
Bei geöffnetem Redaktionsfenster an der Lohrer Hauptstraße sind sie nicht zu überhören: Die Lohrer Italiener, die sich – meist vormittags – auf der Piazza treffen. Je nach Temperatur suchen die Männer die Sonne oder den Schatten, sitzen mal auf der Bank an der Liftfasssäule, mal im Fensterbogen des alten Rathauses. Man erkennt sie, weil sie in ihrer Muttersprache sprechen.
Fast immer dabei ist Carmelo Amenta. Von seinen 80 Lebensjahren hat er 60 in Lohr verbracht. Das ist ihm wichtig, und dass er einer der Ersten war. Am Montag sitzt er auf der Bank vor einem der Fenster am alten Rathaus. Eigentlich wollte er noch ein paar Landsleute zusammentrommeln, die von ihrem Leben in Lohr erzählen.
Viele stammen aus Lentini
Aber es sind nur vier, von denen zwei gleich wieder verschwinden. Warum sind nicht mehr gekommen? Warum laufen manche gleich wieder weg? "Sie genieren sich", sagt Amenta. Eine Erklärung hat er dafür nicht. Immerhin Francesco Grillo leistet ihm Gesellschaft. Er stammt wie Amenta aus Sizilien, aber nicht wie Amenta und viele der Lohrer Italiener aus Lentini, sondern aus Talagonia in der Provinz Catania. Mit 17 Jahren kam er erstmals auf Besuch nach Lohr – und blieb. 1974 hatte er seine Schwägerin zu seinem Bruder – ihrem Mann – nach Lohr gebracht. Auch Grillo ist mit einer Landsfrau verheiratet. Ihr Zuhause ist Lohr. Das sagt auch Amenta, der mit einer Lohrerin verheiratet war. Mittlerweile ist er Witwer.
Amenta hat den Verein "Internationale Begegnung" gegründet, um die Integration zu fördern und Neuankömmlingen zu helfen. Treffpunkt ist das ehemalige Gasthaus Schiff an der Vorstadtstraße montags bis freitags von 16 bis 22 Uhr, samstags und sonntags zusätzlich von 9 bis 13 Uhr. Amenta war lange Vorsitzender, jetzt ist er Präsident, erzählt er stolz. Mal zehn, mal 20, mal 30 Leute kämen zu den Treffen, hauptsächlich Italiener, meist die Älteren.
Die meisten der in Lohr lebenden Italiener haben ihre Staatsbürgerschaft behalten, schätzen die beiden. Dafür sprechen auch die Zahlen aus dem Lohrer Rathaus. Die Kinder, die in Deutschland aufgewachsen und oft deutsche Partner oder Partnerinnen haben, entschieden sich mitunter für die doppelte Staatsbürgerschaft, die im Wesentlichen nur EU-Bürgern zugestanden wird.
Keine Sehnsucht? Nichts, was sie vermissen? Die beiden Rentner schütteln den Kopf. Amenta war fünf Jahre nicht mehr in Lentini, erzählt er. Wenn er nach Italien wolle, fahre er nach Jesolo. Je älter sie werden, umso weniger Verwandte gibt es noch. Grillo reist einmal im Jahr in seine Heimat.
Gibt es zumindest ein Gericht, das sie mit ihrer Jugend, ihrer Herkunft verbindet? "Tagliatelle mit Ragout", sagt Amenta. Aber er könne es nicht ganz so gut kochen wie seine Mutter. "Pizza und frischen Fisch vom Meer", nennt Grillo. Seine Augen kann man hinter der Sonnenbrille nicht sehen. Aber die Mundwinkel gehen hoch, als er das erzählt.
Ansonsten gönnen sich die beiden keine Sentimentalitäten. In Deutschland sei alles gut organisiert. Die Atmosphäre und die Menschen seien freundlich. In Lohr sei es schön und die Luft gut. Wie überall gebe es Gute und Schlechte.
Auch Enkelin noch zweisprachig
Einstweilen kommt Concetta Gissara vorbei und setzt sich dazu. Sie hat ihre Enkeltochter dabei, mit der sie italienisch spricht. Sie wächst zweisprachig auf, wie Gissara erzählt. Als 25-Jährige folgte sie 1984 ihrem Mann, der schon 1962 nach Lohr gezogen war. Auch sie stammt aus der Nähe von Lentini. Dort hatte sich das Paar kennengelernt, als er auf Heimaturlaub war. Die beiden haben zwei Kinder und zwei Enkel. "Jeweils ein Bu un ä Mädle." Inzwischen wohnen sie in Ansbach.
Kein Heimweh nach der Familie in Italien, die Landschaft? "Man gewöhnt sich daran", sagt sie. Sie schätzt an Deutschland, dass man es mit Fleiß zu etwas bringen könne, die Freiheit und die Freundlichkeit.
"Wir gehören dazu"
Dass sie Italiener sind, spiele keine Rolle. Gissara hat die doppelte Staatsbürgerschaft und arbeitet seit Jahrzehnten bei Indramat. "Man bleibt, wo die Familie ist. Da ist man zuhause."
Ob sie nach Italien zurück ginge, wenn sie alleine wäre? "Ich glaube nicht. Ich müsste dort neu anfangen. Ich bin seit 36 Jahren weg." Ja, sie fühle sich hier integriert. "Wir gehören dazu." Die beiden Männer, die mit ihr auf der Lohrer Piazza sitzen, nicken.