
Der ambulante Kinderhospizdienst Sternenzelt Marktheidenfeld kümmert sich um Familien mit Kindern und jungen Erwachsenen, die lebenszeitverkürzende oder lebensbedrohliche Krankheiten haben. Dabei widmet man auch ihren Geschwistern mit eigenen Angeboten Aufmerksamkeit. Gerne genutzt werden diese unter anderem von Eline Schreier (17) und ihrer Schwester Jeromina Schreier (14). Deren 22-jährige Zwillingsgeschwister seien mehrfach körperlich und geistig behindert, berichten die beiden Mädchen im Gespräch mit der Redaktion. Sie erzählten über den Alltag, ihre Wünsche an ihre Mitmenschen und die Bedeutung des Geschwisterangebots des Sternenzelts, das sie seit dessen Gründung nutzen. Jeromina war bei der Gründung neun, ihre Schwester elf Jahre alt.
"Bis ich zehn oder elf Jahre alt war, war es für mich normal, behinderte Geschwister zu haben", sagte Eline. Im Alter zwischen 12 und 14 habe sie sich auch etwas dafür geschämt. "Ich war mir unsicher, dachte, was denken die anderen." Seit sie 15 war, habe sich ihre Sicht verändert. "Ich sehe unsere Familiensituation als Vorteil, nicht nur als Last. Sie macht mich zu der Person, die ich bin." Sie sei dankbar, dass es sie im positiven Sinne präge.
Die Leute schauen einfach
Jeromina erzählte, sie habe ihre Geschwister anfangs genauso gesehen, wie sie alle anderen sieht. "Später merkte ich, sie sind anders, aber es ist nicht schlimm." Wenn sie mit ihren Geschwistern unterwegs sei, schauten die Leute einfach, sagte sie. Eline ergänzte, bei der Minderheit sehe man den mitleidigen Blick, die Mehrheit schaue einfach verwundert. "Manche machen sich leider auch lustig darüber." Dies habe sie aber nur ein oder zwei Mal erlebt. "Es war keine schöne Erfahrung."
Jeromina berichtete, die Mitschüler und Freunde seien offen und fragten mal interessiert. Die Mädchen zitierten Aussagen der Freunde: "Ich sehe deine Geschwister so, wie du meine siehst." Auf die Blicke der Erwachsenen habe sie auch mal mit gleichen Blicken zurückreagiert. "Bis ich verstanden habe, dass es Neugier ist", sagte die 14-Jährige.
Die Aufmerksamkeit der Eltern liege verstärkt auf den Geschwistern. "Aber auch wir bekommen ihre Aufmerksamkeit", sind sich die Mädchen einig. "Man fragte sich auch mal, wieso interessierst du dich nicht für mich." Mittlerweile wüssten sie, ihre Geschwister brauchen die Aufmerksamkeit. "Wir brauchen sie aber auch." Als Kind habe sie nicht verstanden, warum die Geschwister mehr Aufmerksamkeit bekommen, weil sie für sie normale Geschwister waren.
"Man bekommt Verständnis"
In der Sternenzelt-Geschwistergruppe treffen die Mädchen Kinder und Jugendliche in ähnlichen Situationen. "Man bekommt Verständnis und die Aufmerksamkeit wird auf uns Geschwister gelegt", beschrieb Jeromina. Eline ergänzte, dadurch, dass man dort mit Leuten in ähnlichen Situationen zusammenkomme, habe man Menschen, die einen verstehen. Es sei schön zu wissen, dass es Leute gibt, die es teilen. "Ich kannte niemanden in der Schule, bei dem es so war." Es sei ein schönes Gefühl, mit der Situation nicht allein zu sein. "Man muss bei den Treffen aber nicht darüber reden." Oft steht bei den Treffen der Geschwistergruppen einfach der gemeinsame Spaß im Mittelpunkt. Die Mädchen erzählten zum Beispiel begeistert von Besuchen beim Schwarzlicht-Minigolf, Lama-Wanderungen, Bowlen, Pizzaessen, Bogenschießen und von Freizeitpark-Ausflügen.
Aktuell gehen die Mädchen nicht mehr regelmäßig zu den Gruppentreffen, denn die anderen Kinder dort sind nun deutlich jünger. Mit den Engagierten des Sternenzelts unternehmen sie aber weiterhin gerne etwas. "Die Familienbegleiter sind super empathisch, können unsere Situation nachvollziehen, auch wenn sie keine persönliche Betroffenheit haben." Sie würden zuhören und auch mal zwischen ihnen und den Eltern vermitteln, ergänzten die Mädchen.
Von ihren Mitmenschen wünscht sich Eline, sie sollten reflektiert darüber nachdenken, welche Wortwahl man benutzt und wie man sich gegenüber behinderten Personen verhält. "Menschen ohne Einschränkungen sind nicht mehr wert als solche mit Einschränkungen." Jeromina wünschte sich, dass die Leute merken, dass behinderte Menschen so sind wie du und ich.
Es sei in Ordnung, zu fragen und Hilfe anzubieten, aber nicht, zu starren oder übermäßiges Mitleid zu zeigen, als wäre es eine Bürde, waren sie sich einig. "Es ist für uns keine Leidenssituation, das Leben mit unseren Geschwistern hat auch gute Momente. Wir sind mit ihnen glücklich."