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Marktheidenfeld
Hitlers Helfer in Main-Spessart: Täter und willige Vollstrecker der mörderischen NS-Ideologie
Aus der Geschichte Main-Spessarts (122): Adolf Hitler war auf Helfer angewiesen, die sich ganz in seine Dienste stellten. Sie identifizierten sich zu hundert Prozent mit der NS-Ideologie.
Eine Versammlung der NSDAP im Jahr 1934 mit Gauleiter Otto Hellmuth (links) auf dem Marktplatz in Marktheidenfeld zum Empfang des bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert.
Foto: Repro: Scherg | Eine Versammlung der NSDAP im Jahr 1934 mit Gauleiter Otto Hellmuth (links) auf dem Marktplatz in Marktheidenfeld zum Empfang des bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert.
Leonhard Scherg
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:15 Uhr

Die Frage nach Hitlers Helfern vor Ort lässt sich zunächst eindeutig mit den Verantwortlichen der Partei beantworten. Im Regierungsbezirk Unterfranken und Aschaffenburg, der von 1937 an Mainfranken hieß, sind dies der Gauleiter Dr. Otto Hellmuth (1896-1968), zugleich ab 1934 Regierungspräsident, die jeweiligen Kreisleiter, im Bezirksamt beziehungsweise Kreis Marktheidenfeld und Karlstadt sowie von 1933 bis 1935 Lohr Max Sorg (1901-1964), die Leiter der Ortsgruppen und der zahlreichen NS-Organisationen, nicht zuletzt hohe Funktionsträger der Partei sowie die Abgeordneten im Landtag und Reichstag.

Eine Person, die sich schon sehr früh der NS-Ideologie verbunden fühlte, war Hans Reder (1878-1961), der als Leiter des Forstamtes Hochspessart in Bischbrunn (1923-1946) in den Gemeinden am Spessart hohes Ansehen genoss. In Schöllkrippen geboren, war er ab 1905 nach dem Studium der Forstwirtschaft als Verwaltungsbeamter des höheren Dienstes in der deutschen Kolonie Kamerun tätig. 1914 zum "Geheimen Forstrat" ernannt, war er an der Verteidigung der Kolonie nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges beteiligt. Als die Situation aussichtslos war, setzte er sich 1916 mit anderen Beamten und Militärs in das benachbarte neutrale spanische Gebiet Rio Muni ab und wurde wie der letzte Gouverneur Kameruns Karl Ebermaier (1862-1943) schließlich in Madrid interniert.

1920 nach Deutschland zurückgekehrt, wurde ihm 1923 das Forstamt in Bischbrunn zugeteilt. Über Franz Ritter von Epp (1868-1947), als Berufssoldat unter anderem von 1904 bis 1906 in Deutsch-Südwestafrika eingesetzt und 1919 Kommandant eines Freikorps, fand er den Weg zur Partei. Von Epp hatte selbst 1928 den Weg zur NSDAP gefunden, mit Reder verband ihn die Jagdleidenschaft.

Unangreifbare Stellung von Hans Reder

Wie stark er sich mit der NS-Ideologie identifizierte, zeigt ein Buch des Schweizer Schriftstellers Jakob Schaffner (1875-1944), das mit "Offenbarung in deutscher Landschaf" betitelt ist und im Kapitel "Das Spessarterlebnis" einen Aufenthalt im Forsthaus Bischbrunn 1934 beschreibt. Begleitet von einem SS-Mann war Schaffner dorthin gekommen. Bemerkenswert schon die Feststellung Reders: "Hitler ist für uns ein heiliger Mann, der Erlöser und Befreier."

Geschildert wird aber auch der Einsatz Reders für die Spessarter und für die Entwicklung des Landes, wie sie mit dem bereits hier skizzierten "Hellmuth-Plan" und Rodungen am Spessartrand umgesetzt wurden. Die mit diesem Plan verbundenen bevölkerungspolitischen Maßnahmen werden nur mit "Absiedlung nach anderen Gebieten" angedeutet. Als Ortsgruppenleiter der NSDAP (von Bischbrunn), Gaujägermeister und Gauverbandsführer des Reichskolonialbundes hatte er, wie Forschungen von Joachim Braun ergaben, im Jahr 1943 eine nahezu unangreifbare Stellung.

Das 1934 eingeweihte Braune Haus, das 'Ferdinand-Wiesmann-Haus', auf dem Titelblatt der damaligen Festschrift.
Foto: Stadtarchiv Marktheidenfeld/Repro: Scherg | Das 1934 eingeweihte Braune Haus, das "Ferdinand-Wiesmann-Haus", auf dem Titelblatt der damaligen Festschrift.

Sitz der Parteiorganisationen waren in Marktheidenfeld das Braune Haus, das Ferdinand Wiesmann-Haus, 1945/46 zum Krankenhaus umgebaut und später Rathaus – inzwischen abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt -, und das Gustav-Ruhland-Haus, das nach dem Krieg in "Fränkisches Haus" umbenannt wurde.

Dem NS-Staat standen mit der Machtsicherung bis Mitte des Jahres 1933 und der gesetzlichen Gleichsetzung von Staat und Partei am 1. Dezember 1933 auch die gesamte innere Verwaltung und die Polizei zur Verfügung und sie wurden entsprechend als Herrschaftsinstrument genutzt. Betrachtet werden soll hier exemplarisch, wie sich dies auf das örtliche Bezirksamt, ab 1. Januar 1939 im Rahmen der Vereinheitlichung umbenannt in Landkreis Marktheidenfeld, auswirkte.

Erste Überlegungen zur Reform der unteren staatlichen Verwaltungsebene gab es schon in den 1920er Jahren und sie hatten 1929/30 zur Aufhebung von einigen bayerischen Bezirksämtern geführt. Das Bezirksamt Marktheidenfeld, über dessen Existenz damals diskutiert wurde, konnte sich behaupten. Allerdings wurden die beiden westlichsten Gemeinden Reistenhausen und Fechenbach 1931 an das Bezirksamt Miltenberg abgetreten.

Das 1918 fertiggestellte Bezirksamtsgebäude, später Landratsamtsgebäude, heute Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Marktheidenfeld
Foto: Stadtarchiv Marktheidenfeld/Repro: Scherg | Das 1918 fertiggestellte Bezirksamtsgebäude, später Landratsamtsgebäude, heute Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Marktheidenfeld

Schon vor 1933 war im Bezirksamt Marktheidenfeld nationalsozialistischer Einfluss vorhanden, dies galt vor allem für die jüngeren Beamten, wie German Penzholz in seiner Untersuchung über die bayerischen Landräte im Dritten Reich mit dem kennzeichnenden Titel "Beliebt und gefürchtet" allgemein nachweist.

Als zweiter Beamter wurde 1922 Josef Kellner (1891 – 1946), als Stellvertreter des Bezirksoberamtmanns Eduard Bauch, an das Bezirksamt versetzt. Als Mitglied des Aufsichtsrates der Baugenossenschaft, als Vorstandsmitglied des TVM und des Gesangvereins 06 engagierte er sich vor Ort. Wohl in Zusammenhang mit der genannten Diskussion um eine Auflösung des Amtes wechselte er aber dann 1930 an das Bezirksamt in Dachau, wo er als Polizeireferent tätig war. Aus seiner dortigen Amtszeit ist sein Engagement für die NSDAP belegt. Im NS-Staat machte er Karriere, nicht zuletzt als Landrat im Sudetengau.

Ihm folgte in Marktheidenfeld Dr. Heinrich Dittrich (1902-1967) nach, der von 1936 bis Juni 1937, als die Stelle nicht besetzt war, sogar dem Bezirksamt vorstand. Im Januar 1938 wechselte er an die Regierung in Würzburg. Von dort wurde er 1939, nach dem Anschluss des Sudetenlands 1938, an die Regierung in Karlsbad versetzt und als Landrat des Landkreises Eger eingesetzt.

Bezirksoberamtmann war von 1927 bis 1933 Eduard Bauch (1876- 1936). Er war 1917 bis 1919 Bürgermeister von Bad Kissingen, war dann in den bayerischen Staatsdienst zurückgekehrt und 1927 zum Bezirksoberamtmann in Marktheidenfeld ernannt worden. Den bevorstehenden Problemen in Marktheidenfeld entging er mit seiner Versetzung zum 1. Januar 1933 nach Schweinfurt. 1935 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. 1936 verstarb er in Bad Kissingen.

Zahl der Landkreise sollte auf die Hälfte bis ein Drittel reduziert werden

In Marktheidenfeld hatte Hermann Reich (1890-1955), im April 1933 von München kommend, seine Stelle angetreten. Als ehemaliges Mitglied der BVP wurde er von der Kreisleitung überwacht. 1936 kehrte er nach München zurück. Die Stelle wurde zunächst bis Mitte 1937 nicht besetzt. Dies hängt sicher damit zusammen, dass damals noch eine große Landkreisreform geplant war. Die Zahl der Landkreise sollte auf die Hälfte bis ein Drittel reduziert werden. Zielgröße des Reichsinnenministeriums waren 100.000 Einwohner.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderte jedoch diese Reform. Eine indirekte Folge dieser Überlegungen war möglicherweise, dass die NSDAP das Gebiet der beiden Bezirksämter beziehungsweise Landkreise Marktheidenfeld und Karlstadt in einem NSDAP-Kreis zusammenführte. Dies galt übrigens auch für die Bezirksämter Lohr und Gemünden.

Nachfolger wurde Ernst Döring

Nachfolger in Marktheidenfeld wurde schließlich Dr. Ernst Döring (1888-1956), seit 1. Mai 1935 Parteigenosse. In seine Amtszeit fallen das Novemberpogrom 1938 und 1941/42 der Beginn der, allerdings in Verantwortung der Gestapo aber mit tatkräftiger Hilfe der staatlichen Behörden durchgeführten, Judendeportationen. Anfang Mai 1942 wurde er nach Kattowitz und an das Oberpräsidium der Provinz Oberschlesien abgeordnet. Im März 1944 kehrte Döring von dort zur Familie nach Marktheidenfeld zurück, beruflich war er an die Regierung von Niederbayern und Oberpfalz abgeordnet worden. Erst im Juli 1945 kehrte er kurzzeitig ans Landratsamt Marktheidenfeld zurück.

Gauleiter Otto Hellmuth zu Besuch in Karlstadt in den 30er Jahren
Foto: Repro: Scherg | Gauleiter Otto Hellmuth zu Besuch in Karlstadt in den 30er Jahren

Dort wurde Döring ab Mai 1942 vertreten von Christian Wallenreiter (1900-1980), dem späteren Intendanten des Bayerischen Rundfunks (1960-1972). In seiner Vertretungszeit wurde die Judendeportation im Landkreis zum Abschluss gebracht. Die Meldung an den Regierungspräsidenten vom 3. Juli 1942 mit dem Schlusssatz: "Der Landkreis ist nun frei von Juden" trägt das Namenszeichen von Wallenreiter.

Weitere Vertreter waren Oskar Nattermann (1905-1968), Parteigenosse seit 1932 und langjähriger Kreisamtsleiter, ab 16. November 1942 und nach dessen erneutem Kriegseinsatz im Februar 1943 Dr. Max Schmidt, Parteigenosse seit 1933, der im April 1945 nach Lohr verzog.

Johann Dendl beteiligt am Novemberpogrom

Am Landratsamt Marktheidenfeld war auch Johann Dendl, Parteigenosse seit 1935, als Regierungsrat von Januar 1938 bis zu seiner Versetzung ans Landratsamt Hammelburg im Januar 1940 tätig. Seine Beteiligung am Novemberpogrom 1938, besonders in Urspringen, ist belegt. Dendl war vom März 1940 an am Landratsamt Karlstadt tätig, vom 1. April 1941 bis Kriegsende als Landrat des Landkreises Karlstadt.

Dr. Döring und Dr. Dittrich waren nach Kriegsende jeweils noch einmal kurzzeitig am Landratsamt Marktheidenfeld tätig: Döring im Juli 1945 und Dittrich von Februar bis Mai 1947 für den suspendierten Landrat Hans Kissner.

Georg Wahlrab, links mit Hut, bei einer Veranstaltung in Marktheidenfeld.
Foto: Stadtarchiv Marktheidenfeld/Repro: Scherg | Georg Wahlrab, links mit Hut, bei einer Veranstaltung in Marktheidenfeld.

Neben Josef Kellner war Ende der 1920er Jahre Georg Wahlrab als Obersekretär am Bezirksamt tätig. Er gehörte seit 1931/32 der NSDAP an und war von 1933 bis zu seiner Versetzung nach Schweinfurt 1935 Mitglied des Marktheidenfelder Gemeinderats. Als Parteiämter sind Kreisamtsleiter und stellvertretender Kreisleiter belegt. Ebenfalls Obersekretär am Bezirksamt war Karl Greser, seit 1935 Parteigenosse, Ortswalter der NSV, der NS-Volkswohlfahrt, und Gemeinderat ab 1938.

Die Antwort auf die Frage nach Hitlers Helfern vor Ort zeigt nicht zuletzt eine tiefe Verstrickung vieler Menschen, die damals Funktionen in Staat und Gesellschaft ausübten. Übrigens alle genannten Personen, welche das Kriegsende überlebten, konnten – üblicherweise nach kurzzeitiger Unterbrechung – ihre berufliche Karriere fortsetzen.

Zum Autor:  Dr. Leonhard Scherg war von 1984 bis 2008 Bürgermeister von Marktheidenfeld, er ist Kreisarchivpfleger für den Altkreis Marktheidenfeld und Rothenfels.

Für Hinweise dankt der Autor vor allem Joachim Braun, der sich seit Jahren mit der Geschichte der NSDAP in unserem Raum befasst.

Literatur: German Penzholz, „Beliebt und gefürchtet“. Die bayerischen Landräte im Dritten Reich, Baden-Baden 2016; Wolfgang Proske, Kleine Herrgötter! Die Kreisleiter der Nazis in Bayern, Gerstetten , 3. Aufl. 2021.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter /dossier/geschichte-der-region-main-spessart/

 
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