
Als Johanna Amrhein aus Frammersbach im Rahmen des Geschichtsunterrichts am Lohrer Gymnasium zum ersten Mal die Urspringer Synagoge besuchte, war sie 14 Jahre alt und wusste nicht viel über den Holocaust. Aber sie erinnert sich noch heute lebhaft an den Schrecken, der von dem Bewusstsein ausging, dass in Deutschland lebende Menschen nur wegen ihrer Religion ermordet worden waren. Das geht aus einer Pressemitteilung der Synagoge hervor.
Am meisten beeindruckt habe sie damals jedoch der Chuppa-Stein und die Erzählung über den Brauch, dass der jüdische Bräutigam hier als Zeichen für das erhoffte Eheglück ein Glas zerschmettert. Sie selbst bezeichne heute diesen Besuch in der Urspringer Synagoge als Startpunkt für ihr Interesse am Judentum. Schon als Teenager hätten sie die fremdartigen Bräuche und Traditionen fasziniert, aber auch der Horror des Holocaust habe sie sehr beschäftigt.
Freiwilligendienst in Jerusalem
Als es sie dann beruflich nach Mainz verschlug, lernte sie dort 2017 den Juden Eyal Noyman kennen, der an einer Mainzer Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvierte. Der junge Israeli war sehr verwundert, dass Johanna fast mehr über seine Religion wusste als er selbst, heißt es in der Mitteilung weiter. Um die Beziehung zu festigen, habe Johanna 2018 ein halbes Jahr in Jerusalem verbracht, wo sie in einem jüdisch-orthodoxen Heim für behinderte Menschen ebenfalls einen Freiwilligendienst abgeleistet habe.
Als das Paar beschloss zu heiraten, sei Johanna der Urspringer Chuppa-Stein und der Brauch des Gläserzerschmetterns wieder in den Sinn gekommen. Deshalb habe sie Kontakt zu Christine Kasamas vom Förderkreis Synagoge Urspringen aufgenommen mit der Frage, ob es denn möglich sei, im Anschluss an die standesamtliche Trauung in Lohr das jüdische Hochzeitszeremoniell an der Synagoge zu vollziehen. Gerne habe Kasamas ihrem Wunsch entsprochen. Vor der Synagoge haben Freunde und Verwandte das Brautpaar erwartet, um der Zeremonie beizuwohnen, heißt es weiter.
Beide zerschmetterten Weingläser
Der Bräutigam habe hebräische Segenssprüche gesprochen, die die Braut ebenfalls in hebräischer Sprache wiederholt habe. Als Zeichen, dass sie ein modernes und gelichberechtigtes Paar sind, zerschmetterte laut Mitteilung nicht nur der Bräutigam, sondern beide ihre Weingläser am Chuppastein gefolgt von einem „Mazel tov“ (=Viel Glück) der Gäste.
Für Johanna habe sich damit sozusagen ein Kreis geschlossen: Eyal spreche mittlerweile fließend Deutsch und Johanna lerne Hebräisch. Aber auch Eyals Mutter, die anfangs vom Entschluss ihres Sohnes in Deutschland zu leben, nicht sehr begeistert war, lerne mittlerweile die deutsche Sprache, um sich mit der neuen Verwandtschaft unterhalten zu können.