
Mit Problemen aller Art können Mädchen und Jungs der Grund- und Mittelschule Frammersbach zu Carolin Weigand kommen. Sie ist dort für die Jugendsozialarbeit an Schulen (Jas) zuständig.
Als Jugendsozialarbeiterin an Schulen ist sie auch Ansprechpartnerin für Lehrkräfte und Eltern. Die Lehrerinnen und Lehrer melden ihr zurzeit, wenn Schüler nicht im Online-Unterricht teilnehmen. Diesen Mittwoch hat sie es geschafft, dass überall die Voraussetzungen für die Teilnahme gegeben waren. Und tatsächlich seien auch alle online in der Schule gewesen.
Klappt es nicht, nimmt Weigand Kontakt mit der Familie auf, um zu klären, woran es liegt, schildert sie. "Mal habe ich einen Router installiert, mal Laptops in der Schule organisiert. Ein anderes Mal lag das Problem an der fehlenden Sprachkenntnis. Die Eltern haben einfach nicht verstanden, was in der E-Mail steht. In einem Fall musste ich deutlich werden, weil alle in der Familie erst um 11 Uhr aufgestanden sind." Dafür zu sorgen, dass alle am Unterricht teilnehmen, heißt für die Sozialpädagogin ein Stück Chancengleichheit zu schaffen.
Weil wegen Corona zurzeit kaum Schüler ins Schulgebäude kommen, geht sie andere Wege, um bei Problemen zu unterstützen. Normalerweise ist das Büro von Carolin Weigand Anlaufstelle. Läuft der Schulbetrieb normal, klopft, wer ein Problem hat, einfach an ihrer Tür. Ihr ist wichtig, dass das Angebot niederschwellig ist
Sorgentelefon geschaltet
Pro Tag machen laut Weigand im Schnitt fünf Jugendliche oder Erwachsene davon Gebrauch. Die Bandbreite reiche vom Streit mit der Freundin über Schulverweigerung bis hin zu Selbsttötungsgedanken. Die Caritas, die in Frammersbach Träger der Jugendsozialarbeit an Schulen ist, habe schnell erkannt, dass es auch ein Angebot geben muss, wenn kein Unterricht vor Ort ist.
Ein Sorgentelefon wurde geschaltet und auf der Webseite der Schule darauf aufmerksam gemacht. Die Möglichkeit zum direkten Kontakt – unter Einhaltung der Abstandsregeln, mit Maske und Hygienevorkehrungen – habe die Caritas aufrechterhalten. Dafür sei sie dankbar, sagt Weigand. Übers Telefon meldeten sich weniger Familien, als vor der Schulschließung von ihrem Angebot Gebrauch gemacht hätten. Deshalb gehe sie aktiv auf die Familien zu, mit denen sie vorher schon zusammengearbeitet hatte. Wenn sie von Gesprächsbedarf erfahre, egal ob Kinder, Jugendliche, Eltern oder Lehrkräfte, nehme sie Kontakt auf.
"Durch Corona sind die Probleme ja nicht weg, sondern eher verstärkt", sagt sie. "Ich rufe bei den Eltern an und bei den Jugendlichen. Das reicht manchmal. Wenn nicht, gehe ich hin zu den Familien, spreche über den Balkon oder im Garten mit ihnen." So hat sie es nach eigenen Angaben bei der Schulschließung im Frühjahr 2020 gemacht und so handhabt sie es seit seit Mitte Dezember wieder, als die Schule für den allgemeinen Präsenzunterricht zum zweiten Mal geschlossen hat.
Überforderung und Streit
Das Unterrichten und Lernen zuhause bringt Weigands Erfahrung nach Familien an ihre Grenzen. Manchmal sei es mit Zuhören getan. Wo nötig, kümmere sie sich um Notbetreuung, klopfe ab, was an Unterstützung möglich ist. "Egal, wo ich anrufe, es gibt immer etwas: ständig Streit, Überforderung, wo Eltern parallel zur Kinderbetreuung arbeiten müssen, psychische Probleme, Angst um den Arbeitsplatz und wirtschaftliche Sorgen." Die Ursachen, dass es nicht rund läuft, reichten von fehlenden Strukturen bis zum Mangel an sozialer Kontakte. "Mir fehlt mein Fußballtraining", sei so ein Satz, den sie immer wieder einmal höre. Die Jugendlichen vermissten den Austausch mit Gleichaltrigen.
Carolin Weigand betont, dass Jas freiwillig ist und sie der Schweigepflicht unterliege, außer das Wohl des Kindes sei gefährdet. Bei Problemen, die über ihre Möglichkeiten hinausgehen, versuche sie mit den Betroffenen, dem Jugendamt, Psychologen oder weiteren Fachberatungsstellen zusammenzuarbeiten oder dorthin zu vermitteln. Voraussetzung: "Man muss Hilfe auch wollen, muss Probleme einsehen und etwas ändern wollen. Manche haben aber nicht die Kraft", sagt die Sozialpädagogin.
Als Soforthilfe in Situationen der Anspannung empfiehlt sie: Erst mal tief durchatmen und ruhig bleiben, weil Stress sich auf andere überträgt. Wichtig sei es, Strukturen zu schaffen, zum Beispiel feste Aufstehzeiten am Morgen. Netzwerke bei der Betreuung einspannen, soweit es der Infektionsschutz erlaubt. Bei Großeltern ist das über das Sorge- und Umgangsrecht möglich. Außerdem darf sich eine Familie mit einer weiteren zur Kinderbetreuung zusammenschließen. Es muss aber bei einer festen Zusammensetzung bleiben, das heißt die Familie darf nicht gewechselt werden. Nach sich selbst schauen, um Kraft zu tanken, lautet ein weiterer Tipp Weigands. Das könne eine Runde Joggen sein oder auch mal vorm Fernseher sitzen.
Kompromisse schließen
Viele Probleme, mit denen Jugendliche, Eltern oder Lehrkräfte zu ihre kämen, seien jedoch nicht corona-spezifisch. Schulverweigerung und Schulangst zum Beispiel. Es gebe Mädchen und Jungen, die sich nicht überwinden könnten, in die Schule zu gehen. Ursache seien keineswegs schlechte Noten oder Hänseleien. "Ich habe schon früh am Bett von Betroffenen gestanden. Wenn ich es schaffe, dass sie zwei-, dreimal die Woche in die Schule gehen, ist das ein Erfolg." Von der ersten Schulschließung vor knapp einem Jahr weiß sie, dass sie bei einigen Kinder wieder bei null anfängt, wenn die Schule wieder öffnet und sie die direkte Arbeit mit ihnen wieder aufnehmen kann.
Der Klassiker unter den Problemen, die nichts mit der Pandemie zu tun haben, seien Konflikte mit den Eltern, schildert Carolin Weigand: Wie lange darf ich weggehen oder das Handy benutzen. Oder die Freundin beziehungsweise der Freund passt den Eltern nicht. In solchen Situationen sei es wichtig, dass alle gehört werden und ein Mitspracherecht haben. Regeln sollten begründet sein. "Wenn Regeln Ergebnis eines Kompromisses sind, ist es leichter, sie einzuhalten."
Weigand bedauert, dass wegen Corona Aktionen wie Klassenfahrten und Übernachtungsfest ausfallen. "Das sind Dinge, an die man sich später erinnert. Diese besonderen Ereignisse fehlen später in der Biografie." Die Sozialpädagogin ist bei Klassenfahrten nur beteiligt, wenn Jugendliche dabei sind, die ohne entsprechende Begleitung nicht mitfahren könnten.