Er muss ein echtes Raubein gewesen sein, dieser Rothenbücher. Der gute Mann war Unterförster auf der Kohlhütte und soll sich mit seinen Jägern handgreifliche Auseinandersetzungen geleistet haben – und das im Rahmen seiner Arbeit. Zudem wohnte er in Erlenfurt wohl mit seiner Konkubine und zwei unehelichen Kindern, ist überliefert. Keine Frage, dass dies ein öffentliches Ärgernis war damals, vor gut 200 Jahren.
Doch nicht deshalb ist Rothenbücher ein wichtiger Mann in der Geschichte des Hofguts Erlenfurt. Vielmehr, weil er belegt, dass dieser Hof schon früh als Forstsitz genutzt wurde, und zum anderen weil dem Unterförster Rothenbücher ein „Forstläufer“ unterstellt war namens Ansmann.
Ein Forstläufer als Beleg
Ansmanns Witwe nämlich stellte im Jahr 1807 ein Gesuch, bis zu ihrem Tod eine Wohnung auf dem Hofgut beziehen zu dürfen. Dabei argumentierte sie, dass ihr verstorbener Ehemann „vor 38 bis 39 Jahren“ als Forstläufer auf der Kohlhütte angestellt wurde – mit einem Jahresgehalt von 18 Gulden.
„Demzufolge muss die Kohlhütte bereits im Jahr 1768/69 existiert haben“, schlussfolgert Lina Schröder, promovierte Historikerin aus Würzburg. Mehr noch: Die 36-Jährige ist sich sicher, dass das Köhlerhandwerk zumindest Ende des 18. Jahrhunderts dort noch aktiv war. Dies liest sie aus der Karte „Das Fürstenthum Würzburg, 1805“ des Oberleutnants Georg Carl Adam Joseph Freiherr von Fackenhofen (1745-1804) heraus, in der an der Stelle des heutigen Erlenfurts der Eintrag „Kohlhütte“ erscheint. Schröder hat die erste umfassende Arbeit geschrieben über das Hofgut, das seit 36 Jahren unter Denkmalschutz steht und das nach dem Willen des bayerischen Kabinetts zum Eichenzentrum ausgebaut werden soll. Es war eine Sisyphusarbeit angesichts der recht dürftigen Quellenlage.
Siedlungspolitik anno 1807
Ein Wohnhaus zumindest muss es vor 250 Jahren schon gegeben haben. Dem Schreiben der Witwe ist zu entnehmen, dass auf jeden Fall noch eine Scheuer und Stallungen dazukamen, dass ihr Schwiegervater noch ein bewohnbares „Hubenbäugen“ angebaut hat (die Handschrift ist schwer zu lesen – es könnte auch als „Hubenbäuhen“ entziffert werden, gemeint ist vielleicht ein kleiner Anbau). Ihr Gesuch wurde übrigens abgeschlagen, „weil sich schon zwei Wohnungen daselbst befinden und einer Ansiedlung eines Dörfchens dem herrschaftlichen Forste aus Mangel an Ernährungsmitteln schädlich wäre“, wie es in der Antwort hieß.
Genaueres gibt es erst aus dem Jahr 1820, und zwar aus einer Verkaufsanzeige. Demnach existierte bis dahin ein nur einstöckiges Wohngebäude, das Jacob Grimm, ein Gutsbesitzer aus dem nahen Lichtenau, in diesem Jahr für 5300 Gulden gekauft und ein Jahr später aufgestockt hat. Letzteres belegt die Jahreszahl über der Eingangstür zum Haupthaus. Das königlich Bayerischen Landgericht Rothenbuch listet im gleichen Jahr noch etliche Nebengebäude auf: Zwei Scheunen, gedeckte Viehställe, drei Schweineställe, einen Backofen, einen Holzschuppen und zwei Laubschuppen.
Reste einer vorindustriellen Glashütte
Erlenfurt und „Kohlhütte“ werden in mehreren Quellen synonym gebraucht. „Dies lässt auf einen früheren Zusammenhang des Hofgutes mit einer Köhlerei schließen“, interpretiert Schröder. Auch die Verbindung zu einer früheren Glashütte ist nicht ausgeschlossen: Am anderen Ufer der Hafenlohr, 400 Meter westlich des Hauptgebäudes, wurden am Fuße des Steilhangs verglaste Buntsandsteine gefunden. Stefan Krimm, der sich intensiv mit den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Glashütten im Spessart befasst hat, stuft diese Funde eindeutig als Reste einer vorindustriellen Glashütte ein.
Jacob Grimm verkaufte an den Fürsten
Der Name Grimm ist zwar bis heute auf Grenzsteinen zu finden – auf deren Rückseite prangt „KW“ für „Königlicher Wald“. Die Grimm'sche Episode jedoch ging offenbar nach 20 Jahren zu Ende, als Fürst Karl zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg das Hofgut 1841 für 26 000 Gulden erwarb und fortan verpachtete. Ob es in den Jahren nach 1811 auch noch Dienststelle der Förster geblieben war, die 1864 ein neues Forsthaus 200 Meter flussaufwärts bezogen (heute Forstdienststelle Rothenbuch), ist nicht gesichert.
In den folgenden 50 Jahren sind mit einer Schmiede und einer Brauerei offenbar weitere Nutzungen hinzugekommen. Auch muss es einmal gebrannt haben. 1881 wird der baulich Zustand als „ruinös“ beschrieben. Acht Jahre später kauft ein Gutbesitzer zu Lichtenau, Julius Rexroth, den Erlenfurter Hof, investiert offenbar kräftig und richtet die abgebrannten Gebäude wieder her. Doch schon fünf Monate später wird der Kaufvertrag wieder rückgängig gemacht.
Schröder hat in ihrer Arbeit unter anderem auch die Viehbestände dokumentiert, soweit das möglich war. Demnach wurden in den 1850er Jahren durchschnittlich sechs Pferde wohl zum Holzrücken und für Feldarbeiten eingesetzt. Die Zahl der Kühe schwankte zwischen 23 und 33, die der Schafe zwischen 17 und 28, dazu kamen ein bis drei Dutzend Schweine.
Handel mit Milch, Rahm, Butter und Heu
Angebaut wurden in dieser Zeit neben Getreide auch Erbsen und Linsen. Gehandelt wurde mit Milch, Rahm, Butter und Heu. In Rechnungsbüchern aufgelistet sind Ausgaben für Schmied, Wagner, Sattler, Seiler, Schlosser, Schreiner, Spengler, Siebmacher, Korbmacher, Töpfer und Postboten.
Im 20. Jahrhundert prägten dann vor allem zwei Familien das Geschehen auf dem abgelegenen Hof: Ludwig Kallenbach war 1914 der erste Pächter einer Familie, die über Generationen hinweg bis 1997 dort eingemietet war.
Zweiter wichtiger Pächter war ein Mann, der 1961 aus der damaligen DDR geflüchtet war: Erhard Schmidt. Der Landwirt und Pferderücker aus Thüringen hielt Kühe, baute das Wohnhaus um, errichtete die neuen Stallungen auf der Südseite des Vierseithofs und an deren westlichem Ende 1975 auch einen Futtersilo. Ab dann wurde er von den Trinkwasserspeicher-Plänen gestoppt. 1997 verunglückte Schmidt tödlich.
Die weiteren Mieter dürften über Jahrzehnte hinweg Waldarbeiter gewesen sein. Ab den 50er Jahren waren einige Zimmer auch als Zweitwohnsitz oder Ferienwohnung vermietet, unter anderem fast 20 Jahre lang an einen Lohrer Dekan mit seiner Frau.
Glashütte in unmittelbarer Nähe
Penibel aufgelistet hat Schröder die Pächter und Mieter, deren erster gesicherter wohl jener „Forstläufer“ namens Ansmann war. Durch ihn ist erwiesen, dass die Gebäude ab 1768/69 für den Forstbetrieb genutzt wurden. Die Historikerin hat sich jedoch auch eingehend mit der Geschichte der Glashütten befasst. Dass sich in unmittelbarer Nähe bereits im 16. Jahrhundert eine Glashütte befunden haben muss, bestätigen auch kartografische Befunde. Inwieweit diese eine direkte Verbindung mit dem Hofgut hatten, lässt sie offen.
Gut möglich aber, so Schröder, dass im Glashüttenbetrieb arbeitende Menschen in anfangs einfachen Behausungen in Erlenfurt gelebt haben. Als die Mainzer Obrigkeit die Waldglashütten 1720 verboten, um private Konkurrenz auszuschalten, wurden diese womöglich von Köhlern genutzt – was ja schon der Zweitname Kohlhütte nahelegt.
Die wechselhafte Geschichte des Hofguts Erlenfurt
1768/69: Spätestens zu dieser Zeit existiert ein Gebäude mit zwei Wohnungen, das nach und nach um Wirtschaftsgebäude erweitert wird. Es wird genutzt als Sitz eines Unterförsters und eines Forstläufers. Erlenfurt gehört zum Erzbistum Mainz. Die Menschen dort leben weitgehend autark: Bis Rothenbuch brauchen sie eineinhalb Stunden, bis Lohr zweieinhalb.
1820: Jacob Grimm kauft das Anwesen. Im Folgejahr setzt er auf das einstöckige Wohngebäude ein zweites Stockwerk auf.
1841: Fürst Löwenstein erwirbt das Hofgut und kauft 1853 auch den kleineren Hof auf der gegenüberliegenden Straßenseite dazu. Beide zusammen werden als Wirtschaftsbetrieb verpachtet.
1841-1889: In diesem Zeitraum hat es gebrannt. In den fünf Monaten, die er 1888/9 Eigentümer des Hofguts war, beseitigt Julius Rexroth, ein Gutbesitzer aus Lichtenau, offenbar die meisten Schäden.
1864: Der Förster zieht um ins neu erbaute Forsthaus Erlenfurt 2, heute die Forstdienststelle Rothenbuch.
1901: Von einer Quelle aus, gut 500 Meter vom Haupthaus entfernt, wird eine Wasserleitung gelegt – mit Abzweig zum Forsthaus. Mit dem Brunnen auf dem Hof hat es schon 50 Jahre lang Probleme gegeben. 1925 wird die Wasserleitung erneuert.
1914: Ludwig Kallenbach wird Mieter beziehungsweise Pächter. Seine Nachkommen sind über Jahrzehnte, bis 1997 eingemietet.
1935: Das Haus Löwenstein verkauft die Liegenschaften an das Forstamt Lohr-West. Miet- und Pachtverhältnisse bleiben bestehen. Das Hofgut befindet sich wohl in einem miserablen Zustand, der Brunnen im Hof wird drei Jahre später als unbrauchbar eingestuft.
1960: Zu diesem Zeitpunkt leben dort vier Familien mit 16 Menschen, die acht Stück Großvieh halten. Erst ab Mitte der 1960er Jahre wird das Gehöft im Zuge der Umbauarbeiten ans Stromnetz angeschlossen.
1964: Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wohl auf der Stelle des 1853 von Löwenstein gekauften kleinen Hofguts, wird die Forstdienststelle Lichtenau gebaut.
1975: Die Diskussion um einen möglichen Trinkwasserspeicher im Hafenlohrtal bestimmt das Schicksal des Hofs in den folgenden 30 Jahren: Mit Verweis darauf verhindert die Oberforstdirektion Würzburg weitere Sanierungen, da der landwirtschaftliche Betrieb „mit Sicherheit“ nicht fortgeführt werden könnte. Das Hofgut würde im Stausee versinken. Dieser Plan wird erst 2008 endgültig beerdigt.
1982: Das Anwesen wird unter Denkmalschutz gestellt.
2015: Das Hofgut wechselt in die Zuständigkeit der Immobilien Freistaat Bayern. Da die Erschließung nicht gesichert ist, bemüht sich die Immobilienverwaltung nicht um einen Verkauf. Mit der Idee, es zu einem Eichenzentrum umzubauen, geht die Zuständigkeit im März 2018 wieder zurück an die Forstverwaltung. rp