Ein beispielgebendes Wohnprojekt für Behinderte hat im Stadtrat eine Hürde genommen. Die Stadträte entschieden in ihrer Sitzung am Donnerstagabend, dem Verein "Gemeinsam Wohnen mit Handicap" die Wohnung im Dachgeschoss eines städtischen Wohnhausneubaus zu vermieten. Dort soll eine von der Lebenshilfe Main-Spessart ambulant betreute Wohngemeinschaft eingerichtet werden. Die Stadträte stimmten einstimmig zu, einige äußerten sich sogar "begeistert".
Was ist geplant? Es soll im Wohnhausneubau "An den Birken 1" in Marktheidenfeld im Dachgeschoss eine Wohnung für sechs Personen eingerichtet werden. Diese sind im Alter zwischen 22 und 48 Jahren und haben - so auch der Name des anmietenden Vereins - ein Handicap. Sie haben eine geistige Behinderung und brauchen daher eine ambulante Betreuung.
Der Förderbedarf ist unterschiedlich, erklärt Claudia Brönner auf Anfrage. Sie ist die Mutter von André, einem künftigen Bewohner. Er habe keinen Bezug zu Geld, sagt sie, er könne beispielsweise den Wert eines 20-Euro-Scheines nicht richtig einschätzen. Daher muss das Einkaufen mit ihm geübt werden. Andere benötigen Unterstützung beim Kochen oder Waschen. Die Idee sei, erklärt Claudia Brönner, dass all die Dinge, die die Bewohner selbst erledigen können, auch selbst erledigen, um sie in ihrer Entwicklung zu fördern.
Casting für freie Plätze
Die Wohnung wird sechs Schlafzimmer haben, ein gemeinsames Wohnzimmer und auch eine Küche. Tagsüber wird eine Betreuungsperson in der Wohngemeinschaft anwesend sein. Die Bewohner haben sich gegenseitig ausgesucht, sagt Brönner. Es habe sogar ein Casting für zwei freie Plätze gegeben. Sie konnten mitentscheiden, mit wem sie zusammen wohnen wollen. Derzeit leben die künftigen Bewohner, vier Männer und zwei Frauen, noch bei ihren Eltern. Sie würden sich aber gut kennen, denn sie arbeiten gemeinsam in den Mainfränkischen Werkstätten. Daher ist sich Brönner sicher, dass das Projekt gut klappen wird.
Im Stadtrat hatte zunächst Gabriele Hofstetter, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Main-Spessart, für das Projekt geworben. Sie bezeichnete es als ein "Herzensprojekt". Seit 2017 gebe es die Idee der Betreuung und Begleitung von Menschen mit einer geistigen Behinderung. Es sei allerdings schwierig gewesen, auf dem privaten Wohnungsmarkt einen Partner zu finden. Umso dankbarer zeigte sie sich, dass das Projekt bei der Stadt wohlwollend aufgenommen worden ist.
"Die Bewohner bestimmen selbst, wie sie leben wollen", ergänzte Wilhelm Singer-Lutz, Leiter der Abteilung Wohnen innerhalb der Lebenshilfe. Das Projekt sei angelehnt an Betreutes Wohnen im Alter. Da gibt es schon Beispiele von Wohngemeinschaften, die gut funktionieren. Die Lebenshilfe sei Partner und Dienstleister der Bewohner und des Vereins. Das heißt, die Bewohner haben auch die Wahl, ob sie weiterhin mit der Lebenshilfe zusammenarbeiten wollen. Damit machte er deutlich, dass an erster Stelle der Wille der Bewohner steht.
Künftige Bewohner warten schon lange
Jürgen Brönner, Vorsitzender des neuen Vereins "Gemeinsam Wohnen mit Handicap" mit Sitz in Erlenbach, sagte vor dem Stadtrat, dass die Elterngemeinschaft schon lange auf die Realisierung des Projekts warte. Auch die Elterngemeinschaft sei zusammengewachsen. Er nannte die Wohngemeinschaft "eine moderne Form der Versorgung".
Die Resonanz im Stadtrat war ausnahmslos positiv. Bürgermeister Thomas Stamm freute sich, dass ein solches Projekt in der Stadt Marktheidenfeld verwirklicht wird. Die Stadträte Dirk Hartwig und Richard Oswald zeigten sich "begeistert". Es sei ein Beispiel auch für andere Kommunen, hieß es. Und Richard Wagner betonte, dass man mit dem Projekt offene Türen einrenne.