Expressive Farben, entschlossen gesetzte Linien und meditative Papierkunst kennzeichnen in den nächsten Wochen den rückwärtigen Ausstellungsbereich des Marktheidenfelder Franck-Hauses. Dort sollte in diesem Sommer eigentlich Marktheidenfelder Wirtschaftsgeschichte mit einer Präsentation des Produktdesigns des Unternehmens Braun in den Blickpunkt rücken. Die Corona-Pandemie hatte dies vorerst zunichte gemacht.
Der städtischen Kulturabteilung ist es aber gelungen, im Programm des Frank-Hauses für einen Ersatz zu sorgen, dessen Qualität nicht nur die Lücke schließt. "Kein Anfang, kein Ende – Einladung zum Blickwechsel" – so hat die Künstlerin Christiane Gaebert aus Rimpar die Ausstellung zweier Werkgruppen überschrieben.
Rund 40 Gäste kamen am frühen Freitagabend in den Westentaschenpark hinter dem städtischen Kulturzentrum, um eine überaus lebendige Vernissage mitzuerleben. Ein kaum zu bremsender Redefluss und ihr typischer Humor ließ Christiane Gaebert auf Anhieb als echtes "Berliner Kindl" erkennen, dessen Weg im Jahr 2000 eine Flucht aus der Hektik der wachsenden Spree-Metropole nach Unterfranken führte.
Gedanken von Professor Staschull zur Einführung
Bestens unterhalten zeigte sich auch der Dritte Bürgermeister Dirk Hartwig, der sich bei seiner Begrüßung freute, dass die Künstlerin mitten im Leben stehend und in der Erfahrung der Unsicherheit der letzten Wochen mit ihren Werken den Betrachter zum Blickwechsel und zur Selbstkritik motiviere.
Zwei großformatige Gemälde, die an groben Bruchsteinwänden über zwei Stockwerke hinweg zu Geltung kommen können, wählte Professor Matthias Staschull als Ausgangpunkt seiner Gedanken zur Einführung. Der Kunsthistoriker wies auf die eindringlichen Blicke hin, mit denen das Abbild von Mensch und Tier den Besucher sofort gefangen nehme. Mit verblüffenden Zusammenstellungen werde die Bedrohung der Schöpfung wahrnehmbar.
Obwohl Christiane Gaebert mit ihren weiteren emotionalen One-Line-Portraits nicht im engeren Sinne abbilden und ihre Sichtweisen konkret vermitteln wolle, würden durch das Auftauchen von Persönlichkeiten wie der irakisch-jesidischen Menschenrechtlerin Nadja Murad kritische Gedanken deutlich. In der Ambivalenz eines grafischen Netzes zwischen Linie und Form zeigten sich Lebensfreude, Nachdenklichkeit oder auch Kritik am Konsumverhalten.
Aus alten Landkarten werden amorphe Wesen
Etwas völlig anderes, kontemplativ und meditativ, sei im Obergeschoss zu erfahren. Dort schwebten von den Deckenbalken scheinbar federleichte, amorphe Wesen. Die Arbeiten aus Papier, bevorzugt aus alten Landkarten, wandelten ein flaches Medium mittels Schneidens, Faltens oder Steckens zu wundersamen, oftmals beweglichen Skulpturen. Es entfalte sich ein virtuoses Spiel von Ruhe und Unruhe, befand Professor Staschull. "Kein Anfang und kein Ende" sei dabei erkennbar, wenn Christiane Gaebert ihre Finger in die Wunde menschlicher Hybris lege, um die Betrachter letztlich zu einer Sensibilisierung gegenüber Natur und Umwelt zu führen.
Die Künstlerin fühlte sich und ihr Werk in einer "sympathischen Stadt" gut aufgenommen und dankte für die besondere Unterstützung, die Marktheidenfeld sehr vorbildlich Künstlern gewähre. Schmunzelnd trug sie zwei selbstverfasste, bisweilen ironische Text vor, mit denen sie ihren Weg der Ausbildung und ihre Orientierungsphase an der einstigen Hochschule, heute Universität der Künste in Berlin, unter prominenten Namen des Kunstbetriebs schilderte. "Kotztüte Kunst" war der Titel ihrer Betrachtungen über den Sinn künstlerischen Schaffens, etwa zwischen Rückzug in eine Nische, gesellschaftlichem Protest, Selbstinszenierung oder scheinbarer Nutz- und Zwecklosigkeit.
Christiane Gaebert präsentierte spontan ihre One-Line-Zeichentechnik
Nach den vielen Worten durften die Gäste dann noch etwas miterleben, was schon am Sonntag eine Fortsetzung fand und während der Ausstellung gelegentlich in ähnlicher Form nochmals stattfinden wird. Flugs waren Leinwand und Staffelei herbeigeschafft und unter staunenden Blicken demonstrierte Christiane Gaebert spontan ihre One-Line-Zeichentechnik in einer kleinen Live-Performance. Die Arbeit an dem begonnenen Bild soll fortgesetzt werden.
Die Ausstellung "Kein Anfang, kein Ende – Einladung zum Blickwechsel" mit Malerei, Zeichnung und Papierkunst von Christiane Gaebert aus Rimpar ist bis zum 20. September im Franck-Haus (Untertorstraße 6, 1. Stock) zu sehen. Zum Gespräch mit den Gästen bei einer Mal-Performance ist die Künstlerin an den beiden Sonntagen, 16. und 30. August von 15 bis 17 Uhr vor Ort.
Besucher sind gebeten, die notwendigen Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes ist verbindlich. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag von 14 bis 18 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr (Pfingstmontag, 1. Juni, von 10 bis 18 Uhr geöffnet.) Weitere Infos im Internet: www.marktheidenfeld.de