Wie demokratisch war die ehemalige DDR? Wie erlebten die Menschen die allgegenwärtige Gleichschaltung, in der der Einzelne nichts, die Ideologie alles galt? Der Berliner Thomas Lukow berichtete als Zeitzeuge den Zehntklässlern der Realschule Arnstein über seine Erfahrungen.
Lukow spricht eine deutliche, manchmal auch drastische Sprache. Die spricht sein junges Publikum an und vor allem entspricht sie seinen Erlebnissen. Der 58-Jährige weiß, wovon er redet. Denn schließlich hat er alles selbst erlebt. Der heutige Referent und Stadtführer ist den Weg gegangen, den der Titel seines Vortrags beschreibt: „Vom Jungpionier zum Staatsfeind.“
Jeder weiß, wo's lang geht
Wieso leben viele Menschen gerne in einer Diktatur? Die Provokation dieser Frage führte im Gespräch mit den Schülern rasch zur Situation der Gesellschaft der DDR: Jeder weiß, wo's lang geht. Man fühlt sich in der Gemeinschaft geborgen und erfährt Anerkennung. Dass im Gegenzug persönliche Freiheiten, eigene Entscheidungen eingeschränkt werden, wird vielen nicht so ganz klar, andere akzeptieren das.
Schon im Kindergarten erlebte der 1959 geborene Thomas Lukow die Vorgaben dieser Gemeinschaft: „Die Eltern gehen arbeiten, die Erziehung übernimmt der Staat“, so die Doktrin, der man sich kaum entziehen konnte. In der Schule waren die Partei und der „Antifaschistische Kampf“ allgegenwärtig. In die Fächer wie Mathematik, Deutsch oder sogar Sport waren ideologische Gedanken eingearbeitet, wenn Schüler beispielsweise die Schussgeschwindigkeit einer Geschützbatterie berechnen oder Weitwurf mit Stabhandgranaten machen mussten.
Karriere nur über die FDJ
Die Einbindung der Jugend erfolgte außerhalb der Schule durch die „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ), welche die junge Leute bis ins Erwachsenenalter beeinflusste. Diese FDJ, die fatal an die ehemalige Hitlerjugend erinnerte, begeisterte nicht nur durch Massenveranstaltungen, durch gemeinsames Erleben, sondern sie ermöglichte auch den Angepassten den späteren beruflichen oder sozialen Aufstieg. Umgekehrt aber wurde ausgeschlossen, wer eigene Gedanken verfolgte und die Vormachtstellung der Partei infrage stellte.
So ging es auch dem jungen Thomas Lukow, der mit zunehmendem Alter hinter diese Anpassungsmethoden schaute, mehrfach aufbegehrte und schließlich mit 18 Jahren aus der FDJ austrat. Damit handelte er sich nicht nur ein Qualifizierungs- und Studienverbot ein, der Sohn eines Parteifunktionärs wurde auch seitdem durch Spitzel der „Stasi“ – des Staatssicherheitsdienstes – überwacht, eine Akte über ihn wurde angelegt. Der Außenseiter musste sich als Kraftfahrer, Hausmeister und Musiker durchschlagen.
Fast zwei Jahre im Gefängnis
Als er 1981 in die befreundete Tschechoslowakei reiste, unterstellte man ihm kurzerhand versuchte Republikflucht und verurteilte ihn zu fast zwei Jahren Freiheitsstrafe, die er in den berüchtigten Anstalten Hohenschönhausen und Bautzen II absitzen musste. Sechs Jahre nach seiner Entlassung und im Jahr des Mauerfalls 1989 durfte er mit seiner Familie nach Westberlin ausreisen.
Lukow berichtete seinen jungen Zuhörern in der Aula der Realschule über die perfiden Methoden der Stasi, wo man selbst innerhalb der eigenen Familie nicht mehr sicher sein konnte, dem daraus resultierten Misstrauen und die menschenrechtswidrigen Maßnahmen der Justiz, die mit Isolationshaft und psychischem Druck Persönlichkeiten zu zerstören trachtete.
Eintreten für Freiheit
Am Ende seines Vortrags lenkte der Berliner den Blick der jungen Leute auf die heutige Welt, in der Menschenrechte und unabhängige Justiz noch lange nicht überall gesichert sind. Es sei die Aufgabe aller freien Bürger, für die Erhaltung der Demokratie einzutreten, forderte er. „Ich möchte, dass ihr den Arsch hochbekommt, wenn es wieder Versuche geben sollte, die Freiheit und das Recht auszuhebeln“, war seine drastische aber verständliche Schlussbotschaft. Die Veranstaltung wurde von der Lehrerin Rosemarie Königer an der Realschule Arnstein organisiert. Unterstützt wurde sie dabei von der Hanns-Seidel-Stiftung.