Sie mussten ihres christlichen Glaubens wegen vor dem IS fliehen, der ihre Heimatstadt Karakosch im Nordirak, seit rund 2000 Jahren christlich, in ein Trümmerfeld verwandelt hat. Alles mussten sie bei der übereilten Flucht zurücklassen. Seit knapp zwei Jahren sind drei Brüder der Familie Bakos, zwei davon mit Frau und je vier Kindern, in Lohr. Sie fühlen sich hier wohl und sicher, gehen hier regelmäßig in den katholischen Sonntagsgottesdienst und haben bei der Karfreitagsprozession auch schon Figuren getragen. Aber ihr Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Sie sollen abgeschoben werden in den Irak.
Es war der 6. August 2014, als sie vertrieben wurden, erinnert sich der 21-jährige Sohn des mit 44 Jahren ältesten der drei Brüder in Lohr. In leidlich gutem Deutsch erzählt er, dass sich die über 50 000 aramäischen oder syrischen Christen, die noch die Sprache von Jesus Christus sprechen, dort sicher fühlten, obwohl die Terrortruppe IS in der Nähe war und es schon Bombardierungen gegeben habe. Einer der Brüder betrieb eine Firma, die Betonsteine goss, ein anderer hatte einen größeren Supermarkt. In der Nähe der Stadt, deren aramäischer Name Baghdeda ist, befinden sich die Großstadt Mossul und die antiken Ruinen der klangvollen assyrischen Städte Ninive und Nimrud.
Kurden ließen die Christen im Stich
„Die Kurden haben gesagt, wir verteidigen euch“, erzählt der 21-Jährige, dessen Namen wie auch der seiner Familienmitglieder nicht veröffentlicht werden soll, weil sie vielleicht in den Irak zurückkehren. Rund 2000 kurdische Peschmerga waren damals in der Stadt, hatten sogar Panzer. An jenem 6. August jedoch seien diese in der Nacht aus heiterem Himmel einfach davongelaufen, ohne eine Warnung an die christlichen Einwohner der Stadt.
Als die Einwohner die Lichter und das Grollen der heranrückenden IS-Fahrzeuge wahrnahmen, mussten sie Hals über Kopf fliehen. Die Frau des zweitältesten Bruders war damals hochschwanger. Zeit, Gepäck mitzunehmen, hatten sie nicht. Manche seien einfach losgelaufen und hätten sogar ihr Auto stehengelassen. Der IS zerstörte Kirchen und Wohngebäude, plünderte und brandschatzte – „damit die Leute nicht wiederkommen“, ist sich der 21-Jährige sicher.
Kreuze für Schießübungen missbraucht
Auf seinem Handy zeigt einer der Brüder Bilder aus der vor gut einem Jahr von der irakischen Armee zurückeroberten Stadt. Man sieht viele zerstörte Gebäude, darunter sein eigenes und das Elternhaus. Steinerne Kreuze in den elf Kirchen, die zu den ältesten und größten im Nahen Osten gehörten, wurden offenbar als Ziele von Schießübungen missbraucht.
Die Brüder flohen ins kurdische Erbil, wo sie erst in einer Kirche unterkamen, dann in einem Container. Tausende christliche Flüchtlinge hätten sich dort gedrängt. Von rund 250 000 spricht der 21-Jährige. Nach einem guten Vierteljahr bekamen sie mit kirchlicher Unterstützung eine Bleibe in einer Siedlung mit festen Häusern, wo sich sechs Leute ein Zimmer teilen mussten. „Wir hatten kein Vertrauen in die Kurden“, sagt der junge Aramäer. Das waren für sie Fremde mit einer ihnen fremden Sprache und Religion.
„Ein solches Volk gibt es nicht“
Nach etwa einem dreiviertel Jahr flüchteten sie über die Mittelmeerroute nach Deutschland, einem Land, von dem sie viel Gutes gehört hatten und wo bereits ein Schwager lebt. Der älteste der insgesamt vier Brüder floh mit den Eltern nach Jordanien. Bei der ersten Anhörung des Bundesamts für Migration, wo sie von ihrer Identität als Aramäer erzählten, hätten die nach Deutschland Geflohenen zu hören bekommen: „Ein solches Volk gibt es nicht, Sie sind Araber“, erzählt der 21-Jährige.
Im Juli vergangenen Jahres kam der Ablehnungsbescheid der Behörde. Die Begründung: Die autonome Region Kurdistan sei sicher, garantiere den Schutz religiöser Minderheiten und die Familie habe dort ein sicheres Auskommen gehabt. Die Männer erzählen, dass ihr Dolmetscher falsch übersetzt habe. So habe er gesagt, sie hätten in Erbil einen Supermarkt besessen, dabei war das in Karakosch. Die Wohnung, in der sie lebten, habe auch nicht ihnen gehört. Und: „Wir stammen nicht aus Kurdistan.“ Die Familie spreche auch kein kurdisch. Die Familie klagte dagegen, aber das Verwaltungsgericht Würzburg wies diese ab.
Ein Sohn wurde anerkannt
Interessanterweise wurde der ältere Bruder des 21-Jährigen als Flüchtling anerkannt. Der habe ein getrenntes Verfahren gehabt mit einem anderen Dolmetscher.
Nun haben sie einen neuen Anwalt und haben erneut geklagt. Ihre Hoffnung ist nun, dass sich aufgrund des aktuellen Konflikts zwischen den Kurden und den Arabern nicht zurück müssen. Sie fürchten zwischen die Fronten zu geraten. Ins 70 Prozent zerstörte Karakosch seien seit der Befreiung nur etwa 1000 bis 1500 Christen zurückgekehrt.
Die vier kleinen Kinder des zweitältesten Bruders in Lohr haben schon deutsch gelernt. Sein zehnjähriger Sohn weine, wenn er hört, dass sie in den Irak zurück sollen. Sein 21-jähriger Neffe möchte gerne eine Ausbildung zum Schreiner oder Maler und Lackierer machen, sagt er.