WÜRZBURG/KARLSTADT
Interview: Oppermann über Integration von Flüchtlingen
Vor dem Neujahrsempfang der Spessart-SPD am Freitag nahm SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in der Flüchtlingsdebatte die Politik in die Pflicht. Im Main-Post-Interview fordert er eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen, warnt vor falsch verstandener Toleranz und kritisiert den Schlagabtausch zwischen Merkel und ...
Noch immer strömen täglich Tausende Flüchtlinge nach Deutschland. Schaffen wir das?
Thomas Oppermann: Deutschland kann nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren. Wir müssen die Zahlen deutlich reduzieren. Das geht allerdings nicht mit national einseitig festgesetzten Obergrenzen, wie sie Horst Seehofer fordert, denn so kommt kein einziger Flüchtling weniger. Wir müssen schnell die EU-Außengrenzen so absichern, dass nicht mehr Schlepperbanden den Fluchtweg organisieren, sondern wir stattdessen vereinbarte Flüchtlingskontingente übernehmen.
Feste Kontingente und Sicherung der EU-Außengrenzen – das sind keine neuen Ideen. Aber seit Monaten schafft es die Politik nicht, sie auch umzusetzen.
Oppermann: Die EU hat mit der Türkei eine grundsätzliche Vereinbarung getroffen, was Grenzsicherung angeht, die aber noch nicht umgesetzt ist. Wir brauchen hier in den nächsten Monaten eine Lösung. Wenn die EU-Außengrenzen offen bleiben, wird der Druck, die EU-Innengrenzen zu schließen, unendlich groß. Das wäre der Anfang vom Ende Europas.
Der Landrat von Landshut ließ vergangene Woche 31 Flüchtlinge im Bus zum Kanzleramt bringen. Ein Hilferuf oder eine PR-Inszenierung?
Oppermann: Ein missglückter Hilferuf. Ich halte nichts davon, Flüchtlinge politisch zu funktionalisieren. Aber die Aktion zeigt, dass die Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge ihre Kapazitäten weitgehend ausgeschöpft haben.
Oppermann: Ich glaube, dass in erster Linie die Unterbringung in Notunterkünften sozialer Sprengstoff ist. Wir brauchen schnelle Verfahren, damit die Flüchtlinge mit Bleiberecht integriert werden können. Je länger die Integration hinausgeschoben wird, umso schwieriger wird die Sicherheitssituation. Deshalb haben wir ein großes Integrationsprogramm vorgelegt: Wir brauchen fünf Milliarden Euro für Wohnungen, Kita- und Schulplätze, Lehrer und Arbeitsvermittlung, damit die Flüchtlinge schnell in eine sinnvolle Beschäftigung kommen.
Haben die Ereignisse der Silvesternacht gezeigt, dass Politik und auch Medien die Probleme bei der Integration kleingeredet haben?
Oppermann: Nein. Die Linie der SPD war von Anfang an: Realismus und Zuversicht. Mir war immer klar, dass die Integration von mehreren Hunderttausend ein Marathonlauf sein wird, von dem wir nur ein paar Hundert Meter gelaufen sind. Das wird ein Kraftakt für die nächsten zehn Jahre. Aber es ist auch eine große Chance damit verbunden. Gerade die 320.000 schulpflichtigen Kinder, die mit den Flüchtlingen im letzten Jahr nach Deutschland gekommen sind, können sich sehr gut integrieren.
Sie forderten nach den Übergriffen in Köln 12.000 neue Polizisten in den nächsten vier Jahren. Ist das genug – und käme das auch schnell genug? Auch vor dem Hintergrund der wachsenden Terrorismusbedrohung.
Oppermann: Leider sind in den vergangenen Jahren zu viele Stellen bei der Polizei weggekürzt worden. Das rächt sich jetzt. Mit Blick auf die Situation an den Grenzen, aber auch auf öffentlichen Plätzen, benötigen wir dringend mehr Polizeipräsenz. Allerdings kann man die Polizisten nicht von heute auf morgen bereitstellen. Eine Ausbildung dauert drei Jahre. Aber die Innenminister können qualifizierte Angestellte etwa für Büroarbeiten heranziehen, damit mehr Polizeivollzugsbeamte auf die Straße und in die Ermittlungsarbeit gebracht werden können.
Oppermann: Pegida, NPD und AfD machen die Flüchtlinge insgesamt für die Straftaten in Köln und anderswo verantwortlich. Das ist falsch und gefährlich. Allerdings müssen diejenigen, die Straftaten begangen haben, mit aller Konsequenz zur Rechenschaft gezogen werden. Da darf es keine falsch verstandene Toleranz geben. Da gibt es nur eines: schnell aufklären, hart bestrafen und wenn möglich ausweisen. Zum Schutz der Opfer, aber auch im Sinne der großen Anzahl unbescholtener Flüchtlinge.
Sie haben Pegida und AfD angesprochen. Beide profitieren von der Flüchtlingsdiskussion. Glauben Sie, dass sich die politische Kultur in Deutschland verändert?
Oppermann: Auf jeden Fall hat sich die Stimmung verändert. Es gibt immer noch sehr viel Solidarität für die Flüchtlinge. Was die Stimmung verändert, sind aber nicht die Flüchtlinge selbst, sondern die Tatsache, dass sich die Situation als ein chaotischer Prozess darstellt und der Staat überfordert wirkt...
...wirkt er das nur, oder ist er das auch?
Oppermann: Jedenfalls muss der Staat jetzt die richtigen Entscheidungen treffen. Wir müssen etwa die Registrierung der Flüchtlinge so organisieren, dass die Behörden wissen, wer bei uns im Land ist. Es ist ein untragbarer Zustand, dass sich Zehntausende unregistriert im Land bewegen. Falls es eine Terrorwarnung gibt, sind wir nicht in der Lage, die entsprechenden Zielpersonen ausfindig zu machen. Deshalb haben wir im Bundestag jetzt auch ein Gesetz verabschiedet, mit dem ein einheitlicher Flüchtlingsausweis geschaffen wird.
Haben die Menschen den Glauben an Rechtsstaat, Demokratie und freie Presse verloren?
Oppermann: Diesen Trend gab es schon, bevor die Flüchtlinge kamen. Er hat sich jetzt nur verstärkt. Das wichtigste ist, dass wir in der derzeitigen Situation die staatliche Ordnung nicht preisgeben. Wir brauchen einen starken, handlungsfähigen Staat, der in der Lage ist, Recht durchzusetzen und die Schwachen zu schützen. Wir hatten beispielsweise im letzten Jahr 150.000 Wohnungseinbrüche, von denen nur 15 Prozent aufgeklärt wurden. Da erwarten die Menschen zurecht, dass der Staat in der Lage ist, sie besser davor zu schützen.
Oppermann: Ich will Angela Merkel gar nicht persönlich kritisieren, schon gar nicht, wenn sie sozialdemokratische Politik macht. Aber die Politik der CDU macht bodenständig Konservative, die niemals SPD wählen würden, politisch heimatlos. Allerdings sind jetzt alle Parteien gefordert, Lösungen zu liefern und nicht nur große Worte.
Die Union ist in der Flüchtlingsfrage uneins. Wie schwierig ist gerade die Arbeit für die SPD als Koalitionspartner?
Oppermann: Einerseits profitieren wir davon, weil wir der Motor der Regierung sind und wichtige Ziele durchsetzen können. Andererseits lähmt es die Regierung: Die permanente Auseinandersetzung zwischen Seehofer und Merkel muss dringend beendet werden.
Sie haben die SPD als „Motor der Regierung“ bezeichnet. Ihre Partei hat tatsächlich viel erreicht – Stichwort Mindestlohn. Viele positive Schlagzeilen hat die SPD aber nicht bekommen. Verkauft die SPD ihre Erfolge schlecht?
Oppermann: Wir konzentrieren uns auf sachliche Regierungsarbeit. Wenn der Mindestlohn, das Elterngeld plus oder das verbesserte Pflegegesetz nicht zu so spektakulären Schlagzeilen führt, wie der inszenierte Schlagabtausch zwischen Merkel und Seehofer, dann ist das bedauerlich. Wir werden aber trotzdem unsere sachorientierte Politik fortsetzen.
Und mit dieser Strategie will die SPD 2017 am liebsten wieder ins Kanzleramt einziehen. Wen schicken Sie ins Rennen? Sigmar Gabriel – oder werfen Sie Ihren Hut in den Ring?
Oppermann: Ich werfe lieber einen Ball in den Basketballkorb. Über die Kanzlerkandidatur werden wir in einem Jahr entscheiden. Sigmar Gabriel hat als Parteichef den ersten Zugriff.
Thomas Oppermann: Deutschland kann nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren. Wir müssen die Zahlen deutlich reduzieren. Das geht allerdings nicht mit national einseitig festgesetzten Obergrenzen, wie sie Horst Seehofer fordert, denn so kommt kein einziger Flüchtling weniger. Wir müssen schnell die EU-Außengrenzen so absichern, dass nicht mehr Schlepperbanden den Fluchtweg organisieren, sondern wir stattdessen vereinbarte Flüchtlingskontingente übernehmen.
Feste Kontingente und Sicherung der EU-Außengrenzen – das sind keine neuen Ideen. Aber seit Monaten schafft es die Politik nicht, sie auch umzusetzen.
Oppermann: Die EU hat mit der Türkei eine grundsätzliche Vereinbarung getroffen, was Grenzsicherung angeht, die aber noch nicht umgesetzt ist. Wir brauchen hier in den nächsten Monaten eine Lösung. Wenn die EU-Außengrenzen offen bleiben, wird der Druck, die EU-Innengrenzen zu schließen, unendlich groß. Das wäre der Anfang vom Ende Europas.
Der Landrat von Landshut ließ vergangene Woche 31 Flüchtlinge im Bus zum Kanzleramt bringen. Ein Hilferuf oder eine PR-Inszenierung?
Oppermann: Ein missglückter Hilferuf. Ich halte nichts davon, Flüchtlinge politisch zu funktionalisieren. Aber die Aktion zeigt, dass die Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge ihre Kapazitäten weitgehend ausgeschöpft haben.
Sie sagen bei der Unterbringung. Wie sieht es in anderen Bereichen aus? In NRW sagt etwa eine Stadt ihren Faschingsumzug ab, weil man dort Übergriffe wie in Köln befürchtet. Eine andere lässt keine männlichen Flüchtlinge mehr in ihr Schwimmbad, weil sich Frauen belästigt fühlten.„Je länger die Integration hinausgeschoben wird, umso schwieriger wird die Sicherheitssituation.“ (Thomas Oppermann)
Oppermann: Ich glaube, dass in erster Linie die Unterbringung in Notunterkünften sozialer Sprengstoff ist. Wir brauchen schnelle Verfahren, damit die Flüchtlinge mit Bleiberecht integriert werden können. Je länger die Integration hinausgeschoben wird, umso schwieriger wird die Sicherheitssituation. Deshalb haben wir ein großes Integrationsprogramm vorgelegt: Wir brauchen fünf Milliarden Euro für Wohnungen, Kita- und Schulplätze, Lehrer und Arbeitsvermittlung, damit die Flüchtlinge schnell in eine sinnvolle Beschäftigung kommen.
Haben die Ereignisse der Silvesternacht gezeigt, dass Politik und auch Medien die Probleme bei der Integration kleingeredet haben?
Oppermann: Nein. Die Linie der SPD war von Anfang an: Realismus und Zuversicht. Mir war immer klar, dass die Integration von mehreren Hunderttausend ein Marathonlauf sein wird, von dem wir nur ein paar Hundert Meter gelaufen sind. Das wird ein Kraftakt für die nächsten zehn Jahre. Aber es ist auch eine große Chance damit verbunden. Gerade die 320.000 schulpflichtigen Kinder, die mit den Flüchtlingen im letzten Jahr nach Deutschland gekommen sind, können sich sehr gut integrieren.
Sie forderten nach den Übergriffen in Köln 12.000 neue Polizisten in den nächsten vier Jahren. Ist das genug – und käme das auch schnell genug? Auch vor dem Hintergrund der wachsenden Terrorismusbedrohung.
Oppermann: Leider sind in den vergangenen Jahren zu viele Stellen bei der Polizei weggekürzt worden. Das rächt sich jetzt. Mit Blick auf die Situation an den Grenzen, aber auch auf öffentlichen Plätzen, benötigen wir dringend mehr Polizeipräsenz. Allerdings kann man die Polizisten nicht von heute auf morgen bereitstellen. Eine Ausbildung dauert drei Jahre. Aber die Innenminister können qualifizierte Angestellte etwa für Büroarbeiten heranziehen, damit mehr Polizeivollzugsbeamte auf die Straße und in die Ermittlungsarbeit gebracht werden können.
Werden Flüchtlingen zu sehr mit Kriminalität in Verbindung gebracht?„Falls es eine Terrorwarnung gibt, sind wir nicht in der Lage, die entsprechenden Zielpersonen ausfindig zu machen.“ (Thomas Oppermann)
Oppermann: Pegida, NPD und AfD machen die Flüchtlinge insgesamt für die Straftaten in Köln und anderswo verantwortlich. Das ist falsch und gefährlich. Allerdings müssen diejenigen, die Straftaten begangen haben, mit aller Konsequenz zur Rechenschaft gezogen werden. Da darf es keine falsch verstandene Toleranz geben. Da gibt es nur eines: schnell aufklären, hart bestrafen und wenn möglich ausweisen. Zum Schutz der Opfer, aber auch im Sinne der großen Anzahl unbescholtener Flüchtlinge.
Sie haben Pegida und AfD angesprochen. Beide profitieren von der Flüchtlingsdiskussion. Glauben Sie, dass sich die politische Kultur in Deutschland verändert?
Oppermann: Auf jeden Fall hat sich die Stimmung verändert. Es gibt immer noch sehr viel Solidarität für die Flüchtlinge. Was die Stimmung verändert, sind aber nicht die Flüchtlinge selbst, sondern die Tatsache, dass sich die Situation als ein chaotischer Prozess darstellt und der Staat überfordert wirkt...
...wirkt er das nur, oder ist er das auch?
Oppermann: Jedenfalls muss der Staat jetzt die richtigen Entscheidungen treffen. Wir müssen etwa die Registrierung der Flüchtlinge so organisieren, dass die Behörden wissen, wer bei uns im Land ist. Es ist ein untragbarer Zustand, dass sich Zehntausende unregistriert im Land bewegen. Falls es eine Terrorwarnung gibt, sind wir nicht in der Lage, die entsprechenden Zielpersonen ausfindig zu machen. Deshalb haben wir im Bundestag jetzt auch ein Gesetz verabschiedet, mit dem ein einheitlicher Flüchtlingsausweis geschaffen wird.
Haben die Menschen den Glauben an Rechtsstaat, Demokratie und freie Presse verloren?
Oppermann: Diesen Trend gab es schon, bevor die Flüchtlinge kamen. Er hat sich jetzt nur verstärkt. Das wichtigste ist, dass wir in der derzeitigen Situation die staatliche Ordnung nicht preisgeben. Wir brauchen einen starken, handlungsfähigen Staat, der in der Lage ist, Recht durchzusetzen und die Schwachen zu schützen. Wir hatten beispielsweise im letzten Jahr 150.000 Wohnungseinbrüche, von denen nur 15 Prozent aufgeklärt wurden. Da erwarten die Menschen zurecht, dass der Staat in der Lage ist, sie besser davor zu schützen.
Sie warfen der Kanzlerin vor, dass sie Konservativen in der CDU keine Heimat mehr gibt und so die AfD gestärkt hat. Was hat sie konkret falsch gemacht?„Was die Stimmung verändert, sind nicht die Flüchtlinge selbst, sondern die Tatsache, dass sich die Situation als ein chaotischer Prozess darstellt und der Staat überfordert wirkt.“ (Thomas Oppermann)
Oppermann: Ich will Angela Merkel gar nicht persönlich kritisieren, schon gar nicht, wenn sie sozialdemokratische Politik macht. Aber die Politik der CDU macht bodenständig Konservative, die niemals SPD wählen würden, politisch heimatlos. Allerdings sind jetzt alle Parteien gefordert, Lösungen zu liefern und nicht nur große Worte.
Die Union ist in der Flüchtlingsfrage uneins. Wie schwierig ist gerade die Arbeit für die SPD als Koalitionspartner?
Oppermann: Einerseits profitieren wir davon, weil wir der Motor der Regierung sind und wichtige Ziele durchsetzen können. Andererseits lähmt es die Regierung: Die permanente Auseinandersetzung zwischen Seehofer und Merkel muss dringend beendet werden.
Sie haben die SPD als „Motor der Regierung“ bezeichnet. Ihre Partei hat tatsächlich viel erreicht – Stichwort Mindestlohn. Viele positive Schlagzeilen hat die SPD aber nicht bekommen. Verkauft die SPD ihre Erfolge schlecht?
Oppermann: Wir konzentrieren uns auf sachliche Regierungsarbeit. Wenn der Mindestlohn, das Elterngeld plus oder das verbesserte Pflegegesetz nicht zu so spektakulären Schlagzeilen führt, wie der inszenierte Schlagabtausch zwischen Merkel und Seehofer, dann ist das bedauerlich. Wir werden aber trotzdem unsere sachorientierte Politik fortsetzen.
Und mit dieser Strategie will die SPD 2017 am liebsten wieder ins Kanzleramt einziehen. Wen schicken Sie ins Rennen? Sigmar Gabriel – oder werfen Sie Ihren Hut in den Ring?
Oppermann: Ich werfe lieber einen Ball in den Basketballkorb. Über die Kanzlerkandidatur werden wir in einem Jahr entscheiden. Sigmar Gabriel hat als Parteichef den ersten Zugriff.
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