kommt nach den Worten von Wolfgang Vorwerk jährlich nach Lohr und wundert sich, wie sichtbar – im Gegensatz zu früher – das öffentliche Gedenken an die ehemalige jüdische Kultusgemeinde ist. Was sich in den vergangenen fünf Jahren hier getan hat, zeigte der Vorsitzende des Lohrer Geschichts- und Museumsvereins bei einer Führung rund um den Schlossplatz.
Zu der Gemeinschaftsveranstaltung mit der Volkshochschule Lohr-Gemünden waren rund 20 Bürgerinnen und Bürger gekommen. Neben den Gedenkorten am Schlossplatz gebe es noch weitere, die aber den Rahmen der Führung sprengen würden, machte Vorwerk klar: die ehemalige Synagoge an der Fischergasse, das Bezirkskrankenhaus und den "Schlossmann-Blick" auf dem Buchenberg.
An der Ostseite des Schlossplatzes erinnert eine städtische Informationstafel an 75 Jahre jüdisches Leben in Lohr von 1864 bis 1939. Die Kultusgemeinde in Lohr war nach den Worten Vorwerks sehr jung und wurde erst möglich, als den Juden im Königreich Bayern 1861 die Niederlassungsfreiheit zugestanden wurde. Zuvor hätten sich die Lohrer jahrhundertelang gegen die Niederlassung von Juden in ihrer Stadt gewehrt.
Erster Zuzug 1862
1862 sei Samuel Selig aus Steinbach als erster Jude nach Lohr gezogen, viele weitere aus den umliegenden Gemeinden seien wegen der besseren wirtschaftlichen Perspektiven gefolgt, so Vorwerk. 1864 war die Zahl der Zugewanderten so groß, dass eine jüdische Kultusgemeinde gegründet werden konnte. Sie gab sich Statuten und wählte einen Vorsitzenden.
Ihren ersten Betsaal bezog sie 1867/68 im Gebäude gegenüber der Kellereischeune, woran seit April 2018 eine Gedenktafel erinnert. Die Räume mietete die Gemeinde von einem Lohrer Dachdeckermeister als Übergangslösung an. Im November 1871 erfolgte der Umzug in das Gebäude Fischergasse 32, das für stattliche 3000 Gulden gekauft worden war und in eine Synagoge umgebaut wurde.
Die Gasse, an der der erste Betsaal lag, heißt seit 2019 Lotte-Stern-Gasse nach dem jüdischen Mädchen Lotte Stern aus der Lohrer Hauptstraße, die 1942 in Auschwitz umgebracht wurde. Ihr Schicksal ist besonders tragisch, denn ihr Vater konnte sie als 13-Jährige in die vermeintlich sichere Niederlande bringen. Nach der deutschen Besetzung des Nachbarlandes wurde sie 1942 in einem Kinderheim verhaftet und ins Vernichtungslager transportiert.
Gedenken an 17 deportierte Menschen
Letzte Station der Führung war die Gedenktafel auf dem Stein an der alten Stadtmauer neben dem Kriegerdenkmal an der Grafen-von-Rieneck-Straße. Die am 11. November 2019 enthüllte Tafel nennt die Namen von 17 Menschen aus Lohrer jüdischen Familien, die aus anderen Städten in Vernichtungslager deportiert wurden. Direkte Deportationen aus Lohr gab es nicht, weil sich die jüdische Kultusgemeinde 1939 aufgelöst und die meisten Jüdinnen und Juden Lohr verlassen hatten.
Das benachbarte Denkmal für die Gefallenen und Vermissten des Ersten Weltkriegs wurde nach Vorwerks Angaben zur Hälfte mit einer Spende des jüdischen Ehrenbürgers Joseph Schloßmann finanziert. Das habe den 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialisten ebenso wenig gefallen wie die zentrale Christusfigur des Bildhauers Hermann Amrhein für das Denkmal. Der germanische Bannerträger als Ersatz hielt sich nur bis 1945 und wurde danach wieder gegen Amrheins Christus ausgetauscht.
Original wurde auf der Straße gefunden
Das Spessartmuseum im Lohrer Schloss plant nach Vorwerks Worten im kommenden Jahr eine Dauerausstellung zum jüdischen Leben im Kreis. Ein zentrales Ausstellungsstück werde das Oberteil des Thoraschreins sein, das im September 2021 auf dem Dachboden der ehemaligen Synagoge an der Fischergasse entdeckt wurde, wo es als Werkzeugschrank an die Wand angenagelt worden war.
Ferner werde eine Kopie und Transkription des ersten Protokollbuchs der jüdischen Kultusgemeinde ausgestellt, das die Reichsprogrammnacht im November 1938 überlebt habe und heute in Jerusalem aufbewahrt werde. Das zweite Protokollbuch und die Thorarolle seien in dieser Nacht zerstört worden.
Ein weiteres Ausstellungsstück werde das Original der sogenannten Ester-Rolle aus der Lohrer Synagoge sein. Darin wird an die persische Königin Ester erinnert, die ihre jüdischen Landsleute rettete. Das Original sei in der Pogromnacht von einem Jungen auf der Straße gefunden und 1992 anonym zurückgegeben worden, berichtete Vorwerk. Seither wurde die Rolle in der Synagoge in Urspringen aufbewahrt. Voriges Jahr wurde sie ans Spessartmuseum übergeben.