„Ohne Eitelkeit gibt es kein Schreiben. Egal, ob Autor oder Kritiker – Eitelkeit muss dabei sein“, so treffend äußerte sich einst Marcel Reich-Ranicki, der Schülergenerationen von heute kaum mehr bekannt sein dürfte, erst recht nicht das Literarische Quartett, das Ranicki als Literaturkenner und Literaturkritiker prägte. Schade eigentlich, heißt es in einer Pressemitteilung des Balthasar-Neumann-Gymnasiums (BNG) Marktheidenfeld, denn sonst wäre es für Schüler heute womöglich selbstverständlich, sich auch außerhalb des konventionellen Deutschunterrichts mit Literatur zu befassen.
Sven Blöchinger, am BNG für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, schreibt: „Es haben Smartphone, Internet und Fernsehen dem Lesen nun einmal den Rang abgelaufen, das lässt sich kaum leugnen, und dennoch lassen sich Begeisterung und sogar Leidenschaft für Literatur wecken, indem man manchmal unorthodoxe Wege geht, wie es der nun schon traditionelle Literaturtag der Q11 am BNG.
An diesem Tag setzen sich Schülergruppen zusammen, um über literarische Werke zu diskutieren, nicht um Interpretationen von Lehrern oder aus Sekundärliteratur zu übernehmen, sondern um eigene, selbst entwickelte Gedanken auszutauschen und auch Bücher zu bewerten.
Eine Aufgabe, die man vielleicht nur mit etwas Eitelkeit selbstbewusst erfüllen kann. „Gone Girl“ von Gillian Flynn, „Einsamkeit und Sex und Mitleid“, geschrieben von Helmut Krausser, Mechtild Borrmanns Buch „Die andere Hälfte der Hoffnung“ und Isabelle Lehns „Binde zwei Vögel zusammen“ wurden jeweils als Gegenstand eines Quartetts ausgewählt. Natürlich wurde den Oberstufenschülern im Vorfeld vermittelt, wie das berühmte Literarische Quartett mit Werken und Autoren umzuspringen pflegte, aber nicht um dies nachzuahmen, vielmehr diente das als Anreiz und Inspiration.
Unter dieser Voraussetzung vielleicht ein Gang in die Höhle der Löwen für die Autorin Isabelle Lehn, die zu Gast war und sich den kritischen Fragen und Bemerkungen des Quartetts, bestehend aus Annika Schreck, Clara Schwab, Melina Bohn und Lea Kasamas, stellte. Die anschließende Autorenlesung verriet aber, dass die Autorin gerne bereit war, ihre Gedanken zur Entstehung und Intention des Werkes zu teilen.
,Am Anfang stand die zufällige Begegnung mit einer Augenzeugin, die für mehrere Wochen in einem bayrischen Militärcamp die Rolle einer Afghanin gespielt hat, um ISAF-Soldaten vor ihrem Einsatz auf das Zusammentreffen mit der Zivilbevölkerung vorzubereiten‘, erläuterte Lehn ihre Vorgehensweise. Die Augenzeugin diente als Vorlage für die Hauptfigur Albert, an dem die Kriegssimulation nicht spurlos vorübergeht und schon bald ist weder für ihn noch für den Leser klar, was Spiel ist und was Ernst: ,Das Schreiben entlang der Grenzen von Realität und Fiktion war für mich ein zentrales Verfahren des Romans‘.
Auch wenn der Literaturtag mit einigem Mehraufwand für alle Beteiligten verbunden war – in den Pausen wurde selbst gemachte Salate, Kuchen und Häppchen serviert – dürfte ein weiteres Ranicki-Zitat für die Schüler zugetroffen haben: „Das Literarische Quartett hat mich oft amüsiert, bisweilen geärgert, nie gelangweilt.‘“