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LOHR
Im Reich der Fäden und Knoten
Teppichhandel im Wandel: Karl-Heinz Djoharian handelt mit einem Produkt, das einst begehrt und später verschmäht wurde. Heute sind Orientteppiche wieder im Kommen. Djoharian verkauft sie in die ganze Welt.
Birgit Wagner
 |  aktualisiert: 25.05.2016 19:36 Uhr

Berlin, Marktbreit, Würzburg, Florida – das Teppichhaus Djoharian war schon an vielen Standorten angesiedelt. Eine Art Ankerpunkt war und ist über all die Jahre seit der Gründung im Jahr 1969 Lohr. Doch der wichtigste Standort ist mittlerweile ein anderer: die ganze Welt.

Karl-Heinz Djoharian hat sich im Internethandel eine Nische erschaffen, die seinem Geschäft in einem in den vergangenen Jahren dramatisch geschwundenen Markt das Überleben ermöglicht hat. Der Teppichhändler Djoharian ist heute einer der letzten seiner Art. Über das Internet kauft und verkauft der iranischstämmige Deutsche Teppiche in die ganze Welt. Es ist eine Geschichte über ein kompliziertes Geschäft, über einen Markt im Umbruch – und über den Einfallsreichtum eines selbstbekennenden Teppichverrückten.

Als Djoharians Vater 1962 aus dem Iran nach Deutschland kam mit dem Ziel, Elektrotechnik zu studieren, war die Welt des Teppichhandels noch vergleichsweise einfach. Im Orient gab es ein großes Teppichangebot, im Deutschland der Wirtschaftswunderzeit eine dazu passende enorme Nachfrage nach orientalischen Teppichen. Viele Deutsche wollten ihren neu gewonnenen Wohlstand nutzen, um sich eines der geknüpften Kunstwerke ins Wohnzimmer zu legen.

Diesen Trend bemerkte Djoharians Vater sofort nach seiner Ankunft in Deutschland. Einige aus der Heimat mitgebrachte Teppiche wurden ihm, der im Nürnberger Grundig-Werk als Monteur begonnen hatte, von Arbeitskollegen fast aus der Hand gerissen. Hassan Djoharian kaufte von ersten Ersparten in Marktbreit ein gebrauchtes Auto, fuhr es bis nach Persien und setzte den Verkaufserlös des Wagens sofort in Teppiche um, die er nach Deutschland schaffte. Dort waren die Teppiche im Nu an den Inhaber des Marktbreiter Autohauses und dessen Bekannte verkauft. Der Teppichhandel Djoharian war geboren.

In der Folge wuchs das Geschäft rasant. Djoharian senior, der mittlerweile seine aus Gemünden stammende Frau geheiratet hatte, gründete Niederlassungen in Marktbreit, Berlin – und in der Vorstadtstraße in Lohr. Bekannte der Mutter hatten das Geschäft vermittelt.

„Am Anfang waren die Lohrer sehr vorsichtig“, erzählt Karl-Heinz Djoharian, der den Teppichhandel seit 1995 alleinverantwortlich führt, aus den Jahren des Starts in Lohr. Doch dann sprach sich in der Stadt herum, dass die Frau eines örtlichen Industriellen Teppiche bei Djoharian gekauft habe. „Ab da kamen auch die übrigen Lohrer“, lacht Djoharian.

Lohr sei in den folgenden Jahren ein extrem guter Standort für den Teppichverkauf gewesen, sagt der 46-Jährige und erklärt das mit den guten Einkommen von Rexroth-Mitarbeitern und den vielen neu gebauten Häusern. Das Geschäft in Lohr sei zeitweise noch besser gelaufen als das in Berlin.

In den folgenden Jahrzehnten gingen die Djoharians mit ihren Geschäften immer dorthin, wo sie gute Verkaufsmöglichkeiten sahen. Über Würzburg und Florida kamen sie 1992 zurück nach Lohr, zunächst in den Ottenhof, dann in die Turmstraße.

Nach einem neuerlichen Intermezzo in Würzburg eröffnete Djoharian 2002 das jetzige Geschäft an der Kreuzung am oberen Tor. „Mein Traumladen“, sagt der gelernte Einzelhandelskaufmann über das direkt neben dem Lohrer Verkehrsknotenpunkt gelegene Geschäft mit den großen Schaufenstern.

Doch das Hauptschaufenster Djoharians ist längst ein anderes: das Internet. Bereits im Jahr 2000 startete er als einer der ersten in Deutschland den Teppichverkauf über eine eigene Internetseite. Heute ist er mit seinen Teppichen auf rund 30 Internetseiten und -portalen in der ganzen Welt präsent.

Djoharian ist sich sicher, dass der vor über zehn Jahren getätigte Schritt ins Internet seinem Geschäft das Überleben gesichert hat. Denn der deutsche Teppichmarkt war wie der in vielen anderen Ländern zusammengebrochen. Wirtschaftskrisen und das zwischendurch angestaubte Image von Teppichen waren der Grund.

Doch über das Internet konnte Djoharian neue Kundenkreise erschließen. Heute stoßen vier von fünf Käufern über das Internet auf ihn und sein Teppichangebot. Und zwar aus aller Welt. Von Lohr aus gehen die Teppiche in die USA, nach Kuala Lumpur oder auch Thailand. Vier bis sechs Stunden pro Tag verbringt Djoharian mit der Pflege seiner Internetseiten. Die meisten dieser Seiten hat er selbst programmiert.

„Jeder Topf hat seinen Deckel. Es kann nur dauern, bis man ihn findet.“
Karl-Heinz Djoharian über den Teppichverkauf

Doch nicht nur die Verkaufswege von Teppichen haben sich gewandelt, sondern auch der Einkauf. Früher flog Djoharian mehrfach im Jahr in die Heimat seines Vaters, um seine Ware dort selbst einzukaufen. Heute verzichtet er auf diese Reisen. Der Grund: Die Teppichproduktion im Iran und in anderen Ländern des Orients ist mit der Nachfrage zusammengebrochen. Das, was noch zu kaufen wäre, genügt in Qualität und Preis nicht mehr den Vorstellungen des 46-Jährigen.

Und das, was den Qualitätsansprüchen genüge, sei kaum mehr zu bezahlen, sagt Djoharian. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Für einen hochwertigen Teppich mit 1,5 Millionen oder mehr Knoten pro Quadratmeter arbeitet ein Teppichknüpfer unter Umständen mehrere Jahre. Steigende Löhne in den Herkunftsländern wirken sich spürbar auf die Preise aus.

In diesem Umfeld gewinnt der Handel mit hochwertigen älteren Teppichen zunehmend an Bedeutung – auch für Djoharian. Über ein Netzwerk an Freunden und Geschäftspartnern von New York bis London kauft er solche „Vintage-Teppiche“. Gerade für diese Sammlerstücke seien am Markt derzeit rasant steigende Preise zu beobachten. Teilweise investierten sogar schon Investmentfirmen in alte Teppiche.

Überhaupt sieht Djoharian insgesamt eine Wiederbelebung des Teppichmarktes. Das angestaubte Image gehöre der Vergangenheit an. Niemand räume mehr seinen Perserteppich beiseite, wenn Besuch komme. Auch in Fernsehfilmen oder Shows gehörten Teppiche wieder zum Bild.

Mittlerweile legen sich auch junge Menschen wieder klassische Orientteppiche in stylische Wohnungen, sagt er. Er habe dies bei seinen Auslieferungsfahrten quer durch ganz Süddeutschland beobachtet. Er sagt daher: „Modern und Teppich, das passt heute wieder zusammen.“

Für Djoharian freilich hat das schon immer zusammengepasst. Für ihn gibt es keinen Gegenstand, der einen Wohnraum so sehr prägt wie ein Teppich. Die Faszination der geknüpften Kunstwerke hat ihn noch nie losgelassen. Mit geschlossenen Augen kann er die Herkunft eines Teppichs erfühlen. „Trotzdem ist jeder Teppich anders“, sagt er.

Gelegenheit zum Üben seiner Fingerfertigkeit hat der 46-Jährige theoretisch tagtäglich. Rund 1000 Teppiche unterschiedlichster Herkunft hat er auf Lager, von der Standardware bis zum seltenen Edelteppich im Wert einer Eigentumswohnung.

Mancher der Teppiche wartet schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten auf einen Käufer. Doch das macht Karl-Heinz Djoharian nicht nervös.

Mit den Teppichen, so sagt er, sei es ähnlich wie mit den Menschen: „Jeder Topf hat seinen Deckel. Es kann nur dauern, bis man ihn findet.“

Teppiche sind seine Welt: Karl-Heinz Djoharian führt den von seinem Vater gegründeten Lohrer Teppichhandel seit 1995. Über das Internet finden Kunden von New York bis Bangkok zum Sortiment des Lohrer Händlers.
Foto: Johannes Ungemach | Teppiche sind seine Welt: Karl-Heinz Djoharian führt den von seinem Vater gegründeten Lohrer Teppichhandel seit 1995. Über das Internet finden Kunden von New York bis Bangkok zum Sortiment des Lohrer Händlers.
Über eine Million Knoten pro Quadratmeter hat dieser Teppich. Das Foto zeigt die Unterseite.
| Über eine Million Knoten pro Quadratmeter hat dieser Teppich. Das Foto zeigt die Unterseite.
 
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